Dr. Matthias Schaffrick (Siegen)


Postsouveränität. Ein Paradigma der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nach 1989


Respondent: Dr. Kai Sina (Göttingen)


Zeit: 21. Mai 2015, 18h c.t.
Ort: Raum VG VG 3.101 (Verfügungsgebäude, Platz der Göttinger Sieben 7, 37073 Göttingen).


Abstract

»Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet«, lautet Carl Schmitts Definition der Souveränität. Wenn es jedoch keine identifizierbare Instanz mehr gibt, die über die Ausnahme entscheidet, wenn überhaupt nicht klar ist, wann ein Ausnahmezustand beginnt und wann er endet, und souveräne Strukturen zerfallen, dann befindet man sich mitten in einem Szenario der Postsouveränität. In der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1989 lässt sich eine Gruppe von Erzählungen und Romanen ausmachen, die solche Szenarien im Kontext von Kriegen, Konflikten und Katastrophen behandeln. In diesen Szenarien geht den Figuren ihre Orientierung verloren, sie finden sich in einem gesellschaftlichen Niemandsland wieder und die politischen, rechtlichen und moralischen Ordnungen geraten aus dem Gleichgewicht. Zugleich ist die Erzählinstanz dieser Texte unsicher, unentschieden, unzurechnungsfähig: postsouverän.
Der Vortrag macht die in dieser Hinsicht paradigmatischen Romane Die Habenichtse (2006) von Katharina Hacker und Die Schmerzmacherin (2011) von Marlene Streeruwitz zum Gegenstand der Untersuchung und beobachtet, mit welchen Verfahren es den Erzählungen gelingt, aus den unerklärlichen und zusammenhangslosen Ereignissen, die den Figuren widerfahren, eine Geschichte zu machen. Die Gegenwartsliteratur im Zeichen der Postsouveränität erweist sich als zeitgenössische Literatur im besten Sinne, die in der Gegenwart ihre je eigene Gegenwart reflektiert.