Dr. des. Natalia Igl (Bayreuth/München)


»I am a camera«. Zu Perspektivierungsstrategien in Romanen der literarischen Moderne und der kognitiv-linguistischen Grundlage von Narrativität


Respondent: Dr. Tobias Klauk (Göttingen)


Zeit: 9. Januar 2014, 18h c.t.
Ort: Raum VG 3.102 (Verfügungsgebäude, Platz der Göttinger Sieben 7, 37073 Göttingen).


Abstract

»I am a camera with its shutter open, quite passive, recording, not thinking.« Diese Formulierung aus Christopher Isherwoods Roman Goodbye to Berlin (1930) bringt einen programmatischen Anspruch auf den Punkt, der für ›modernes Erzählen‹ der 1920er/30er Jahre charakteristisch scheint: Die Narration inszeniert einen (vermeintlich) objektiven und ›unmittelbaren‹ Blick auf die erzählte Welt, die narrative Instanz selbst tritt in den Hintergrund. Einen ähnlichen ›Objektivitätsgestus‹ wie Isherwoods Protagonist formuliert Alfred Döblin in seinem Essay An Romanautoren und ihre Kritiker (1913): »Der Erzählschlendrian hat im Roman keinen Platz; man erzählt nicht, sondern baut. […] Das Ganze darf nicht erscheinen wie gesprochen sondern wie vorhanden.«
Ausgehend von diesen Beobachtungen befasst sich der Vortrag mit den komplexen Strukturen der (Poly-)Perspektivierung in drei zentralen Erzähltexten dieser Zeit: Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues (1929), Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz (1929) und Irmgard Keuns Das kunstseidene Mädchen (1932). Diese arbeiten einerseits mit je unterschiedlichen narrativen Perspektivierungsstrategien und lassen sich nicht einfach unter dem literarischen Programm ›Neue Sachlichkeit‹ subsumieren (womit letztlich ohnehin noch wenig ›erklärt‹ wäre). Andererseits funktionieren die jeweils spezifischen Perspektivierungsstrukturen insofern sehr ähnlich, als es – so meine These – in allen drei Fällen um eine perspektivische Verquickung von ›Subjektivität‹ und ›Objektivität‹ geht. Die theoretische Grundlage des Vortrags bildet dabei eine kognitiv-linguistische Betrachtungsweise von ›Narrativität‹. Vor deren Hintergrund lassen sich Strukturen komplexer narrativer Perspektivierung einerseits auf sprachlich-kognitive Basisprinzipien wie das potentielle Aufsplitten von Sprecher- und Betrachterperspektive zurückführen. Andererseits lassen sich auf einer kognitiv-linguistischen Basis aber gerade auch die spezifischen Möglichkeiten beleuchten, die der narrative Diskursmodus mit Blick auf die Inszenierung solcher komplexen Perspektivierungsstrukturen bietet.