20/01/2014:
Jobboom verdankt sich der Ausweitung atypischer Beschäftigung

Die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Schröder betriebene Arbeitsmarktpolitik der Deregulierung und Flexibilisierung setzte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Steigerung der Beschäftigungsquote auf eine massive Ausweitung von Niedriglohnjobs und atypischer Beschäftigung. Das Vorhaben ist gelungen: Atypische Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit, Befristungen, Teilzeitbeschäftigung oder Minijobs haben in den letzten Jahren gegenüber dem sog. Normalarbeitsverhältnis (vollzeitnahe, unbefristete Beschäftigung ohne Leiharbeit) stetig an Bedeutung gewonnen. Oder anders ausgedrückt: der Beschäftigungszuwachs der vergangenen zehn Jahre verdankt sich im Wesentlichen einer Zunahme unsicherer und schlecht bezahlter Jobs. Diese gar nicht so neue Erkenntnis (siehe z.B. 16.12.2011) wird durch eine im Auftrag der Bertelsmann Stiftung verfasste Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) erneut bestätigt.

Wie die Bertelsmann Stiftung dazu in einer Pressemeldung bekannt gab, sei der Zuwachs an Beschäftigung während der vergangenen zehn Jahre in Deutschland wesentlich der Zunahme an "flexiblen Arbeitsverhältnissen" (Euphemismus der Stiftung für atypische Beschäftigung) zu verdanken. Hätte 2003 nicht einmal jeder fünfte "Erwerbsfähige" (19 Prozent) in Teilzeit, befristet, als Leiharbeiter oder in einem Minijob gearbeitet, so hätten inzwischen 24 Prozent aller "Erwerbsfähigen" einen solchen Job. Generell prognostizierten die Autoren der Studie eine weitere Flexibilisierung der Arbeitswelt. Sie kämen zu dem Schluss, dass sich Risiken dadurch zunehmend auf den individuellen Arbeitnehmer verlagerten.

Laut der Studie des IZA sei die beschriebene Entwicklung allerdings nicht zu Lasten der "stabilen Arbeitsverhältnisse" gegangen, denn im selben Zeitraum sei der Anteil der "Erwerbsfähigen", die eine klassische unbefristete Vollzeitstelle bekleideten, von 39 auf 41 Prozent gestiegen. Die Autoren sprächen angesichts der Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt von einer "erstaunlichen Stabilität der so genannten Normalarbeitsverhältnisse".

Die Bezugnahme auf die Gesamtheit aller Erwerbsfähigen ist allerdings irreführend und darf nicht mit der Zahl der tatsächlich in einem unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnis stehenden Beschäftigten verwechselt werden. Die aber ist im genannten Zeitraum seit 2003 keinesfalls gestiegen. Wie ein Blick auf die Beschäftigungszahlen aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) zeigt, sank die Zahl der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer von 24,3 Millionen im Jahr 2003 bis 2006 auf einen historischen Tiefstwert von 23,2 Millionen, um bis 2011 wieder auf knapp 24 Millionen zu steigen. Erst im Jahr 2012 ist mit 24,3 Millionen Vollzeitbeschäftigten der Wert von 2003 wieder erreicht worden.

Auch wenn die Pressemeldung anderes suggeriert: Die Frage, ob die Ausweitung der atypischen Beschäftigung zur Reduzierung von Arbeitslosigkeit beigetragen oder eher zu einer Verdrängung qualitativ besserer Beschäftigung geführt hat, ist weiterhin umstritten. Belege dafür, dass atypische Beschäftigungsformen das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen erhöht haben, stehen ebenfalls noch aus.

Quelle: Pressemeldung der Bertelsmann Stiftung vom 20.01.2014

Weiterlesen:

Eichhorst, W./ Tobsch, V. (2014): Flexible Arbeitswelten: Bericht an die Expertenkommission "Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland", Bertelsmann Stiftung, Gütersloh.


Eichhorst, W./ Tobsch, V. (2013): Has Atypical Work Become Typical in Germany? IZA Discussion Paper, No. 7609, September 2013.


Atypische Beschäftigung - Normalarbeit auf dem Rückzug. In: Böckler impuls 20/2011 v. 14.12.2011.


Wagner, A. (2010): Atypische Beschäftigung: Eine wissenschaftliche Bilanzierung, Abschlussbericht, Berlin.