DFG fördert historische Bibliotheksforschung


La Belle Anglaise: Die Büchersammlerin Luise Dorothea von Sachsen-Gotha-Altenburg als Vermittlerin englischer Kultur


Seit dem 1. November 2023 fördert die DFG das kulturgeschichtliche Projekt La Belle Anglaise, das sich drei Jahre lang mit der mehrere tausend Bände umfassenden, zweitgrößten fürstlichen Privatbibliothek und umfangreichsten Fürstinnenbibliothek des Gothaer Hofes, jener der Herzogin Luise Dorothea von Sachsen-Gotha-Altenburg, geb. Sachsen-Gotha-Meiningen (1710-1767), auseinandersetzt.

Das Projekt ist am Seminar für Kirchengeschichte (Lehrstuhl Professor Thomas Kaufmann) angesiedelt, arbeitet eng mit der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, der deutschen Nationalbibliothek des 18. Jahrhunderts, zusammen und wird von der Germanistin Dr. Gabriele Ball geleitet.
Kooperationspartnerinnen des transdisziplinären, sowohl die Philologien, die Geschichte der Frühen Neuzeit als auch die Bibliothekswissenschaft und die Geschlechterforschung verbindenden Vorhabens sind zum einen die Forschungsbibliothek Gotha (FBG), Forschungs- und Studienstätte für (außer-)europäische Kulturgeschichte respektive das Forschungszentrum Gotha (FZG) als zentrale wissenschaftliche Einrichtungen der Universität Erfurt und zum anderen die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (HAB) als eines der weltweit führenden Zentren für kulturgeschichtliche Forschung. Die beteiligten Bibliotheken in Gotha und Wolfenbüttel sowie das Forschungszentrum Gotha unterstützen das Projekt nicht nur mit ihrem Know-How und einer hervorragenden Forschungsinfrastruktur, sondern auch mit neuen Methoden der Digital Humanities in puncto Rekonstruktion historischer Bibliotheken (HAB). Eine geplante und ebenfalls von der DFG finanzierte, internationale Konferenz in Gotha soll dem weltweiten Austausch erfahrener und jüngerer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dienen und Möglichkeiten für Anschlussprojekte mit Blick auf die oben genannten Disziplinen bieten.

Thematischer Kontext des Projekts sind Handlungsspielräume von Fürstinnen, die sich – anders als jene ihrer häufig regierenden Gatten – durch einen geringen Formalisierungs- und Institutionalisierungsgrad und die uneindeutige Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre als äußerst forschungsrelevant erwiesen haben. An der weiblichen Gelehrsamkeit, den verbreiteten Französisch- und Lateinkenntnissen, den naturwissenschaftlich-philosophischen Interessen und der Versiertheit im Verfassen von literarischen Texten besteht kein Zweifel. In der Forschung wird deshalb mit Recht hervorgehoben, dass die Integration der kulturpolitischen Aktivitäten von Fürstinnen in die allgemeine Geschichte zum Verständnis der frühneuzeitlichen und heutigen Gesellschaft eine Notwendigkeit darstellt. Der Universitätsbesuch und die den Adel prägenden Bildungs- und Kavaliersreisen waren zwar Männern vorbehalten, jedoch wird die Teilhabe von Frauen am öffentlichen Raum, an Haus und Hof und die verbreitete Mitgliedschaft an Akademien und Sozietäten weithin anerkannt und erforscht.

Ein Paradebeispiel ist die lutherische Fürstin Luise Dorothea, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts im kulturellen Mittelpunkt des Hauses Sachsen-Gotha stand. Die Forschungsliteratur ist sich einig, dass die Herzogin den Gothaer Hof wie keine andere Persönlichkeit nach dem Gründungsvater der Dynastie Ernst dem Frommen, ihrem Urgroßvater, geprägt hat. Sie wurde folgerichtig bald zur Minerva des Hofes, zur Förderin von Wissenschaften und Künsten und Friedensfürstin erklärt und gekürt.

Gabriele Ball betont, dass das Alleinstellungsmerkmal der fast durchgängig französischsprachigen Fürstinnenbibliothek der überdurchschnittlich hohe Anteil „englischer“, d.h. auch schottischer, walisischer, irischer und amerikanischer Autoren und Autorinnen sei, was verwundern müsse, da die englische Kultur und Sprache in adeligen Kreisen um die Mitte des 18. Jahrhunderts kaum eine Rolle gespielt habe. Herzogin Luise Dorothea habe „englische“ Bücher und Handschriften aus allen Bereichen der damals so genannten schönen Wissenschaften und freyen Künste gesammelt. Neben der von ihr favorisierten schönen Literatur fänden sich Zeitschriften und Lexika, Werke der Erbauungsliteratur, Staatspolitik, Geschichte, Naturlehre sowie Reiseliteratur. „Ziel des beantragten Forschungsprojekts ist es“, so Ball weiter, „die Bibliotheca Anglicana innerhalb der gesamten Sammlung erstmals systematisch zu rekonstruieren, zu analysieren und in ihrer kontextualen Relevanz sichtbar zu machen“.

Kontakt:
Dr. Gabriele Ball, Georg-August-Universität Göttingen, Theologische Fakultät, Kirchengeschichte, Platz der Göttinger Sieben 2
37073 Göttingen
Telefon: (0551) 39-27148, E-Mail: gabriele.ball@theologie.uni-goettingen.de