Identität und Verfasserreferenz in wissenschaftlichen Artikeln


Das Verfassen wissenschaftlicher Artikel findet in einem sozialen Raum statt, in dem wissenschaftliche Autor/innen mit ihren Leser/innen interagieren und sich entsprechend geltenden Regeln positionieren müssen. Diese Regeln werden innerhalb der sozialen Gemeinschaft, d.h. der wissenschaftlichen Community bestimmt und variieren z.B. abhängig von Sprache und Disziplin. Angemessenheit im Gebrauch und in der sprachlichen Umsetzung dieser Rollen wird z. B. als Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit der AutorInnen bzgl. ihrer Darstellungen und Argumentationen angesehen (Hyland 2002:1091). Die Frage nach angemessenen Autorenrollen und den jeweils sprach- und fachspezifischen Regeln, diese sprachlich zu realisieren, wird sowohl im internationalen (z. B. Hyland 2002, 2008, Fløttum/Dahl/Kinn 2006) als auch im deutschsprachigen Diskurs (z. B. Steinhoff 2007) zum wissenschaftlichen Schreiben aktuell intensiv diskutiert.
In dieser Untersuchung wird verglichen, welche Identitäten und Rollen sich wissenschaftliche Autoren im Fach Soziologie in deutsch- und englischsprachigen Forschungsartikeln zuweisen. Anhand eines Korpus aus englisch- und deutschsprachigen Forschungsartikeln aus zwei führenden Zeitschriften der Soziologie wird exemplarisch für dieses Fach nachgezeichnet, welche Rollen von den Autoren mit den Pronomen der ersten Person (Sg. und Pl.) realisiert werden. Durch die Pronomen der ersten Person in Kombination mit dem ihnen zugeordneten Verbkomplex, d. h. über die in der ersten Person dargestellten versprachlichten Handlungen, wird deutlich, welche Rolle der/die Autor/in sich selber zuschreibt und wie er/sie sich innerhalb der Community positioniert (vgl. Fløttum/Dahl/Kinn 2006: 82). Dies ermöglicht einen Einblick, welche Rollen in der betreffenden wissenschaftlichen Gemeinschaft (hier bezogen auf das Fach Soziologie) als akzeptabel und angemessen betrachtet werden.
Eine erste grobe Untersuchung des Korpus zeigt, dass schon rein quantitativ große Unterschiede im Gebrauch der ersten Person zwischen den beiden Sprachen bestehen, so dass davon auszugehen ist, dass die zugrundeliegenden Textroutinen zur Darstellung sozialer Rollen sich deutlich unterscheiden. Die Frage, der im Weiteren nachgegangen werden soll, ist, inwieweit sich auch qualitative Unterschiede zeigen, insofern, als dass mit der ersten Person unterschiedliche Handlungen versprachlicht werden, die auf unterschiedliche Rollen schließen lassen.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung können einen wichtigen Beitrag leisten, sowohl im Bereich der Lehre wissenschaftlichen Schreibens für Studierende als auch für Wissenschaftler, die ihr wissenschaftliches Englisch verbessern und damit ihre Chancen auf internationale Publikationen erhöhen wollen.

Literatur:
Fløttum, Kjersti/Dahl, Trine/Kinn, Torodd (2006): Academic Voices – across languages and disciplines. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins;
Hyland, Ken (2002): Authority and invisibility: authorial identity in academic writing. Journal of pragmatics 34 (2002). 1091-1112;
Hyland, Ken (2008): Disciplinary voices: Interactions in research writing. English Text Construction 1/1 (2008): 5-22;
Ivanič, Roz (1998): Writing and Identity. The Discoursal Construction of Identity in Academic Writing. Amsterdam: Benjamins;
Steinhoff, Torsten (2007a): Wissenschaftliche Textkompetenz. Sprachgebrauch und Schreibentwicklung in wissenschaftlichen Texten von Studenten und Experten. Tübingen: Niemeyer.
Steinhoff, Torsten (2007b): Zum ich-Gebrauch in Wissenschaftstexten. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 35.1/2. 1-26.