Titel des Dissertationsprojekts
In Search of Coordination: Möglichkeiten und Grenzen sozialpolitischer Steuerung der EU jenseits regulativer und distributiver Politiken – Eine vergleichende Analyse zur Effektivität der OMK im Bereich der Bekämpfung sozialer Ausgrenzung

Vor dem Hintergrund einer ökonomisch zunehmend integrierten Europäischen Union (EU) gab es in der Vergangenheit auch Bestrebungen, deren soziale Seite zu stärken. Der bislang letzte Vorstoß war diesbezüglich die offizielle Einführung der Offenen Methode der Koordinierung während des Europäischen Rates von Lissabon (2000) im Rahmen der Lissabon-Strategie. Mit diesem soft law Instrument – das in unterschiedlichen Politikbereichen wie bspw. Beschäftigung, soziale Eingliederung, Renten, Immigrationspolitik eingesetzt wurde - wird die outcome-Konvergenz in einzelnen Politikbereichen der Mitgliedsstaaten der EU zu erreichen versucht. Während somit der Vielfalt nationaler institutioneller Arrangements, Programme und Konzeptionen sozialer Gerechtigkeit Rechnung getragen wird, sollen mit dieser Methode gleichzeitig ähnliche wohlfahrtsstaatliche Standards in den einzelnen Mitgliedsstaaten sowie die Modernisierung des sogenannten Europäischen Sozialmodells erreicht werden.
Dieses Vorhaben betrachtet den OMK-Prozess im Politikbereich der sozialen Eingliederung, der 2000 initiiert wurde. Diese Auswahl beruht auf zwei zentralen Gründen: 1. Aufgrund der Neuheit des Prozesses liegen hier bislang kaum empirische Studien vor; 2. Es wird unterstellt, dass die EU, sollte ihr die Stärkung ihrer sozialen Komponente nicht gelingen, sich in Zukunft größeren politischen und sozialen Herausforderungen wird stellen müssen, die in der Folge durchaus den europäischen Integrationsprozess als ganzen in Frage stellen könnten. Gleichzeitig geht die Autorin davon aus, dass die Nationalstaaten einzeln nicht mehr in der Lage sind, die Konsequenzen der ökonomischen und fiskalischen Integration sozial zu kompensieren.
Frankreich und Deutschland wurden als Fallbeispiele ausgesucht. Sie eignen sich insofern für die Analyse, als sie einerseits der gleichen Wohlfahrtsfamilie zuzurechnen sind und somit – trotz wichtiger Unterschiede – vergleichbare institutionelle Settings vorweisen. Diese Ähnlichkeit ist dann von Bedeutung, wenn man davon ausgeht, dass „Politiklernen“ und Politiktransfer – zwei der Hauptziele der OMK – eher bei vergleichbaren institutionellen Designs möglich ist. Andererseits unterscheiden sie sich wesentlich in ihren nationalen Traditionen und Konzeptionen der Organisation eines Gemeinwesens sowie in ihren momentanen politischen Kräftekonstellationen. Von Interesse wird daher sein, welche Faktoren sich in welchem Umfang auf den Implementationsprozess auswirken. Während diese beiden Länder im Zentrum der Analyse stehen, werden wir darüber hinaus einen Blick auf den OMK-Prozess im Vereinigten Königreich sowie in Schweden werfen, um die Ergebnisse der Untersuchung differenzierter einschätzen zu können.
Schließlich wird die Studie sich explizit nicht (direkt) auf Arbeitsmarktstrategien zur Reduzierung sozialer Ausgrenzung beziehen, da diese an anderer Stelle (Europäische Beschäftigungsstrategie) detaillierter dargelegt und untersucht werden. Stattdessen werden uns Zielgruppen interessieren, die gemeinhin mit einem sozialen Stigma behaftet sind und somit den aktiven sozialen Prozess der Ausgrenzung eher reflektieren (wie bspw. Zugehörige ethnischer Minderheiten, allein erziehende Mütter oder Menschen mit Behinderungen).
Mit einem institutionentheoretischen Ansatz wird der Prozess des Erstellens sowie der Weiterentwicklung der Nationalen Aktionspläne (NAPincl) als dem zentralen nationalen Element dieser OMK sowie der vermutete Einfluss der OMK auf die Entwicklung von Politiken zu analysieren sein (output-, nicht outcome-Analyse). Schließlich wird zu bewerten sein, ob es Hinweise dafür gibt, dass dieses Instrument der Politiksteuerung in der EU es vermag, die intendierten Resultate in dem Politikbereich soziale Eingliederung zu erzielen oder nicht, und was dies wiederum für das Einsetzen alternativer Instrumente bedeutet.
Es gibt mehrere Arbeitshypothesen, von denen drei hier genannt seien: 1) Die Pfadabhängigkeit von institutionalisierten wohlfahrtsstaatlichen Arrangements ist zu hoch, als dass ein solch weiches Politikinstrument im einem hoch sensiblen Politikbereich signifikante Modifikationen bewirken kann; 2) Die theoretischen Annahmen, die der OMK zu Grunde liegen – wie sie in Theorien der „directly deliberative polyarchy“, „proceduralisation“ oder „democratic experimentalism“ ausgeführt werden – sind insofern wirklichkeitsfremd als sie real existierende Machtasymmetrien ebenso unterschätzen (wenn nicht gar vergessen) wie bestehende (administrative) politische Kulturen. Darüber hinaus wäre eine größere europäische Öffentlichkeit nötig, damit die „naming and shaming“ Prozeduren die ihnen zugedachte Wirkung entfalten könnten; 3) Schließlich weisen die momentanen „Diskurse“ über In- und Outsider, darüber, wie soziale Gerechtigkeit in der Praxis zu buchstabieren sei, sowie die Arbeitsmarkt bezogenen Aktivierungsstrategien nicht in Richtung integrierter Strategien zur Vermeidung sozialer Ausgrenzung und verringern die Erfolgsaussichten der OMK in diesem Politikbereich somit zusätzlich.