Die kartographisch bedingte Veränderung des Raumbewusstseins als Kategorie politisch-administrativen Handelns in Norddeutschland vom 16. bis frühen 17. Jahrhundert

Das Projekt untersucht die Entwicklung des frühneuzeitlichen Raumbewusstseins in Politik und Verwaltung anhand des vermehrt auf kartographischer Grundlage vorangetriebenen Grenzbildungsprozesses in Norddeutschland im Zeitraum von 1570 bis 1620. In dieser Friedensperiode wurden zahllose Grenzstreitigkeiten mit dem Streben nach genau definierten Herrschaftsbereichen ausgetragen. Zielführendes Element war dabei die Abstraktion von Grenzen, die schließlich in ihrer Linearität seit dem 16. Jahrhundert den Ansprüchen naturwissenschaftlicher Messtechnik und zugleich fürstlicher Verwaltung Rechnung trugen. In dieser ideengeschichtlichen Transformation der für das Verständnis von Raumbewusstsein wichtigsten Raumfigur "Grenze" spielten Karten eine wesentliche Rolle in der Visualisierung des Streitgegenstands, in der Konstruktion genau definierter Räume durch lineare Abtrennung sowie schließlich zu administrativen Zwecken in der Konstitution von Herrschaftsräumen. Die Verknüpfung der dazu angefertigten Manuskriptkarten mit ihren korrespondierenden Akten bildet dabei die Grundlage, um die Aushandlungs- und Anwendungsprozesse auf dem Weg zu einer auf die Fläche bezogenen Herrschaft zu analysieren. Karten werden also weniger als passives Medium, das den Raum lediglich abbildet, sondern als aktives Instrument begriffen, das einen Raum erst erzeugte. Ausgehend vom Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel als politisch bedeutendem und geographisch zentralen Fürstentum in Norddeutschland werden 23 Grenzstreitigkeiten fallbeispielhaft analysiert, um in der Interaktion mit zahlreichen benachbarten Herrschaften über die Einzelherrschaft hinausreichende Ergebnisse zu erzielen und damit einen Beitrag zu Herrschaftsverständnis und Herrschaftsausübung im Übergang zur frühen Neuzeit zu leisten.