Dr. Gösta Ingvar Gabriel

Forschungsprojekt

Mytho-Historiographie – Edition und Interpretation der sogenannten 'Sumerischen Königsliste'

Unter der konventionellen Bezeichnung 'Sumerische Königsliste' wird eine Gruppe von Manuskripten zusammengefasst, die dem späten dritten und dem frühen zweiten Jahrtausend v. Chr. entstammen. Dabei stellt die Komposition in zweierlei Hinsicht einen Hybrid dar. Zum einen verbindet sie listenartige Elemente mit Narrativem, zum anderen kombiniert sie im kulturellen Gedächtnis gespeicherte mythisch-legendarische Erzählungen mit politischer Historie.

Als erstes wird die Komposition neu ediert, was ein dringendes Forschungsdesideratum der Altorientalistik darstellt, da seit der grundlegenden editio princeps von Thorkild Jacobsen (1939) zahlreiche neue Manuskripte gefunden und nur teils ediert worden sind. Es gilt somit, zum einen die noch unpublizierten Textvertreter philologisch aufzubereiten und zum anderen alle textlichen Daten systematisch zusammenbringen.

Die Editionsarbeit steht dabei vor einer besonderen Herausforderung, da kein Textvertreter einem anderen gleicht. Dies reicht von kleineren Abweichungen im Bezug auf Jahresdaten über den Austausch von ganzen Textbausteinen bis hin zu einer Umgruppierung der Hauptstädte und ihrer Herrscher. Manche Texte fügen zusätzlich noch eine vorsintflutliche Zeit an den Anfang. Zusammengefasst erweist sich das Werk somit als fluid-modularer Text, was editionsphilologisch nach neuen – insbesondere auch digitalen – Herangehensweisen verlangt.

Zugleicht verdeutlicht die textliche Vielfalt, dass die Komposition Gegenstand eines fortlaufenden und lebendigen Diskurses war. Dieser beschäftigte sich nicht nur mit dem Text selbst, sondern auch mit der durch ihn transportierten mytho-politischen Geschichte und ihrer Konzeption. Erste Ergebnisse zeugen von einer stratifizierten Organisation der Vergangenheit, die in Grundzügen an den modernen Historiker Fernand Braudel erinnert. Die lebendige Auseinandersetzung, der inhaltliche Umfang sowie die konzeptionelle Komplexität machen das Werk schließlich zu der vielleicht wichtigsten Quelle der babylonischen Sicht auf die eigene Mytho-Historie.





Weitere Forschungsinteressen

  • Religionsgeschichte
  • Wissensgeschichte
  • Zusammenspiel von Wissenspraxis und erlebter Wirklichkeit
  • Mythologie
  • (Keil)schriftgeschichte
  • Literatur(theorie)
  • Digitale Methoden