Eine frühneuzeitliche Form weiblicher Herrschaft: Fürstliche Witwenschaft in Braunschweig-Wolfenbüttel 1500-1650

Mit dem Tod eines regierenden Fürsten verlor seine Ehefrau im 16. und 17. Jahrhundert nicht nur ihren Gemahl sondern auch ihren bisherigen Status. Sie war nicht länger die Fürstin, die an der Seite ihres Ehemannes innerhalb des so genannten adligen Arbeitspaares wesentliche Funktionen am Fürstenhof und im Fürstentum zu erfüllen hatte. Vielmehr wurde ihr als verwitweter Frau in der höfischen Hierarchie ein neuer Rang zugeordnet, der der Fürstin-Witwe. Damit war sie nicht mehr die „erste Frau“ bei Hofe und im Fürstentum, sondern rangierte hinter dem neuen regierenden Fürstenpaar. Zusätzlich hatten fürstliche Witwen in aller Regel das Erbe und die Residenz ihres verstorbenen Mannes zu verlassen und sich auf den ihnen im Ehevertrag zugewiesenen Wittumsämtern niederzulassen. Ob sie die so genannte Witwenzeit zurückgezogen gewissermaßen als letzte Lebensphase vor dem Tod verbrachten oder sie als Chance zu neuer Entfaltung begriffen, wie dies die bisher gängigen Thesen immer wieder behaupten, hing nicht unwesentlich von der Lebenssituation der Frauen vor der Witwenschaft ab. Wesentlich war dabei vor allem ein gutes Verhältnis zum Ehemann und zu den eigenen Kindern, insbesondere zum ältesten Sohn, der seinem Vater als regierender Fürst und Oberhaupt des Adelsgeschlechtes nachfolgte. Als noch bedeutsamer erwiesen sich jedoch – insbesondere im Konfliktfall – die sozialen Kontakte und Beziehungen, die eine Fürstin im Laufe ihres Lebens aufzubauen und auch zu nutzen verstand. Eine vorrangige Rolle spielte dabei immer die Herkunftsfamilie sowie anderweitige cognatische (männliche und weibliche Blutsverwandte!) Beziehungen.


Innerhalb dieses Spannungsbogens will das vorliegende Dissertationsprojekt der Frage nach Konstruktion und sozialer Praxis fürstlicher Witwenschaft im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nachgehen. Dies geschieht immer auch vor dem Hintergrund ob und wie sich die Lebensphase als fürstliche Witwe innerlich und äußerlich vom Leben als Fürstin (und damit als Ehefrau eines regierenden Fürsten) unterschied. Anhand ausgewählter Beispiele und Lebensläufe verwitweter Braunschweig-Wolfenbüttler Fürstinnen sollen aus mikrogeschichtlicher Perspektive die Fragen nach der Eingebundenheit verwitweter adliger Frauen in ihre Herkunfts- und Ankunftsfamilie, in das adlige Haus, in den Hof und andere soziale Netzwerke erörtert werden. Da sich Männer und Frauen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit von ihren Positionen her definierten und von den Positionen, die sie innerhalb der ihnen zur Verfügung stehenden Netzwerke einnahmen, aus handelten, ist die Untersuchung der praktischen Bedeutung der sozialen Kategorie der hochadligen Witwe für die frühneuzeitliche Adelsgesellschaft das wesentliche Anliegen dieser Arbeit.


Welche Bedeutung hatte der Witwenstatus im Leben einer hochadligen Frau? Wie veränderte sich einerseits ihr Alltag, ihr soziales Leben und wie veränderten sich ihr Selbstbild und ihre Wahrnehmung von außen? Wo gibt es Kontinuitäten? Wie sehen sich hochadlige Frauen als Witwen selbst und wie werden sie von anderen gesehen? Welche Rolle spielen die mit dem Topos der frühneuzeitlichen christlichen Witwe verbundenen Vorstellungen, Zuschreibungen in der sozialen Praxis?


Über welche sozialen Netzwerke verfügten hochadlige Witwen, wie veränderten, erweiterten, verengten, verschoben sich diese durch die Witwenschaft und welche Positionen und Aufgaben hatten die Witwen darin? Wie bewerteten sie diese selbst und was wurde an sie herangetragen, was von ihnen eingefordert?


Was bedeutete dies für ihre Handlungsräume, ihre sozialen Beziehungen und ihr Verständnis von Herrschaft und für ihr Verhältnis zu den Untertanen? Welchen Einfluss konnten fürstliche Witwen auf ihren Witwensitzen und in ihren Wittumsämtern ausüben? In welchem Maße konnte eine einzelne Fürstin-Witwe ihren Herrschaftsanspruch vor Ort durchsetzen und welche Übereinstimmungen, Konflikte entstanden dabei bzw. bei der Herrschaftsausübung mit dem Landesfürsten?


Zur Beantwortung dieser Fragen werden vorrangig die Fürstinnen Sophia (1522-1575), Hedwig (1540-1602) und Elisabeth (1573-1626) von Braunschweig-Wolfenbüttel und ihre Witwensitze in Schöningen und Hessen untersucht. Diese werden mit Beispielen anderer braunschweigisch-lüneburgischer Fürstinnenwitwen sowie benachbarter Adelshäuser ergänzt.
Möglich wird die Bearbeitung dieses Projektes erst durch eine gute Quellenüberlieferung: Für das geplante Dissertationsvorhaben liegen umfangreiche Urkunden- und Aktenbestände, v.a. in Form von Korrespondenzen, Urkunden, Inventaren, Erb- und Ämterregistern, Verträgen, Bestallungen, Deputatslisten, Rechnungen u.ä. hauptsächlich im Niedersächsischen Landesarchiv – Staatsarchiv Wolfenbüttel und im Niedersächsischen Landesarchiv –Hauptstaatsarchiv Hannover vor, die durch die Urkunden- und Handschriftenbestände sowie Druckschriften in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel ergänzt werden können.




Abschlussbericht 2008


Die Bearbeiterin hat während der bisherigen einjährigen Forschungsdauer, die mit dem 1.10.2007 begann, sowohl die Aufarbeitung der die Niedersächsische Landesgeschichte, die Resi-denzen- und Hofforschung, die Adels- und Witwengeschichte, die Verwaltungs-, Wirtschafts- und Beamtengeschichte betreffenden Forschungsliteratur als auch die Durchsicht und Bearbeitung der welfischen Hofordnungen, die sich aus dem Besitz der Residenzenkommission der Göttinger Akademie der Wissenschaften im Institut für Historische Landesforschung befinden, abschließen können.
Die bisher erfolgte Bearbeitung des niedersächsischen, vorrangig im Niedersächsischen Landes-archiv Wolfenbüttel lagernden Quellenmaterials ist im Wesentlichen für alle Urkunden- und Ak-tenbestände abgeschlossen, d.h. die Akten/Urkunden wurden von der Bearbeiterin eingesehen und notwendige Passagen transkribiert. Die Bearbeitung des Hauptbestandes 1 Alt 23 „Akten der Gemahlinnen der regierenden Herzöge der mittleren und neueren Linie Braunschweig-Wolfenbüttel“ konnte hingegen noch nicht beendet werden, denn die bisherigen Untersuchungen an den für den Bearbeitungszeitraum relevanten Aktenfaszikeln ergab den erfreulichen Be-fund einer sehr dichten Überlieferung, der in dieser Art aus den Findbüchern bei der Antragsstel-lung 2006 nicht abzuschätzen war.
Mit der Aufarbeitung der im Niedersächsischen Landesarchiv – Hauptstaatsarchiv Hannover la-gernden Aktenbestände, insbesondere die Signaturengruppe Cal.Br. 21, hat die Bearbeiterin 2008 begonnen. Die Einsichtnahme in die Findbücher des Depositums 84 KG wurde im Sommer 2008 gewährt, so dass der Antrag für die danach als relevant ermittelten Aktenfaszikel umgehend erarbeitet werden konnte. Die Genehmigung hierfür steht noch aus. Die Bearbeiterin hat zudem begonnen umfangreiche Personendossiers anzulegen, die für die Analyse fürstlicher Kommunikationsstrukuren und sozialer Netzwerke unabdingbar und häufig aus der zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Forschungsliteratur nicht zu ermitteln sind. Die erhobenen Personendaten umfassen nicht nur das Hofpersonal sondern auch Mitglieder der jeweiligen Herkunftsdynastie der Frauen sowie der Braunschweig-Wolfenbüttler Welfen als der Dynastie, in welche sie einheirateten, und nicht zuletzt Mitglieder anderer Dynastien, mit wel-chen die fürstlichen Witwen z.B. brieflichen Austausch oder auch persönlichen Umgang pflegten. Vom 1.2. bis zum 31.3.2008 befand sich die Bearbeiterin als Stipendiatin der Rolf und Ursula Schneider-Stiftung zur Förderung der Geschichtswissenschaften an der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel. Die Bearbeiterin hat sich zudem vom 20.-24.9.2008 am 11. Symposium der Residenzenkommissi-on der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen in Wien unter dem Leitmotiv „Vorbild, Aus-tausch, Konkurrenz. Höfe und Residenzen in der gegenseitigen Wahrnehmung“, vom 6.-8.11.2008 an der 14. Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit in Stuttgart-Hohenheim unter dem Thema „Geschlechterkonflikte“ sowie vom 14.-15.11.1008 an der 6. Inter-disziplinären Konferenz zur Frauen- und Geschlechterforschung in Sachsen-Anhalt zum Thema „Schwestern und Freundinnen. Zur Kommunikations- und Beziehungskultur von und unter Frau-en“ beteiligt. Am 2.12.2008 stellte die Bearbeiterin darüber hinaus das obige Forschungsprojekt in der Vortragsreihe „Die Forschungsunternehmen zur Niedersächsischen Landesgeschichte“ unter dem Titel „‚und wollen nun alhiero resitiren‛ Niedersächsische Frauenforschung am Beispiel welfischer Witwen“ einem größeren Publikum vor.






Das Projekt wurde von Gritt Brosowski durchgeführt.