Göttinger Pferdetage - Bindeglied zwischen Theorie und Praxis auf höchstem Niveau

Presseinformation Nr. 004/2011 - 28.04.2011


Ein Bericht von Bettina Schraps


Göttingen. Mit einem Potpourri an Daten, Fakten und praktischen Erfahrungen aus den Bereichen Vermarktung, Ausbildung des Pferdes, Fortpflanzung, Fütterung, Haltung und Pferdegesundheit wartete die diesjährige Auflage der Göttinger Pferdetage auf. Hauptziele der Tagung sind neben der Weitergabe praxisrelevanter Forschungsergebnisse in verständlicher Form der Austausch und die fundierte Diskussion mit den Praktikern, die zu einer gegenseitigen weiterführenden Befruchtung und dem Anstoß neuer Forschungsarbeiten führen.

Für die Züchter von besonderer Bedeutung war im Block Vermarktung der Vortrag von Dr. Heiko Meinardus, der aus berufenem Munde den Zuchtverbänden nahelegte, alte Zöpfe abzuschneiden und eigene Praktiken und Vermarktungsschwerpunkte in Frage zu stellen. Er forderte die Verbände konkret auf, mehr auf den kleinen Züchter einzugehen und diesem die Vermarktung der Pferde, die nicht in den Spitzensport gehen, durch Verbesserung der Serviceleistung und der Beratung zu vereinfachen.

Die grundlegenden Probleme des Pferdesports vor dem sich wandelnden Gesellschaftsbild und in der Konkurrenzsituation zu neuen Trend- und Nischensportarten zeigte Prof. Dr. Achim Spiller auf. Der Spitzensport in der Reiterei sei stark professionalisiert und lenke zudem oftmals durch Dopingaffären und andere Negativschlagzeilen das Image des gesamten Pferdesports in eine unerwünschte Richtung. Generell organisierten sich im Breitensport immer weniger Menschen in Vereinen und Außer-Haus-Aktivitäten verlören an Bedeutung. Die Zukunft einer Sportart liege immer auch in der Jugendarbeit, was für die stärkere Förderung von Reiten als Schulsport spräche, was zusätzlich den Einsatz von Schulpferden wieder wirtschaftlich mache und mehr Neueinsteigern die Möglichkeit gäbe, das Reiten zunächst zu lernen, ohne sich durch die aufwändige Anschaffung eines eigenen Pferdes sofort langfristig zu binden.

Der Block Ausbildung eröffnete mit einer spannenden Gegenüberstellung der Ausbildungssysteme in den verschiedenen Reitweisen, die nach der Darstellung der Referenten letztlich so verschieden gar nicht waren. So strebe doch jeder Reiter – egal welcher equestrischen Couleur – eine Harmonie mit seinem losgelassenen Pferd an, das aufmerksam, willig und fleißig seinen Hilfen Folge leiste.

Nach ihren Einzelvorträgen stellten sich Richard Hinrichs für die Barockpferdereiter, Jörg Bös für die Westernreiter, Suzan Beuk für die Gangpferdereiter am Beispiel der Islandpferdereiter und Michael Putz für die deutsche Reitlehre auf dem Podium einer Diskussion, die aber von Kleinigkeiten abgesehen äußerst harmonisch verlief. Einen akademischen Bogen um das große Ganze der ethologischen Pferdegerechtheit in der Ausbildung spannte der belgische Gastreferent Prof. F. O. Ödberg. In der heimeligen Mundart eines Hercule Poirot fesselte Ödberg die Zuhörer mit der verhaltensbiologischen Seite der Pferdeausbildung. Seinen humoristischen Einstieg nahm er mit der Anmerkung, dass seit Xenophon gejammert würde, wie schlecht es um die Reiterei bestellt sei. Ausgehend vom Pawlowschen Hund erklärte er die Bedeutung der Eindeutigkeit der Signale, die einen unabhängigen Sitz voraussetzt und wie aus dieser Grundlage heraus das Pferd geschult wird, auf immer geringere Signale zu reagieren. Unter dem Tierschutzaspekt in der Reiterei verdeutlichte Ödberg, dass widersprüchliche Reize (kontradiktorische Stimuli) – wie ein starkes Herantreiben (Vorwärtsimpuls) an die feststehende Hand (Rückwärtsimpuls) – Stress verursachen und experimentelle Neurosen zur Folge haben können.

An das Lernverhalten knüpfte Dr. Konstanze Krüger mit ihrem Beitrag über das soziale Lernen der Pferde an. Wer bisher glaubte, der Einsatz eines Führpferdes beim Training von Remonten sei lediglich auf dem Folgetrieb des Herdentieres Pferd begründet, der wurde von der Regensburger Arbeitsgruppe eines Besseren belehrt. Anhand jüngster Forschungsserien zeigten sie auf, dass junge, rangniedere Pferde sowohl Verhalten als auch Lerninhalte von älteren, ranghöheren Pferden kopieren. Dem Menschen – und hier vor allem der bekannten Bezugsperson – komme dabei durchaus eine Mediatorenrolle zu, die er auch für die zweckorientierte Ausbildung des Pferdes als Reit – oder anderes Nutztier gewinnbringend einsetzen kann.

Im Bereich der Zuchtwertschätzung trugen verschiedene Referenten, kompetent moderiert von der Leiterin des Haupt- und Landgestüts Marbach, Dr. Astrid von Velsen-Zerweck, zu einem abgerundeten Bild der bestehenden integrierten Zuchtwertschätzung bei. Im Vergleich zu anderen Tierarten hielt die auf einem BLUP-Tiermodell beruhende Zuchtwertschätzung beim Pferd erst spät Einzug- Aufbauend auf der Dissertation der Moderatorin von 1998 wurde im Jahr 2001 auf die integrierte Zuchtwertschätzung umgestellt, die auch heute noch stetig verbessert und erweitert wird. Nicht zuletzt wird an einer Integration des Merkmals „Interieur“ gearbeitet. Trotz aller Bemühungen ist eine ausreichende Akzeptanz und Nutzung der Zuchtwertschätzung beim Pferd durch das Gros der Züchter aus verschiedenen Gründen nicht gegeben und erreicht somit auch ihr Ziel – die Verbesserung der Pferdezucht – nur partiell.

Aus aktuellem Anlass mit Spannung erwartet wurden die Beiträge zum Thema Heißbrand. Die Kennzeichnung von Pferden mittels Heißbrand ist ein traditionelles Verfahren. Durch die Einführung einer EU-weiten Pflicht, alle Equiden mit Mikrochips zu versehen, geriet der Heißbrand in die Schusslinie der Tierschutzorganisationen und wurde über Nacht zum Politikum und Spielball der Interessengruppen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Darstellung der Arbeitsgruppe um Prof. Christine Aurich: beide Kennzeichnungsverfahren rufen bei Fohlen durchaus vergleichbare akute Stress-Reaktionen hervor, die aber in beiden Fällen vorübergehender Natur sind.

Dem Team der Göttinger Pferdetage 2011 ist es durch Einbeziehung namhafter Referenten aus dem gesamten Bundesgebiet und dem angrenzenden Ausland gelungen, Wissenschaft und Praxis auf höchstem Niveau zusammenzubringen. Die Beiträge waren verständlich und eingängig aufbereitet, so dass es dem Praktiker ein Leichtes war, seine Take-Home-Message zu ziehen. Die angeregten Diskussionen mit Funktionären der Pferdezucht- und Pferdesportverbände und dem interessierten Publikum hat den anwesenden Wissenschaftlern weitergehende Denkanstöße, Aufgaben und Fragestellungen geliefert. Nicht zuletzt dient die Göttinger Plattform immer auch als Schnittstelle zwischen Absolventen und Arbeitsmarkt und übernehmen damit eine wichtige Funktion hinsichtlich der Vernetzung innerhalb der Branche.

Erstmals wurde in diesem Jahr im Rahmen der Göttinger Pferdetage der Förderpreis der „Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft um das Pferd“ für herausragende wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Pferd an Lisa Schmidt aus Visselhövede, verliehen. In ihrer Masterarbeit hat sie hannoverscher Stutenstämme mittels quantitativ-genetischer Modelle untersucht und dabei Effekte der Mutterlinie nachweisen können, die auf zusätzlichen Informationen der Mitochondrien-DNA beruhen.


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Kontakt

Christina Münch
Georg-August-Universität Göttingen
Fakultät für Agrarwissenschaften - Department für Nutztierwissenschaften
Abt. Produktionssysteme der Nutztiere
Albrecht-Thaer-Weg 3
37075 Göttingen
E-Mail: cmuench@gwdg.de
Tel.: 0551-79774526
www.pferdewissenschaften.uni-goettingen.de