Offener Brief An die Verantwortlichen des Genderlabors, Studierende und Interessierte


Anlass für diesen offenen Brief ist ein Anfang Januar 2016 geplanter Vortrag im Rahmen des Genderlabors.
Das Genderlabor ist eine Veranstaltungsreihe des Göttinger Centrums für Geschlechterforschung (GCG) in Kooperation mit den Graduiertenschulen für Geistes- und Gesellschaftswissenschafte (GSGG und GGG), die dazu dienen soll, Forschungen der Gender Studies in Göttingen sichtbarer zu machen.
Wir wurden von verschiedenen Seiten darauf aufmerksam gemacht, dass einer der Vorträge von einem Mitglied der Göttinger Damenverbindung AV Parnassia gehalten werden soll.


Das kritisieren wir aufs Schärfste!



Die AV Parnassia steht - wie so viele Verbindungen - in einer antisemitischen Tradition: Sie beruft sich auf ihrer Homepage auf die Damenverbindung Elisabeth, die 1915 gegründet wurde. Diese bezog sich unter Anderem positiv auf das Deutsche Kaiserreich mit seinen Antisemitismusbewegungen. Da die Parnassia sich - wie fast alle Verbindungen - mit studentischen Traditionen brüstet, ist diese historische Tatsache nicht auszublenden. Sie arbeitet außerdem mit einer Studentenverbindung zusammen, die sich ausdrücklich nationalistisch präsentiert und die offensichtlich kein Problem damit hat, dass ihre Farben der Flagge des Deutschen Reiches nahe kommen.

Des Weiteren vertritt die AV Parnassia ein konservatives Geschlechterbild. Denn ihre Zusammenarbeit mit einer pflichtschlagenden Herrenverbindung, deren Werte geprägt sind von einer Orientierung an einer soldatischen Männlichkeit, die es unserer Ansicht nach endgültig zu überwinden gilt, sowie die enge Verbundenheit mit einer Damenverbindung, die sich auf heterosexistische Prinzipien beruft, zeugen für uns von einer mangelnden Reflektion von Geschlechtszuschreibungen und sprechen für die Unterstützung von traditionellen Geschlechterrollen. Dies hat mit den Ansprüchen einer Reflektion dieser Normen und Werte im Sinne der Geschlechterforschung nichts mehr gemein.

Wir betrachten die Geschlechterforschung mit all ihren feministischen Kämpfen als ein hochpolitisches Fach, dem das hierarchische, elitenfördernde und (hetero)sexistische Verbindungswesen konträr gegenübersteht. Kaum eine andere wissenschaftliche Disziplin muss so viele politische Kämpfe führen und sich für seine Existenz der Art oft rechtfertigen wie die Geschlechterforschung. Somit liegt der politische Impetus der Disziplin auf der Hand und wird durch anti-feministische Anfeindungen gegenüber Lehrenden und Forschenden und die permanente Infragestellung der Wissenschaftlichkeit der Geschlechterforschung sichtbar. Fraglich ist, ob Menschen aus Zusammenhängen, die wir in keiner Weise als Teil dieser politischen Kämpfe verstehen, im Rahmen dieser politischen Wissenschaftsdisziplin Raum bekommen sollten.

Es geht hierbei nicht um die Kritik an wissenschaftlichen Inhalten oder um die Diffamierung von Einzelpersonen. Vielmehr kritisieren wir im Generellen die Zusammenarbeit mit studentischen Verbindungen und ihren Akteur*innen aufs Schärfste und lehnen diese folglich ausdrücklich ab.

Angebotene Einzelgespräche mit Verbinder*innen lehnen wir ab, da es uns eben um eine generelle Kritik am Verbindungswesen geht, um Strukturen mit regressiven Werten, und die Frage, wer im Kontext feministisch-emanzipativer Forschung Raum bekommen soll; nicht um individuelle Einzelpersonen, die sich für ihren Lebensbund mit einer Verbindung rechtfertigen.

Gespräche mit Delegierten des Göttinger Centrums für Geschlechterforschung (GCG) waren für uns keineswegs zufriedenstellend. Unsere geäußerte Kritik und die Forderung nach einer Auseinandersetzung mit der Problematik führte aus unserer Sicht zu Abwehrreaktionen und unverhältnismäßigen Äußerungen, die vom Vorwurf einer massiven Hexenjagd bis zum Vorwurf fast faschistischen Vorgehens reichten. Die inhaltliche Auseinandersetzung der Verantwortlichen des Genderlabors mit der Thematik empfinden wir als unzureichend. Darüber hinaus wurden die inhaltlichen Kritikpunkte der Fachgruppe hinsichtlich der strukturellen Problematik von Verbindungen offenbar nicht wahrgenommen, weshalb die Gespräche schließlich in solche unsachlichen Unterstellungen mündeten.

Wir fordern hiermit eine öffentliche Stellungnahme des Göttinger Centrums für Geschlechterforschung (GCG), der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen (GSGG), der Göttinger Graduiertenschule Gesellschaftswissenschaften (GGG), der Universität Göttingen sowie aller verantwortlichen Akteur*innen zur Thematik.


Gezeichnet
Fachgruppe Geschlechterforschung

Wir bitten Euch das Anliegen zu unterstützen und die Informationen weiterzutragen.
Link zum Unterzeichnen: https://www.uni-goettingen.de/de/529179.html?v=n