Veranstaltungen zu Palästina und dem Nahost-Konflikt im WS 2016/17


Im Rahmen des Forschungs- und Lehrschwerpunktes "Palästina und der Nahostkonflikt" am SAI und in Zusammenarbeit von Prof. Dr. Irene Schneider und RiLG Prof. Dr. Dr. h.c. Kai Ambos (Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung und internationales Strafrecht), fand im Wintersemester 2016/17 eine Reihe von Veranstaltungen zu Palästina und dem Nahostkonflikt statt, die einander begleiten und ergänzen sollten.
Für den 01.11.2016 war die Eröffnung der vom Verein Flüchtlingskinder im Libanon e.V. (http://www.lib-hilfe.de/) konzipierten Wanderausstellung "Die Nakba - Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948" im Kulturwissenschaftlichen Zentrum der Universität vorgesehen. Im Anschluss an die Eröffnung sollte die Vortragsreihe "Naher Osten - Ferner Frieden? Rechtliche, historische und politische Aspekte" mit dem Vortrag des international renommierten Islamwissenschaftlers Prof. Dr. Udo Steinbach (Berlin) zum Thema "Der Palästina-Konflikt- Eckstein in der Architektur des Neuen Nahen Ostens" beginnen. In der Lehre wurde die Ausstellung zudem durch ein Seminar von Prof. Dr. Schneider zu "Erinnerung, Erinnerungskultur und Konstruktion einer nationalen Identität: Die Nakba und Palästina" begleitet.
Seminarbeschreibung: Die Lehrveranstaltung "Erinnerung, Erinnerungskultur und Konstruktion einer nationalen Identität: die Nakba und Palästina" (Modul: B.Ara.10/M.Ara.5 und 7) beschäftigte sich mit der Frage der Rekonstruktion der Geschichte des Krieges 1948 und den damit zusammenhängenden Ereignissen wie auch mit den Narrativen auf arabisch-palästinensischer und jüdisch-israelischer Seite. Die Definition von Narrativen und ihre Bedeutung für die Erinnerungskultur wurden eingehend thematisiert. Unterschiedliche Quellen (die Ausstellung, wissenschaftliche Darstellungen, Schulbuchliteratur) wurden auf ihre Narrative hin analysiert.
Obwohl seit über einem Jahr geplant und bekannt, konnten die Veranstaltungen teilweise jedoch nicht wie vorgesehen durchgeführt werden. Am 27.10.16 veröffentlichten der Fachschaftsrat Sozialwissenschaften und der AStA einen offenen Brief mit der Forderung die "antisemitische Veranstaltungsreihe" abzusagen. Sowohl in Bezug auf die Ausstellung als auch gegenüber einzelnen Vortragenden wurden Vorwürfe erhoben. Das Präsidium der Universität beschloss daraufhin die Verschiebung der Ausstellungseröffnung um eine Woche. Nachdem das nun gewählte Datum - der 08. November - von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen (www.gcjz-goettingen.de) als unangemessen für die Eröffnung einer Ausstellung über Flucht und Vertreibung der Palästinenser kritisiert wurde, erfolgte eine erneute Verschiebung um eine weitere Woche. Die gemeinsame Eröffnung von Ausstellung und Vortragsreihe war somit nicht mehr möglich. Die Vortragsreihe begann am 08.11. mit dem Vortrag "Two Sides of the Coin: Independence and Nakba 1948 - The Israeli and Palestinian Narrative" von Prof. Dr. Adel Manna, der dafür aus Jerusalem angereist war. Er befasste sich darin mit dem israelischen Narrativ zur Staatsgründung und dem palästinensischen Narrativ zur Nakba (arabisch für "Katastrophe"), d.h. zur Flucht und Vertreibung von Palästinensern um 1948, und verwies auf die Forschung der "Neuen Historiker" in Israel seit den späten 80er Jahren, die entgegen der traditionellen Geschichtsschreibung nicht von einer freiwilligen Migration der Palästinenser im Rahmen der israelischen Staatsgründung ausgehen, sondern u.a. durch die Öffnung der israelischen Militärarchive gewaltsame Vetreibungen belegen können.

Am 13.11. traf das Präsidium die Entscheidung, die für den 15.11. vorgesehene Ausstellungseröffnung ein weiteres - und damit drittes - Mal zu verschieben und zwar um ein halbes Jahr zwecks voriger Einholung "neutraler wissenschaftlicher Expertise".
Prof. Dr. Schneider und Prof. Dr. Ambos beschlossen daraufhin, die Ausstellung mit Unterstützung aus der Zivilgesellschaft außerhalb der Universität zu zeigen. Die Ausstellung wurde am 30.11. in der Galerie Alte Feuerwache in Anwesenheit von etwa 200 Besucher_innen eröffnet und sollte zunächst bis zum 17.12. dort zu sehen sein. Aufgrund des großen Interesses wurde sie schließlich bis zum 30.12. verlängert. Auch die Zahl von 450 verkauften Ausstellungskatalogen belegt das rege Interesse der Öffentlichkeit für das Thema.
Die Vortragsreihe zur Ausstellung konnte wie geplant weitergeführt werden. Am 22.11.2016 sprach Prof. Dr. Moshe Zimmermann (Jerusalem) über "Angst vor dem Frieden. Der Ausnahmezustand als israelischer Normalzustand". Prof. Zimmermann erörterte seine Feststellung, dass der Glaube an und das Hinwirken auf einen stabilen Frieden mit den Palästinensern in der israelischen Gesellschaft einem Sich-Arrangieren mit dem Ausnahmezustand gewichen ist. Herstellung und Erhaltung von Sicherheit haben dabei oberste Priorität, während Bemühungen um die Herbeiführung einer für beide Seiten akzeptablen Lösung des Konflikts kaum mehr Unterstützung finden.
Allgemeine Fragen und aktuelle Entwicklungen im internationalen Recht waren am 06.12. Thema des Vortrags "Völker(straf)rechtliche Aspekte der Palästinafrage" von RiLG Prof. Dr. Dr. h.c. Kai Ambos und Prof. Dr. Peter-Tobias Stoll (Göttingen). Hier wurde unter anderem auf wichtige Entwicklungen im Hinblick auf die Staatlichkeit Palästinas hingewiesen. So hat Palästina seit 2012 den Status als Beobachterstaat bei den Vereinten Nationen inne und ist seit 2015 Mitgliedsstaat beim Internationalen Strafgerichtshof, dessen Anklagebehörde Voruntersuchungen zu möglichen völkerstrafrechtlichen Verbrechen durch beide Konfliktparteien im Rahmen des Gaza-Konfliktes 2014 aufgenommen hat.
Am 10.01.2017 sprach Dr. Alaa Tartir (Genf) zu "Securitised Peace in Palestine-Israel: Criminalising Resistance under Colonial Occupation".Dr. Tartir legte sein Verständnis von "Resistance" im palästinensischen Alltagsleben dar, nach welchem beispielsweise das Nachgehen einer Arbeit oder eines Studiums trotz der durch Checkpoints und Sicherheitsmaßnahmen stark eingeschränkten und erschwerten Mobilität eine Form des friedlichen Widerstands ist. Neben der Feststellung, dass das Ende der israelischen Besatzung der erste Schritt auf dem Weg zu einer Lösung sein müsse, warf Dr. Tartir auch die Frage auf, welche Missstände innerhalb der palästinensischen Führung und Führungsweise behoben werden müssen, um ein Vorankommen im Friedensprozess zu ermöglichen.
Prof. Dr. Rolf Verleger (Lübeck) ging in seinem Vortrag am 24.01. "Sympathisieren Deutsche mit Palästina aus Abneigung gegen Juden?" zunächst auf die Haltlosigkeit/Unbegründetheit der Vorwürfe ein, die gegen ihn im offenen Brief des FSR SoWi erhoben wurden, indem er auf zahlreiche Beispiele herausragender jüdischer und zionistischer Persönlichkeiten hinwies, die ebenfalls sachliche und nicht selten scharfe Kritik am israelischen bzw. zionistischen Umgang mit den Palästinensern übten, ohne deshalb im Verdacht zu stehen, Antisemit_innen zu sein. Im Anschluss stellte er die Ergebnisse einer repräsentativen Studie dar, die zu einem Verneinen der im Vortragstitel gestellten Frage "Sympathisieren Deutsche mit Palästina aus Abneigung gegen Juden?" führen. Die Präsentation zum Vortrag kann hier angesehen werden (Link).
Am 31.01.2017 schloss die Reihe mit dem ursprünglich für die Eröffnung vorgesehenen Vortrag von Prof. Dr. Udo Steinbach: "Der Palästina-Konflikt - Eckstein in der Architektur des Neuen Nahen Ostens", der mit einem Blick in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft den Konflikt und seine Akteure in der von einem tiefgreifenden Umbruch erfassten arabischen Welt neu verortete. Eine Zwei-Staaten-Lösung sei nun mit dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten in noch weitere Ferne gerückt. Der "Neue" Nahe Osten, der am Ende einer womöglich noch Jahre und Jahrzehnte andauernden Zeit des Umbruchs stehen könnte, könne jedoch für die Lösung des Israel-Palästina-Konflikts neue Perspektiven und Erfordernisse für beide Seiten bedeuten.