29/12/2011: Niedriglöhner: Pendeln zwischen Billigjobs nach Tarif und Hartz IV

Niedriglöhne betreffen nicht nur Beschäftigte in Betrieben ohne Tarifbindung, auch Tariflöhne liegen häufig unterhalb der Niedriglohnschwelle. Die Financial Times Deutschland widmet sich in einem längeren Artikel dem Arbeitsmarktbereich des tariflich regulierten Niedriglohnsektors.

Nach Angaben der Zeitung würden in vielen Branchen in Deutschland Tarifgehälter deutlich unter den vereinbarten oder von Politik und Gewerkschaften geforderten Mindestlöhnen gezahlt. Teilweise liege der Stundenlohn unter 6,50 Euro. Eine Auswertung von 600 Flächentarifverträgen durch das Statistische Bundesamt habe ergeben, dass die niedrigen Tarifverdienste insbesondere für gering qualifizierte Beschäftigte in gewerkschaftlich schlecht organisierten Branchen wie Gartenbau und Landwirtschaft sowie in Handwerks- und Dienstleistungsbranchen gälten. Im Konditorenhandwerk in Bayern etwa beginne der Tarifverdienst bei 5,26 Euro je Stunde. Auch Fleischer in Sachsen (6,00 Euro je Stunde), Gärtner in Brandenburg (6,46) und Mitarbeiter im Hotel- und Gaststättengewerbe (6,29) würden bisweilen weniger als 6,50 Euro je Stunde erhalten. Auch in anderen Dienstleistungsbranchen seien tarifliche Stundenverdienste von deutlich unter 8,00 Euro verbreitet, beispielsweise im Friseurhandwerk (Schleswig-Holstein: 6,00 Euro), in der Textilreinigung (Osten: 6,73 Euro) und im Einzelhandel (Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen: 7,23 Euro).

Erschwerend komme laut FTD hinzu, dass viele Menschen nur kurzfristig einen Job bekämen, als Zeitarbeiter, über Werkverträge oder in Befristung. Durch die Kurzzeit-Jobs rutschten sie schnell wieder in die Arbeitslosigkeit und würden dort dann immer häufiger direkt zu Hartz IV-Beziehern. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit seien in den vergangenen zwölf Monaten (Stand Ende November) von den 2,8 Millionen Menschen, die sich nach der Kündigung als erwerbslos gemeldet hätten, 737.000 auf Hartz IV angewiesen. Dass Arbeitslose erst gar kein Arbeitslosengeld mehr erhielten, sondern direkt ins staatlich finanzierte Hartz-IV-System abrutschten, habe nach Einschätzung der Bundesagentur mehrere Gründe: "Entweder war die Beschäftigungszeit zu kurz, um Ansprüche zu erwerben, oder das früher erzielte Lohneinkommen war zu niedrig, um mit dem daraus abgeleiteten Arbeitslosengeld-Anspruch den Bedarf zu decken, und muss mit Arbeitslosengeld II aufgestockt werden".

Quellen: Financial Times Deutschland vom 29.12.2011
             Pressemitteilung Nr. 488 des Statist. Bundesamtes vom 28.12.2011