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Navigationssystem für die alte Welt

(her) „Die Straße war so schlecht, dass die Pferde zerschunden wurden.“ Diese Aussage aus alter Zeit lässt auf die Straßenverhältnisse und die Wegezeiten von Postboten oder Händlern schließen. Am Institut für Historische Landesforschung entstehen digitale Karten, in denen frühe Straßennetze mit Informationen zu Topografie, Orten und Infrastruktur verknüpft werden.

Im Forschungsprojekt „Chausseebau in Nordwestdeutschland 1764 bis 1843“ recherchierten die Landeshistoriker, was in alten Karten und Standardwerken über den vom Kurfürstentum Hannover und den anderen niedersächsischen Territorien zentral gesteuerten Ausbau des Wegenetzes durch moderne, befestigte Straßen zu finden ist. Wann wurden die Chausseen zu welchen Kosten gebaut, wann welches Wegstück fertiggestellt, wo wurden Alleen gepflanzt?

Am Computer kartierten sie diese Entwicklung exakt in Raum und Zeit und verknüpften dies mit weiteren Spezialkarten, Informationen zu Post- und Zollstationen sowie Abbildungen von Meilentafeln, Brücken und Gebäuden. Ab November wird die Chaussee-Karte online allen Interessierten zur Verfügung stehen. „Andere können damit weiterarbeiten, zum Beispiel Handelswege und Wirtschaftsräume analysieren,“ sagt Projektkoordinator Dr. Niels Petersen.

Den Weg von gedruckten Regionalkarten hin zur digitalen Kartografie konnten die Historiker gehen, weil sie Unterstützung am Geographischen Institut fanden. Dr. Stefan Erasmi und Prof. Dr. Martin Kappas sind Experten für Geographische Informationssysteme, kurz GIS, und teilten ihr Wissen und ihre Erfahrung mit den Geisteswissenschaftlern. Das Chaussee-Projekt wurde im Rahmen des Campuslabor Digitalisierung gefördert und vom Göttingen Centre for Digital Humanities begleitet. „Wir haben die Methoden ausprobiert und entwickelt, nutzen nun unser erworbenes Wissen im Projekt zu vormodernen Handelsstraßen im Hanseraum“, so Petersen.

Darin wollen sie Handelsnetzwerke in der Zeit um 1500 rekonstruieren. Die Göttinger untersuchen das Gebiet des heutigen Niedersachsen – mit Förderung des Niedersächsischen Wissenschaftsministeriums –, Kollegen aus Lübeck, Århus und Magdeburg die Gebiete Dänemarks, Thüringens und Sachsen-Anhalts. „Entstehen soll ein modernes Navigationssystem, nur für die alte Welt“, sagt Kartografin Friederike Kaplan. Denn die digitale Karte wird auch über Reisegeschwindigkeiten und Gravitationszentren des Handels Auskunft geben. „In einem Ort mit Stapelrecht mussten die Händler anhalten und ihre Waren drei Tage lang anbieten“, erklärt Petersen. Vermutlich reisten Händler auch von Jahrmarkt zu Jahrmarkt, um Gewürze, Tuche und Wachs, Kochgeschirr, Vieh oder Korn anzubieten. Ein mit der Karte verknüpfter Kalender der Jahrmärkte lässt Reiserouten und -zeiten nachvollziehen, ein Bild der damaligen Handelslandschaft entsteht.