MINDESTLÖHNE:




11/06/2014:
Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose ist kontraproduktiv

Die bevorstehende Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns wird nicht ohne Ausnahmeregelungen für verschiedenste Arbeitnehmergruppen bleiben. Abgesehen von den sowieso nicht von der Regelung erfassten Auszubildenden und Praktikanten (sofern in schulischer Ausbildung oder im Studium) sollen laut aktuellem Gesetzentwurf zumindest auch Jugendliche unter 18 Jahren und Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten einer neuen Anstellung kein Anrecht auf den Mindestlohn haben. Für letztere wird diese Regelung einer neuen Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung zufolge allerdings eher Nach- als Vorteile bringen.

Laut einer Pressemitteilung des WSI werde die vorgesehene Mindestlohn-Ausnahme die Arbeitsmarktchancen von Langzeitarbeitslosen verschlechtern und das Tarifsystem schwächen. Es gebe wenig Hinweise darauf, dass die Sonderregel, die es nach der WSI-Untersuchung in keinem anderen EU-Land mit Mindestlohn gebe, die Arbeitsmarktchancen von Langzeitarbeitslosen verbessere. Vielmehr würden Unternehmen starke Anreize erhalten, nach einem Zeitraum von sechs Monaten den vormaligen Langzeitarbeitslosen wieder zu entlassen und durch einen neuen (günstigeren) Langzeitarbeitslosen zu ersetzen. Somit drohten Drehtüreffekte, die die Chancen von Langzeitarbeitslosen auf einen dauerhaften Wiedereinstieg weiter verschlechterten und lediglich kurzfristige und instabile Beschäftigungsverhältnisse förderten.

Auch in eine andere Richtung drohten durch die Ausnahmepläne nach der WSI-Analyse "widersinnige Effekte": Sie machten es für Unternehmen unattraktiver, nach Tarifvertrag zu bezahlen, denn tarifungebundene Firmen könnten den Mindestlohn bei Langzeitarbeitslosen bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit unterschreiten. Diese zieht die Rechtsprechung erst, wenn ein Drittel weniger als das ortsübliche Entgelt gezahlt werde. Nach Ansicht des Autorenteams sei diese potenzielle Schwächung des Tarifsystems ein "mehr als problematischer Effekt" eines Gesetzes, das explizit die "Stärkung der Tarifautonomie" zum Ziel habe.

Quelle: WSI-Pressemitteilung vom 11.06.2014

Weiterlesen:
Amlinger, M./ Bispinck, R./ Schulten, T. (2014): Kein Mindestlohn für Langzeitarbeitslose? WSI Report, Nr. 15, Juni 2014.