Dr. Niels Penke (Göttingen)


Ein »mißliches Ding«? Theorie und Praxis kollektiver Autorschaft(en)


Respondent: Dr. Stephan Pabst (Jena)


Zeit: 6. Februar 2014, 18h c.t.
Ort: Raum VG 3.102 (Verfügungsgebäude, Platz der Göttinger Sieben 7, 37073 Göttingen).


Abstract

Obwohl die im ›Balladenjahr‹ 1797 gemeinsam verfassten Xenien als erfolgreicher »Staatsstreich« (Frieder von Ammon) Goethe und Schiller als Partei der Klassiker inthronisieren, wird der Zyklus schon bald darauf verschwiegen und sein Vergessen forciert. Zeitgleich beginnen sich die Ideale der Geselligkeit und der ›Herzensbruderschaft‹ in Gemeinschaftsprojekten der Romantik(er) niederzuschlagen. Angeregt durch eine Idee Jean Pauls wird der ›Doppelroman‹ 1808 mit Die Versuche und Hindernisse Karls verwirklicht, der für spätere Texte bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts Vorbildcharakter annehmen sollte.
Auch wenn sich seit Jack Stillingers Studie Multiple Authorship and the Myth of Solitary Genius (1991) die Wahrnehmung gemeinschaftlichen Schreibens verändert und seine Erforschung seither vor allem in der anglo-amerikanischen Literaturwissenschaft ihren Platz gefunden hat, fristen Phänomene kollektiver oder kollaborativer Autorschaft in der deutschen bzw. europäischen Wissenschaft weiterhin ein Nischendasein – und dies weniger weil Goethe und Schiller, Der Roman der XII, Sjöwall und Wahlöö oder die Autor/innen des Gästehauses (u. a. P. Bichsel, H. Fichte, N. Born) marginale Figuren und Gegenstände der Literaturgeschichte wären; Grund hierfür ist vielmehr ein mangelndes Bewusstsein für andere Formen des Schreibens, die vom dominierenden Paradigma individueller Autorschaft abweichen. Bislang sind daher weder die historische Entwicklung von Gemeinschaftsprojekten in ihren literarischen Formen und schreib¬technischen Produktionsprozessen noch ihr internationaler Kontext systematisch umfassend untersucht worden.
Auch hinsichtlich der Terminologie herrscht bislang kaum Klarheit: Worin bestehen (mögliche) Unterschiede zwischen den Zuschreibungen ›kollaborativ‹ oder ›kollektiv‹? Welche Vorstellungen von Text und dessen Autorisation stehen dahinter? Und was überhaupt motiviert zwei oder mehrere Personen dazu, ihre Texte gemeinsam zu konzipieren, sie in einen ›Werk‹-Zusammenhang zu stellen oder als überindividuelles Kollektiv komplett zusammen zu schreiben? Was steht am Ende auf dem Buchtitel, und wie sieht die Rezeption dieser Texte aus, die erstaunlich häufig scheitern, indem sie als ›Scherz‹ disqualifiziert oder einfach vergessen werden?