Jun.-Prof. Dr. Dimitri Almeida ✝


Das Seminar für Romanische Philologie trauert um Jun.-Prof. Dr. Dimitri Almeida, unseren langjährigen und überaus geschätzten Kollegen und Freund, der nach langer und schwerer Krankheit am 12. Juni 2023 im Alter von erst 41 Jahren verstorben ist.

Dimitri Almeida begann seine Tätigkeit an der Georg-August-Universität Göttingen im Jahr 2009 auf einer der beiden für die kulturwissenschaftlichen Bereiche der romanistischen Studiengänge eingerichteten Stellen als Lehrkraft für besondere Aufgaben; mit einem sehr hohen Deputat, das Veranstaltungen in französischer Landeswissenschaft für alle Studiengänge auf Bachelor- und Masterniveau umfasste. Wenig später erweiterte er sein Lehrprofil in Richtung der Portugal- und Brasilienstudien und betreute somit dann nebst den frankophonen auch die lusophonen Kulturen.

Für diese komplexe und weitreichende Aufgabe war Dimitri Almeida durch seinen persönlichen biographischen Hintergrund, sein Studium und seine vorherige wissenschaftliche Tätigkeit bestens qualifiziert: Geboren 1981 in Porto, wo er die Deutsche Schule besuchte und mehrsprachig aufwuchs, studierte er ab 1999 an mehreren Universitäten (Freiburg i. Br., Strasbourg, Iaşi) Politikwissenschaft und Ethnologie. An der Universität Kassel promovierte er 2010 mit einer Dissertation über Konstellationen der Parteipolitik in europäischer Dimension (The Impact of European Integration on Political Parties: Beyond the Permissive Consensus, London, Routledge, 2012 und diverse Neuauflagen). Die Beschäftigung mit den Dynamiken verschiedener Akteure und Problematiken auf dem politischen Parkett Europas und insbesondere Frankreichs, die auch öfters ihren Niederschlag in der universitären Lehre fand, wurde in den folgenden Jahren durch weitere aktuelle, ebenso vielfältige wie untersuchungsbedürftige Themenfelder ergänzt: Postkoloniale Identitätsbildungsprozesse und vor allem das diffizile Verhältnis von Religion und Säkularismus. In jüngster Zeit wandte er sich außerdem der Frage der räumlichen Konstruktion von Norm und Devianz zu.

Als Dozent war Dimitri Almeida in verschiedener Hinsicht von einer Kompetenz, die Studierende wie Kollegen und Kolleginnen immer wieder bewundern durften. Da war zum einen die thematische und historische Vielfalt, die seine Lehre auszeichnete: Von der Encyclopédie bis zur aktuellen Parteipolitik in Frankreich, von der Französischen Revolution über das Vichy-Regime und den Algerien-Krieg bis zur banlieue-Problematik, von den portugiesisch-deutschen Beziehungen über den Estado Novo bis zu hybriden Kulturen oder Migration und Diaspora im portugiesischsprachigen Raum – eine beeindruckende Auswahl faszinierender Materien bereicherte jedes Semester von Neuem das Lehrangebot der Landeswissenschaften. In seinem Unterricht verband sich der stets motivierende Anspruch auf differenziertes und fundiertes Argumentieren mit innovativen didaktischen Ansätzen (schon lange vor der Pandemie war E-learning bei ihm gängige Praxis) und der Berücksichtigung individueller Bedürfnisse der Studierenden und einer intensiven Betreuung. So war es alles andere als Zufall, dass in seinem Bereich zahlreiche BA- und Masterarbeiten entstanden, die er ebenso umsichtig wie kritisch, aber immer ermutigend, begleitete. Viele seiner Studierenden sind heute Lehrerinnen und Lehrer oder promovieren zu kulturwissenschaftlich orientierten Fragestellungen.

Obwohl eine Beschäftigung als LfbA keine Forschungstätigkeit vorsieht oder gar erfordert, war Dimitri Almeidas Engagement und Energie für die Forschung beeindruckend: während seiner Göttinger Jahre entstanden vielbeachtete, ja wegweisende wissenschaftliche Arbeiten auf mehreren Gebieten. Zu nennen wären einerseits die Publikationen zu den Problemen von Religion und Politik (Laizität im Konflikt: Religion und Politik in Frankreich, Wiesbaden, Springer VS, 2017; "Exclusionary Secularism: The Front National and the Reinvention of Laïcité", Modern and Contemporary France 2017; "Marianne at the Beach: The French Burkini Controversy and the Shifting Meanings of Republican Secularism", Journal of Intercultural Studies, 2018), andererseits zu Kulturtransfer und Gender (Mulheres em rede/Mujeres en red: Convergências lusófonas [ed. mit Vanda Anastácio und María Martos Pérez], Berlin, LIT, 2018).
Zahlreiche Vorträge, die Teilnahme an Tagungen und an Projekten im In- und Ausland (darunter das DAAD/FCT-Projekt Kulturelle Netzwerke von Frauen (Portugal-Deutschland) und das neue EU-Forschungsprojekt RE-VISUALIZE: Genre et Islam dans le monde digital francophone), sowie die Mitarbeit an der Cátedra José de Almada Negreiros des Instituto Camões und der Georg-August-Universität Göttingen legen beredtes Zeugnis ab von seinem intellektuellen Tatendrang.

Neben Lehre und Forschung wirkte Dimitri Almeida unermüdlich auch in der Gremienarbeit der Georg-August-Universität mit: sein jahrelanges Engagement für den Mittelbau, im Vorstand des Seminars für Romanische Philologie, im Fakultätsrat, in der Gleichstellungskommission und diversen weiteren Gremien war alles andere als selbstverständlich und hat entscheidend dazu beigetragen, die Arbeit unserer Institution zu unterstützen.

Als der Ruf auf eine Juniorprofessur mit Tenure Track für Inter- und Transkulturelle Studien an die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erfolgte, die Dimitri Almeida im vergangenen Jahr antrat, war dies für alle, die ihn kennen und schätzen gelernt hatten, die längst fällige und angemessene Auszeichnung für eine brillante wissenschaftliche Laufbahn über Disziplinen- und Sprachgrenzen hinweg, trotz des großen Bedauerns darüber, einen so wertvollen Dozenten in Zukunft entbehren zu müssen. Mehrere der Göttinger Freundinnen und Freunde durften vor wenigen Wochen noch an seiner Antrittsvorlesung in Halle dabeisein, wo er unter dem Titel Hijab stories: wie ein neues Genre uns helfen kann, die französische Laizität neu zu verstehen inspiriert, durchdacht, plurimedial und nuanciert ein komplexes Thema anschaulich präsentierte und uns allen einmal mehr vorführte, wie nahe beieinander gesellschaftliche und politische Aktualität und wissenschaftliche Reflexion stehen dürfen und sollen. Es war eine Freude, Dimitri Almeida in der historischen Aula im Löwengebäude der Universität Halle zu hören und ihn im Kreise seiner neuen Kolleginnen und Kollegen zu erleben.

Die Feier im Anschluss an die Vorlesung, auf der wir mit ihm auf seinen Erfolg, seine Begeisterung für Forschung und Lehre und gerade mit den Göttinger Kolleginnen und Kollegen auch auf viele schöne gemeinsame Erlebnisse anstoßen konnten, werden wir in dankbarer Erinnerung behalten.

Viel zu früh müssen wir uns von Dimitri Almeida verabschieden. Wir vermissen ihn, sein herzliches Wesen, seine Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft und seinen feinen Humor.

In dieser traurigen Zeit gilt unser tiefes Mitgefühl seinem Mann Sebastian Herrmann und seiner Familie.