Der Luchs in Hessen

Seit etwa 2010 hatte sich im Norden Hessens eine kleine Teilpopulation des Eurasischen Luchses (Lynx lynx) etabliert. Die Gründer dieser Teilpopulation sind vermutlich aus dem Harz nach Hessen eingewandert. Die Teilpopulation in Hessen war das deutschlandweit erste Luchsvorkommen, das ohne direkte Einwirkung des Menschen und nicht in unmittelbarer Nähe eines der Wiederansiedlungsgebiete entstanden ist. Sie war außerdem ein wichtiger erster Schritt zur Vernetzung der harzer Population mit den beiden weiteren deutschen Luchspopulationen im Bayerischen Wald und im Pfälzerwald.
Gemeinsam mit dem Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) erfasst das Luchsprojekt der Universität Göttingen seit Herbst 2014 den Bestand der Teilpopulation im Norden Hessens mithilfe automatischer Kameras (sogenannter Fotofallen). Dabei kommt eine Methode zum Einsatz, die es uns erlaubt, Luchse anhand ihrer charakteristischen Fellmuster individuell voneinander zu unterscheiden. Auf diese Weise ist es uns gelungen, ein detailliertes Bild der Anzahl der in Nordhessen dauerhaft lebenden Luchse, sowie ihres Verbreitungsgebietes zu zeichnen, und ihre Populationsdynamiken (insbesondere Zuwanderungen und Abwanderungen) darzustellen.
Leider brach der Bestand der Teilpopulation im hessisch-niedersächsischen Grenzbereich im Laufe des Jahres 2015 vermutlich infolge der Erkrankung mehrerer Luchse an der Fuchsräude zusammen. Von ursprünglich sechs selbstständigen Luchsen blieb im Frühjahr 2016 nur ein Kuder (männlicher Luchs) in Hessen zurück. Zwar kam es in den Jahren darauf zu gelegentlichen Zuwanderungen weiterer Kuder, von denen jedoch keiner dauerhaft in Hessen blieb. Der letzte der Hessenluchse wurde im Dezember 2019 letztmalig nachgewiesen. Die kleine Splitterpopulation im Norden Hessens ist seither wieder erloschen.

Hoffnung durch Wiederansiedlung?
Der Zusammenbruch der nordhessischen Splitterpopulation hätte möglicherweise durch die Aus- oder Umsiedlung eines oder mehrerer weiblicher Luchse nach Nordhessen verhindert werden können. Weibliche Luchse legen bei der Abwanderung deutlich geringere Strecken zurück als Männchen, und können die etwa 60 km zwischen der hessischen Splitterpopulation und der Quellpopulation im Harz in der Regel nicht überwinden.
Mit dem kompletten Zusammenbruch des hessischen Luchsvorkommens ist es für eine Bestandsstützung inzwischen zu spät. Allerdings wird in der Fachwelt immer häufiger die Auffassung vertreten, die Ausbreitung des Luchses durch die Schaffung sogenannter Trittsteinpopulationen zwischen den existierenden Verbreitungsgebieten zu unterstützen. In Nordhessen, das regelmäßig von aus dem Harz abwandernden Männchen durchstreift wird, wäre möglicherweise die Aus- oder Umsiedlung eines oder mehrerer Weibchen zur Schaffung einer Trittsteinpopulation bereits ausreichend.

Hoffnung durch Zuwanderung?
Im Herbst 2019 gab es Anzeichen für eine mögliche Erholung des Luchsbestandes in Nordhessen, als im nördlich von Kassel gelegenen Reinhardswald überraschend eine Luchsin mit mindestens drei Jungtieren gesichtet wurde. Dies wäre der erste Reproduktionsnachweis in Hessen seit 2015. Der Reinhardswald liegt etwa 20 km nordwestlich des bisherigen Verbreitungsgebietes des Luchses in Hessen. Allerdings stellte sich bald heraus, dass die jungen Luchse im niedersächsischen Solling geboren wurden, und ihre Mutter offenbar nur auf einen ausgedehnten Streifzug in den Reinhardswald begleiteten. Im Januar 2020 hatte die Luchsfamilie den Reinhardswald bereits wieder verlassen. Dabei hat die Luchsin (Foto-ID B1072w) mit ihren noch halbwüchsigen mindestens zweimal die Weser gequert. Aufgrund seiner räumlichen Nähe zum niedersächsischen Reproduktionsgebiet im Solling ist der Reinhardswald ein Hoffnungsträger für eine natürliche Zuwanderung von Luchsen nach Hessen.

Fotofallen-Aufnahme der Reinhardswald-Luchse



Kooperation und Förderung
Unsere Forschung in Hessen führen wir in Kooperation mit dem Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) und in engem Austausch mit dem Arbeitskreis Hessenluchs sowie den HessenForst Forstämtern Hessisch Lichtenau, Melsungen, Reinhardshagen, Rotenburg und Wehretal durch. Finanzielle Unterstützung erhält das Projekt derzeit durch die HIT Umwelt- und Naturschutzstiftung. Frühere Förderer und Sponsoren waren: Heidehof-Stiftung, Heinz Sielmann Stiftung, Erika-Krauskopf-Stiftung, Bürgerstiftung Werra-Meißner, Krombacher.