Die Rolle und Funktion des Empfindsam-Idyllischen in Friedrich Heinrich Jacobis Erzählwerk Eduard Allwills Briefsammlung aus dem Jahr 1792


Das Empfindsam-Idyllische ist ein gattungsübergreifender Merkmalskomplex, der aus ästhetischen und topischen Elementen besteht. Dieser Merkmalskomplex wird übersichtsartig vorgestellt und auf das Erzählwerk Eduard Allwills Briefsammlung aus dem Jahr 1792 angewendet. Neben der Identifizierung von empfindsam-idyllischen Passagen liegt der Fokus besonders auf der besonderen Rolle und Funktion des Empfindsam-Idyllischen für das gesamte Erzählwerk. Dabei wird die These untersucht, dass das Empfindsam-Idyllische als (selbst)reflexive Darstellung und zugleich beschreibende Spezifizierung der Innerlichkeit einer literarischen Figur erscheint. Die empfindsam-idyllische Erfahrung entspringt dem Inneren und wird so losgelöst von äußeren Daseinsumständen empfunden. Dies wird in Bezug auf die literarische Figur Sylli durch einen Kontrast von depravierenden und gefangenen Lebensverhältnissen und geistig freier sowie sentimentalischer Innerlichkeit kontrastiert. In dem Zustand äußerlicher Gefangenheit in einem eigentlich ungewollt gesellschaftlich öffentlichen Leben sind die empfindsam idyllischen Szenen, von denen Sylli in Briefen berichtet, Ausdrucksweisen einer innerlich geistigen Freiheit, die dem Menschen nie genommen werden kann. Dieser Zusammenhang von innerlich geistiger Freiheit und empfindsam-idyllischen Szenen wird an der literarischen Figur Clerdon verdeutlicht. So schreibt Clerdon an Sylli in einem Brief über die Empfindung beim Anblick eines Sonnenaufgangs: „Des verwesenden Theils entladen, flog ich in seine Arme, sank in seinen Schoos, war bey ihm, war in ihm, in Ihm, der da ist, und war, und sein wird; kostete Allmacht, Schöpfung, ewiges Bleiben in Liebe.“1 Das Empfindsam Idyllische dient zur Beschreibung einer geistigen und metaphysischen Daseinserfahrung. In Abgrenzung zur Natur erfährt der Mensch sich selbst als besonderes Wesen in der Fühlbarkeit des eigenen Geistes und der Existenz auf einer metaphysischen Daseinsdimension. Der Geist des Menschen wird zur ontologischen Entität, die autonom von der physischen Materie des Körpers existiert. Der Geist wird so zu einem genuin menschlichen Wesenszug und ermöglicht die Innerlichkeit des Menschen. Mithilfe des Empfindsam-Idyllischen wird die Innerlichkeit des Menschen als geistiges Dasein spezifiziert.