Grexit, Brexit, EUxit?

Bericht von Dr. Nadine Behncke

Die Europäische Union wird momentan mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert, die weitreichende Folgen für die Mitgliedsstaaten und auch Drittstaaten haben können, wie die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, die daraus folgende Diskussion um einen Austritt Griechenlands aus der Währungsunion ("Grexit") und die Flüchtlingskrise. Vielfach entsteht derzeit der Eindruck, dass in der Öffentlichkeit eine Abkehr vom europäischen Gedanken stattfindet: U.a. in Frankreich, Österreich oder auch Deutschland erstarken nationalkonservative Parteien oder gewinnen Wahlen. Und die Briten stimmen am 23. Juni über ihren Verbleib in der EU ab. Europakritiker hatten es selten so leicht, wie momentan, auf offene Ohren zu stoßen.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen der EU diskutierten am 9. Mai 2016, Prof. Dr. Andreas Busch, Institut für Politikwissenschaft, Prof. Dr. Frank Schorkopf, Institut für Völkerrecht und Europarecht, Prof. Dr. Robert Schwager, Professur für Finanzwissenschaft und Herr Harm Adam, Europa-Union Göttingen, moderiert von Prof. Dr. Kilian Bizer über den Kern des Europäischen Integrationsprozesses vor dem Hintergrund eines möglichen Austritts Großbritanniens aus der EU ("Brexits").

Die bildgewaltige Sprache der Referenten sowie der trotz schönstem Sommerwetter gut gefüllte Hörsaal belegten die Kernaussage der Veranstaltung: Dass die Europäische Union kein Selbstzweck ist und nicht nur unter einem (kurzfristigen) Kosten-Nutzen Verhältnis betrachtet werden sollte:

Obgleich die Euro(pa) Skepsis in der Öffentlichkeit vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Herausforderungen zugenommen hat, hat sich dennoch eine gewisse "europäische Identität" der Bürger und Bürgerinnen entwickelt. Denn noch nie war das Interesse an europäischen Themen und Entwicklungen in anderen EU-Staaten so stark ausgeprägt wie jetzt. Prof. Andreas Busch betonte, dass es vor allem auch Aufgabe der Akademiker und der Hochschulen ist, mit sachlichen Argumenten in diesen Debatten mitzuwirken. Die leicht widerlegbaren Argumente der EU-Kritiker seien laut und deutlich zu vernehmen. Aber wenn es auch Argumente für die EU gebe, müsse man diese ebenfalls vorbringen und die Kraft der öffentlichen Debatte nutzen. Herr Harm Adam von der überparteilichen Europa Union erweiterte diese Aussage mit dem Hinweis, dass auch EU-Kritik von EU-Befürwortern erlaubt ist. Nur konstruktive Diskussionen können zu Verbesserungen der gegenwärtigen EU führen und ihre Akzeptanz in der Bevölkerung wieder stärken. In der Tat wirken die momentanen Zentralisierungsprozesse infolge der Euro- und Flüchtlingskrise wie tektonische Plattenverschiebungen auf dem EU-Kontinent. Prof. Frank Schorkopf bezeichnet die Folgen eines Brexits, also des Austritts Großbritanniens aus der EU, als einen Eingriff in den genetischen Code des Europäischen Integrationsprozesses. Denn bislang galt die EU als ein 'Club der Ewigkeit', dem man beitrat, weil man dieselben Werte teilte.

Laut Prof. Robert Schwager zeigen sich in der Brexit-Debatte über Kosten und Nutzen der EU-Mitgliedschaft in Großbritannien auch die zunehmenden Ungleichgewichte in der EU, die zu der starken Vergemeinschaftung von Politikbereichen geführt haben. Bei diesen Diskussion geht es immer um die Frage, wer Zahler ist und wer Empfänger. Unabhängig von der Betrachtungsebene sollte neben dem Solidaritätsprinzip immer auch das Prinzip der Eigenverantwortung im Vordergrund stehen.

Abschließend wurde in der Diskussion mit dem Publikum in Bezug auf den Brexit festgestellt, dass mit der Abstimmung über den EU-Verbleib Geister gerufen wurden, die evtl. nicht mehr kontrolliert werden können. Denn ein Brexit würde zu einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU führen. Schottland und Nordirland sind allerdings eindeutig Pro-Europäisch eingestellt. Insofern könnten die vermeintlichen positiven Effekte eines Austritts mit einer eindeutigen Schwächung des Vereinigten Königreichs einhergehen.