Coming in Coming out

Safe Spaces für queere Migrant_innen in Göttingen
von Amelie Heße, Philipp-Michael Schlöter, 19.08.2019

Beinahe 40 Jahre nach dem ersten Christopher Street Day in Deutschland, am 30. Juni 1979 in Berlin, fand der CSD seinen Weg am 29. Juni 2019 auch in die Universitätsstadt Göttingen. Und dieser ist nicht gerade untergegangen: über 1000 Teilnehmer feierten diesen Tag der Gleichberechtigung mit lauter Musik, Party und einer großen Parade. Wer den „typischen“ Göttinger Studierenden über seine Heimatstadt ausfragt, der wird vieles zu hören kriegen; von „Großstadt im Kleinformat“ bis hin zu „Fahrradstadt“. Was man wahrscheinlich nicht hören wird, ist, dass Göttingen ein kulturloser Ort sei, denn trotz seiner geringen Größe ist Göttingen alles andere als ein Ort ohne Kultur. Vor allem der jugendliche, studentische Charakter bringt Diversität und Offenheit in das Kulturangebot. Doch birgt Göttingen als eine solch kleine Stadt denn überhaupt eine lebendige Kultur für LGBTQ-Menschen?

Das LGBTQ-Kulturangebot ist immer noch recht überschaubar. Eine sehr junge Initiative, das Queere Zentrum, bietet mit seinen vielfältigen Angeboten auch eine Plattform für queere Menschen, die sich treffen, austauschen und nicht zuletzt auch bilden wollen. Dazu zählen wöchentliche Angebote wie z.B. der Queere Jugendtreff, queere Spielabende und Ideenwerkstätten. Im Queeren Zentrum Ich nehme mal an, dass es sich um ein Gr. von Menschen handelt, die das Queere Zentrum ins Leben gerufen haben. Das muss aber an irgendeiner Stelle mal gesagt werden. --> verankert war die International Queer Group, die queere Menschen verschiedenster Herkunft als Gemeinschaft zusammengebracht hat, die jedoch aufgrund mangelnder Leitung nicht mehr besteht. Obgleich letztere Gruppe eine sehr kleine war, so war sie doch ein starker Bestandteil der Göttinger Integration für LGBTQ- Migranten. Gerade für queere Menschen mit Migrationshintergrund ist es schwer, in einem fremden Land Fuß zu fassen. Sie werden Opfer von intersektionaler Diskriminierung und müssen sich sowohl in der Gesamtgesellschaft als auch in die vor Ort herrschenden LGBTQ- Community integrieren.

Wir befragten zwei Studenten aus Göttingen, Jane* und Samuel*, beide mit einem unterschiedlichen Migrationshintergrund, aber dennoch einer geteilten Auffassung über die derzeitige LGBTQ-Kultur in Göttingen.

Jane kommt aus Großbritannien und kam zum Studium vor knapp anderthalb Jahren nach Göttingen. Sie beschreibt die LGBTQ-Szene in Göttingen als bedeutend, wenn auch noch recht klein. Außerdem sei Göttingen, besonders durch das studentische Leben, sehr divers und die Leute seien sehr aufgeschlossen. Ihre sozialen Kontakte während ihres Aufenthaltes hier bestanden auch zu einem Großteil aus Mitgliedern der queeren Community. Das Kennenlernen spielte sich oft auch auf Dating Apps ab. Auf die Frage, ob sie hier jemals Diskriminierung (aufgrund von Herkunft/Geschlecht/Sexualität) erlebt habe, antwortete sie, dass sie sich eher als Frau diskriminiert gefühlt hätte, als wegen ihrer sexuellen Orientierung oder nationalen Herkunft. Da gäbe es jedoch keine großen Unterschiede zwischen Deutschland und Großbritannien, sie hätte sich hier nie gefährdet gefühlt. Als Safe Space führt sie zuallererst das Queere Zentrum an, insbesondere die International Queer Group, durch deren Unterstützung und Rückhalt sie letzten Endes um einiges länger in Deutschland blieb, als ursprünglich vorgesehen. Ebenso fühlte sie sich immer willkommen an Orten wie dem Juzi und Kabale. Obwohl die queere Szene leider noch sehr unterfinanziert und nicht weitreichend genug unterstützt wird, waren dies die Orte, an denen sie sich noch zu Hause fühlen konnte. In ihrer Heimatstadt gäbe es überhaupt keine Angebote für queere Menschen und es sei immer noch oft der Fall, dass sie zuhause nicht mehr willkommen sind, nachdem sie sich geoutet haben. Daher sei Göttingen, was die Angebote für LGBTQ betrifft, schon sehr gut ausgestattet.

Für Samuel aus Uganda war es wenig überraschend, dass er in Göttingen auf eine ausgeprägtere Akzeptanz für Homosexuelle stoßen würde, als in seinem Heimatland. In Uganda stehen homosexuelle Handlungen, sowohl für Männer als auch für Frauen, unter Strafe. Gleichgeschlechtliche Ehen sind im Land ebenfalls verboten. Das waren ein paar der Hauptgründe, warum er sein Heimatland überhaupt verlassen hat und zum Studieren nach Deutschland, Göttingen, gekommen ist. Wir fragten uns, wie es sich für jemanden anfühlt, der aufgrund einer Sexualität praktisch sein Leben lang um sein Wohlergehen fürchten musste, und der nun plötzlich in einer Stadt lebt, die viel offener mit Themen wie Homosexualität umgeht.

Für ihn war es zu Anfang schwierig, in der schwulen Szene Fuß zu fassen, schließlich sei man aus eigener Erfahrung immer vorsichtig, wenn es um das Thema geht – und so behielt er seine Sexualität für sich. Diskriminierung hatte er aufgrund seiner Sexualität nie erfahren. Es sei eher seine Hautfarbe gewesen, die hin und wieder für den ein oder anderen intoleranten Spruch gesorgt hat.

Durch das Wahrnehmen von Events seitens des Queeren Zentrums, des Face to Face Göttingens und der International Queer Group konnte er sich jedoch mehr und mehr in die LGBT-Community integrieren und sich mit Gleichgesinnten austauschen. Gerade die Tatsache, dass man sich in Gesellschaften befand, die nachvollziehen konnten, wie man sich fühlt, machte es für ihn leichter, sich zu öffnen. Während bei ihm zuhause Themen wie Homosexualität nicht einmal erwähnt werden durften, fand er es schon fast herzerwärmend, wie viele Menschen, und zwar nicht nur LGBT-Menschen, in Göttingen Homosexualität als eine Selbstverständlichkeit verstehen. Alleine, dass öffentliche LGBT-Events wie Partys fast monatlich angeboten werden, sei für ihn ein Grund, weiterhin in Göttingen zu bleiben. Am Ende meint er, dass die queere Kultur in Göttingen schon stark ausgeprägt sei. Man müsse tatsächlich nicht lange suchen, um Informationen über Angebote o.Ä. zu bekommen. Das sei heute zwar noch nicht überall eine Selbstverständlichkeit, sollte es aber definitiv sein.

Zwar erfolgte der Einzug des CSD in Göttingen schon etwas verspätet, allerdings ist er ein klares Zeichen für die immer weiter voranschreitende Ausbreitung und Akzeptanz gegenüber der LGBTQ-Community. Göttinger LGBTQ-Kultur ist vorhanden, doch es herrscht ein Mangel in der queeren Flüchtlingsintegration. Die International Queer Group des Queeren Zentrums war der erste große Schritt in die richtige Richtung, aber mit dem Verfall der Gruppe fehlt Göttingen ein wichtiger Bestandteil der Flüchtlingsintegration. Es sind Veranstaltungen wie der CSD, die es Migranten, die aufgrund ihrer Vergangenheit verunsichert sind, erleichtern, sich zu integrieren und ihr Coming Out einfacher zu gestalten. Es ist die Aufgabe jener Institutionen, Betroffenen Möglichkeiten zu bieten, ihre Identität sicher und vollkommen auszuleben und ihnen so das Gefühl der Zugehörigkeit zu geben innerhalb einer fremden Gesellschaft, in welcher man sich schnell verloren fühlt.

*Die Namen der Interviewten wurden aus Anonymitätsgründen abgeändert.