Wissenschaftlicher Alltag in der Ägyptologie während des Nationalsozialismus

In der Korrespondenz von Hermann Kees zeigen sich Reflexe einiger Hauptcharakteristika der Wissenschaft in der Zeit des „Dritten Reichs”: Die alten Fächer blieben zumeist erhalten, auch wenn neue hinzukamen (z. B. Rassenkunde). Außerdem gelingt es trotz mehrfacher Versuche während der NS-Zeit nicht, die alten Institutionen (z. B. Akademien) zu ersetzen. Die NS-Strukturen haben die Universität nicht vollständig transformiert, sondern sie durchdrungen und umgeben. In einem Konkurrenzverhältnis mit den In-Wissenschaften wie Volkskunde oder Germanistik und aus Angst um die Zukunft ihrer jeweiligen Disziplinen versuchen sich die Professoren anderer Geisteswissenschaften im Universitätsmanagement zu positionieren. So ist Kees 1936 als Sekretär der philosophisch-historischen Klasse der Göttinger Akademie der Wissenschaften daran beteiligt, die Konkurrenz durch eine neugegründete NS-Akademie abzuwehren. Der dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstehende Alexander Scharff beklagt sich 1934 über die neue Besetzungspolitik:

Bild_41 „Besetzungsvorschläge sind bei uns hier zur Zeit überhaupt meist überflüssig, denn man pflegt hier gerade den hinzusetzen, den wir nicht wollen. PF-Sein und sich recht germanisch gebärden, das sind die Qualifikationen für alle Fächer, gleichviel welche; Fachgelehrsamkeit kommt erst ganz zuletzt. [...]”
(Brief von Alexander Scharff an Hermann Kees vom 31.7.1934)

Kees: Alexander Scharff Ein Dreivierteljahr später hatte Kees Scharff um Vorschläge für die Besetzung einer Assistentenstelle in Göttingen gebeten. In seinem Antwortbrief bedauert Scharff, es gebe bei ihm neben „weniger Tüchtige[n]” nur „Damen, die wohl heute nicht in Frage kommen” sowie „ein sehr begabter kath. Geistlicher, der auch nicht in Frage kommt”.
Ein dem Nationalsozialismus fern stehender Wissenschaftler wie Rudolf Anthes sucht 1939, kurz vor seiner eigenen Entlassung als früherer Freimauerer, für eine Mitarbeiterstelle im ägyptischen Museum Berlin einen ausgewiesenen Parteigenossen. Dies diene aufgrund der politisch prekären Situation Anthes' dem eigenen Schutz des Mitarbeiters und dem Schutz des Museums.
Alexander Scharff (1892-1950) aus: ZÄS 79 (1954), gegenüber S. X – mit freundlicher Genehmigung des Verlages


Bild_42 „[...] Weiter ist mir wichtig zu wissen, ob er in der NSDAP oder einer Gliederung der Partei ist; ich brauche bei diesem Mitarbeiter eine eindeutig anerkannte positive Stellung zur Partei, einmal, weil ihm die Mitarbeit bei mir sonst durch die Schnüffler allzuleicht zum Verhängnis werden könnte, zum anderen, weil ich dringlich wünsche, daß die Beurteilung seiner Museumsarbeit in künftigen Fällen völlig unbeschwert von politischen Dingen nur nach seiner wirklichen Berufseignung erfolgen kann; [...]” (Brief von Rudolf Anthes an Hermann Kees vom 13.4.1939)

Der Umgang mit der Verdrängung und Verfolgung jüdischer Wissenschaftler schwankt auch in der Ägyptologie zwischen Opportunismus und persönlicher Betroffenheit, zwischen Akzeptanz und gelegentlicher Auflehnung. So bedauert von Bissing 1937 in einem Atemzug die wegen seiner Ehe mit einer Halbjüdin erzwungene Amtsniederlegung Carl Küthmanns als Verlust für das Kestner-Museum in Hannover und sieht darin gleichzeitig eine Gelegenheit, nun doch eine ägyptische Sammlung nach Göttingen zu holen.

Die NS-Politik versuchte, jüdische Gelehrte nicht nur aus dem Amt zu verdrängen, sondern auch ihre Arbeit und Rezeption zu behindern. Das Beharren auf wissenschaftlichen Standards konnte jedoch auch jetzt noch stärker als der politische Anpassungsdruck sein. So empört sich Richard Hartmann, langjähriger Herausgeber der Orientalistischen Literaturzeitung, noch 1939 über das Ansinnen eines jüngeren Ägyptologen, nicht von einem Juden (Hans Jakob Polotsky) rezensiert werden zu wollen:

Bild_43 „Anbei ein etwas erstaunlicher Brief, der mir vorgestern zuging! Ich habe an den Schreiber desselben geschrieben, dass die OLZ nicht die Aufgabe habe, eingehende Bücher gerade an junge deutsche Wissenschaftler zu vergeben, die gerne Rezensionen schreiben, sondern an die besten erreichbaren Sachkenner; dass es vielmehr ein Vorteil für Anfänger sei, wenn sie von wirklichen Sachkennern beurteilt werde [sic], und dass ich die Besprechung von P. trotz seiner Einschränkungen eher anerkennend finde und dass sie ihm sicher eher förderlich als schädlich sei. Ich habe ihm noch mitgeteilt, dass ich Ihnen Kenntnis von seinem Brief gebe.”
(Brief von Richard Hartmann an Hermann Kees vom 26.3.1939)


Die Kees-Korrespondenz reflektiert Diskriminierung und Verfolgung als Normalität des akademischen Lebens der 30er Jahre. Innerhalb dieses gerade von einem strukturell staatstreuen Wissenschaftler wie Kees akzeptierten institutionellen Rahmens versuchten Ägyptologen, ihre Inhalte so ungestört wie möglich weiter zu verfolgen, was ihnen in ihrer Nischenwissenschaft auch in vielen Bereichen gelang.