Fakultätsübergreifende Projekte


In diesem Jahr fand im Februar in der Universitätskirche St. Nikolai und im September in der St. Albani-Kirche die Praxisübung "Bauaufnahme einer mittelalterlichen Kirche" unter der Leitung von Herrn Christian Schnoor statt. Studierende des Archäologischen Instituts mit Schwerpunkt Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte nahmen an dieser Bauaufnahme teil. Im Verlauf der Planungen und der einhergehenden Beschaffung von Vermessungsgeräten und anderen Utensilien entstand eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Geistes- und Naturwissenschaften.

Der Grundgedanke des Kurses war, den Studierenden praktische Einblicke in die Vorgehensweise bei einer Bauaufnahme zu ermöglichen. Mit Hilfe von Schnurgerüsten, Maßbändern und Laserdistanzmessern sollten die Teilnehmer*innen einen Grundriss und verschiedene Ansichten, Schnitte und Detailzeichnungen auf klassische Art und Weise erstellen. Da moderne Vermessungsmethoden - wie Laserscanning und digitale Photogrammetrie - immer mehr die Bauaufnahme erweitern und verändern, sollte nun auch diese Thematik in den Kurs einbezogen werden.
Dieser Teil des Kurses wurde von Frau Dr. Bianca Wagner vom Geowissenschaftlichen Zentrum (GZG) übernommen. Zudem stellte sie die dort verhandenen Vermessungsgeräte und Auswertesoftware zur Verfügung. Ein Großteil dieser Ausstattung konnte in den vergangenen Semestern aus Studienbeiträgen und Studienqualitätsmitteln in der Fakultät für Geowissenschaften und Geographie angeschafft werden, um moderne Methoden der 3D-Geländeaufnahme in die Lehre einzubinden.

Besonders der Einsatz des Lasercanners im Innenraum war für die Studierenden der Archäologie und Kunstgeschichte absolutes Neuland und wurde mit regem Interesse verfolgt. Nach einer kurzen Einführung des Gerätes und der Methode der Messung wählten die Gruppen mehrere Standpunkte zum Scannen aus, verteilten verschiedene Zielmarken und definierten die Scanparameter. Die digitale Photogrammmetrie - auch als "Structure-from-Motion" bezeichnet - kam bei der Aufnahme der Außenfassaden zum Einsatz. Hierbei wurden mit Hilfe einer digitalen Kamera stark überlappende Fotos der Außenmauern erstellt. Am GZG konnten dann die verschiedenen Laserscans mit der Software FARO Scene zu farbigen, mm-genauen 3D-Punktewolken des Innenräume zusammengefügt werden. Die Fotos der Außenbereiche wurden in Photoscan Professional von Agisoft automatisch anhand von markanten Bildpunkten koregistriert, so daß daraus unverzerrte Punktwolken berechnet werden konnten. Im letzten Schritt erfolgte die Kombination jeweils zweier Punktwolken in CloudCompare zu komplexen 3D-Modellen der Kirchen, die sowohl den detaillierten Innenraum als auch die Außenhülle zeigen. Diese 3D-Modelle stehen nun den Studierenden für weitere Visualisierungen, Auswertungen und Vergleiche zur Verfügung.

Die "virtuellen Kirchen" können sowohl in alle Richtungen gedreht, als auch in jeder Höhe horizontal und vertikal geschnitten werden, um perspektivische Teilansichten zu generieren. Da die 3D-Punktwolken ein exaktes, in sich unverzerrtes Modell der Kirchengebäude repräsentieren, können in ihnen Winkel und Strecken gemessen sowie daraus Orthophotos - d.h. Photos ohne Verzerrung - erzeugt werden. Diese sind eine sehr hilfreiche Grundlage für Zeichnungen von Fassadenansichten, wie z.B. von der Apsis, des Lang- und Querhauses oder des Deckengewölbes, und damit verknüpften Bauschadenskartierungen.

Die Studierenden konnten durch die Kombination der verschiedenen Methoden ihre Kenntnisse im Bereich der Bauaufnahme vertiefen und Einblicke in spätere Berufsfelder, wie z.B. die Denkmalpflege oder die Historische Bauforschung, gewinnen. Desweiteren konnten sie die Ergebnisse der verschiedenen Verfahren miteinander verglichen und eventuelle Abweichungen in ihren Zeichnungen anhand der Laserscans aufdecken.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen der Christlichen Archäologie und den Geowissenschaften kann zukünftig durch verschiedene Kurse und Aktivitäten noch ausgeweitet werden. So könnten sich Studierende beider Fakultäten gemeinsam mit der Auswertung der 3D-Daten, deren Visualisierung und der Simulation bestimmter Vorgänge beschäftigen. Denkbar wäre auch die Einbindung der Gesteinsansprache und Bauschadenkartierung. Eine Herausforderung ist auf jeden Fall in der nächsten Zeit zu meistern: Da der Außenbereich der Kirchen nicht komplett fotografisch erfasst werden konnte, besitzen die 3D-Modelle kein Dach. Entweder versperrten zu dichte Bäume die Sicht oder die Flächen waren vom Boden aus nicht sichtbar. Diese Bilder könnten in der laubfreien Periode von Leitern oder sogar von den Fenstern der Nachbarhäuser aus aufgenommen werden.