Regionale Restrukturierungsdynamik institutioneller Pflege im Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Kooperation: Entwicklung der Akteurstrukturen nach Einführung der Pflegeversicherung

Finanzierung: Niedersächsischer Forschungsverbund "Technikentwicklung und gesellschaftlicher Strukturwandel" des MWK

Laufzeit: 1. Dezember 2002 bis 31. Oktober 2004

BearbeiterInnen: Dr. Fritz Hellmer, Markus Krüsemann, Susanne Brun, Martin Gloger

Kurzbeschreibung: Auch im achten Jahr seit ihrer Einführung stellt sich die Pflegeversicherung aufgrund ihrer immanenten Widersprüche und Unzulänglichkeiten, aber auch aufgrund ihrer neuartigen sozialpolitischen Zielsetzung als ein umstrittenes Projekt dar. Unzulänglichkeiten resultieren im Wesentlichen daraus, dass das Pflegeversicherungsgesetz sich in mancher Hinsicht als "Irrgarten an Regelungen" präsentiert. Umstritten ist aber auch die ehrgeizige Konzeption, die neben Rationalisierungselementen die Rationierung von Gesundheitsdienstleistungen fordert - bei gleichzeitiger Formulierung eines Leitbildes, das die möglichst lange Aufrechterhaltung einer eigenständigen Lebensführung für Pflegebedürftige anstrebt.

Im Kontext dieser avancierten Zielsetzung der Pflegeversicherung nimmt die Ausgestaltung der Akteurstrukturen eine Schlüsselstellung ein. Pflege soll – so die eindeutige normative Vorgabe – als "geteilte Verantwortung" von einer Vielzahl der involvierten Akteure gewährleistet werden. Seitens des Gesetzgebers existiert jedoch keine exakte Zuweisung der einzelnen Zuständigkeiten der Akteure. Vielmehr wird von ihnen ein eigenverantwortliches Bemühen um Kooperationen auf der Grundlage eines (regulierten) Wettbewerbs gefordert. Die Offenheit dieser ‚Generalklausel‘ bedeutet eine große Herausforderung für die Handlungsweise der einzelnen Akteure und die Ausgestaltung der (Einzelakteure und -organisationen übergreifenden) gesamten Akteurstruktur.

Das Forschungsvorhaben geht von der Fragestellung aus, ob die Akteurstrukturen im Feld der ambulanten und stationären Pflegedienstleistungen nach den vom Gesetzgeber geforderten Prinzipien ‚Kooperation‘ und ‚Wettbewerb‘ organisiert sind. Spezieller fragen wir danach, welche Detailformen das Spannungsverhältnis zwischen Kooperation und Wettbewerb annimmt, ob und wie beide eher gegensätzlichen Pole durch unterschiedliche institutionelle Konfigurationen versöhnt werden können und ob sich bestimmte Typen von Akteurkonstellationen identifizieren lassen.

Im Zentrum der Analyse stehen die Anbieter von Pflegedienstleistungen im ambulanten und stationären Bereich. Dabei gilt den ambulanten Diensten eine besondere Aufmerksamkeit, da ihnen aufgrund einer allgemein zunehmenden ‚Ambulantisierung der gesundheitlichen Versorgung‘ sowie ‚Tendenzen zur Ambulantisierung von Pflegeheimen‘ eine gesteigerte Bedeutung zukommt. Außerdem werden die für die Dienste relevanten Akteure auf primär horizontaler, aber auch vertikaler Ebene mit in die Untersuchung einbezogen. In erster Linie sind dies Pflegekassen, Verbände, Kommunen, der Medizinische Dienst, Krankenkassen und Ärzte.

Ziel der Untersuchung ist es, im Rahmen von vier Einzelfallanalysen die vorgefundenen Akteur-strukturen nach Art und Umfang möglichst umfassend zu beschreiben und die Fallbeispiele auf der Interpretationsfolie unterschiedlicher Theorieangebote zu verallgemeinerbaren Typen zu verdichten. Ein abschließender systematischer Vergleich der jeweils etablierten institutionellen Arrangements soll die Vor- und Nachteile bestimmter Typen von Akteurstrukturen herausarbeiten und generalisierende Aussagen über Erfolgsbedingungen, aber auch Handlungsblockaden regionaler Beziehungsgeflechte im Pflegesektor ermöglichen.

Die Pflegedienste und ihr institutionelles Umfeld werden in vier ausgewählten Regionen Niedersachsens untersucht, die unter einem vergleichbaren Handlungsdruck stehen.

Der Focus wird auf die regionale Ebene gelegt, da erstens die Akteure im "Quasi-Markt" Pflege nach wie vor primär regional eingebettet sind, zweitens eine problemadäquate Pflege als Koproduktion der involvierten Akteure nur kleinräumig bzw. lokal zu realisieren ist und drittens der Gesetzgeber eine regional gegliederte, ortsnahe und aufeinander abgestimmte Versorgung ausdrücklich fordert. Die regionale Ebene erweist sich daher als konstitutive Problembewältigungsebene einer funktionsfähigen Ausgestaltung der Akteurstrukturen.