Prof. Dr. Harald Fischer-Tiné

Von Februar bis Juli 2012
Dr., Professor für Geschichte der Modernen Welt
ETH Zürich, Schweiz

Geboren 1966 in Saarlouis, Deutschland
Studium der Geschichte Südasiens, der modernen Indologie und der Politischen Wissenschaften Südasiens in Heidelberg



Forschungsvorhaben
“Muscling in on Asia”: Der YMCA und seine Epigonen in Indien, Ceylon und Burma, 1890-1950

Mein Forschungsprojekt lässt sich an der Schnittstelle von Religionswissenschaften, Globalgeschichte und Südasienstudien verorten. Auf der Basis eines breiten Fundus‘ von publizierten Quellen und Archivalien aus Quellenstandorten in Europa, den USA, Indien und Sri Lanka gehe ich anhand einer klar eingegrenzten Fallstudie der überwölbenden Frage nach, wie neue Formen organisierter Religiosität von Europa aus in andere Teile der Welt transferiert wurden und welche Modifikationen und Transformationen sie in ihren neuen kulturellen Kontexten erfuhren. Die Fallstudie untersucht exemplarisch die Verbreitung, Rezeption und Subversion der Young Men’s Christian Association (YMCA) in Indien, Ceylon und Burma im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert.
In Reaktion auf die kulturellen Verwerfungen in Großbritannien im Zeitalter der Industriellen Revolution entstand der YMCA ursprünglich 1844 in London. Die anschließende globale Expansion der Bewegung muss man als spektakulär bezeichnen. Während das Vereinigte Königreich, seine „weißen“ Siedlerkolonien und die USA fraglos die wichtigsten Zentren bildeten, erreichte das YMCA-Netzwerk über die imperialen Kommunikationskanäle bald auch die nicht-westliche Welt. In Indien wurde die erste YMCA-Zweigstelle bereits 1857 gegründet. Da die Organisation erstaunliche Erfolge bei der Konversion meist der Mittelschicht und den höheren Kasten entstammenden Jugendlichen verbuchen konnte, reagierten religiöse Reformer verschiedener in Südasien vertretenen Glaubensgemeinschaften (u.a. Hinduismus, Buddhismus, Sikhismus) mit der Gründung eigener Jugendorganisationen, die wesentliche Elemente des YMCA kopierten. Wie lassen sich sowohl der Erfolg des YMCA als auch die mimetische Reaktion lokaler Religionsführer und Intellektueller in der spezifischen historischen Konstellation des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts erklären? Was machte die transnationale religiös-zivilgesellschaftliche Organisation aus dem Westen so attraktiv für Teile der Intelligenzija in Südasien? Wie veränderten sich Ideologie und Konturen des YMCA durch die Prozesse transkultureller Aneignung und Adaption?
Ausgehend von der Arbeitshypothese, dass der Erfolg des YMCA maßgeblich auf dessen Engagement in zwei Feldern beruhte, die eine starke Ausstrahlung auf die anti-kolonialen Nationalismen besaßen, die sich im Betrachtungszeitraum in Südasien formierten, konzentriert sich das Projekt auf die Rolle der Organisation bei:

a) „Charaktertraining“ der Jugend durch sportliche Ertüchtigungsprogramme und Verbreitung von Körper- und Männlichkeitsidealen
b) Erarbeitung von Programmen zur Dorfentwicklung in ländlichen Gebieten.


Ausgewählte Publikationen

Fischer-Tiné, H. 2009. Low and Licentious Europeans’: Race, Class and White Subalternity in Colonial India. New Delhi: Orient Longman.

Fischer-Tiné, H. 2003. Der Gurukul Kangri oder die Erziehung der Arya Nation: Kolonialismus, Hindureform und ‘nationale Bildung’ in Britisch-Indien (1897-1922). Würzburg: Ergon-Verlag.

Fischer-Tiné, H./Gehrmann, S. (eds). 2008. Empires and Boundaries. Rethinking Race, Class and Gender in Colonial Settings. New York/London: Routledge.

Fischer-Tiné, H. 2007. 'Indian Nationalism and the World Forces': Transnational and Diasporic Dimensions of the Indian Freedom Movement on the Eve of the First World War. Journal of Global History 2(3), pp. 325-44.

Fischer-Tiné, H. 2007. «Global Civil Society and the Forces of Empire: The Salvation Army, British Imperialism and the 'pre-history' of NGOs (ca. 1880-1920)» in: Conrad, Sebastian/Sachsenmaier, Dominic (eds): Competing Visions of World Order: Global Moments and Movements, 1880s – 1930s. New York: Palgrave-Macmillan, pp. 29-67.