Prof. Dr. Johann Pall Arnason

Fellow von Februar bis März 2011
Dr., Professor em. für Soziologie
La Trobe University, Australien

Born 1940 in Dalvik, Island
Studium der Philosophie, Geschichte und Soziologie in Prag, Rom und Frankfurt

Forschungsvorhaben:
Oswald Spengler und die vergleichende Zivilisationsanalyse

Die vergleichende Zivilisationsanalyse hat sich während der letzten dreißig Jahre vor allem als ein Zweig der historischen Soziologie entwickelt. Die zivilisationstheoretische Perspektive muss aber auch auf ältere metahistorische Projekte Bezug nehmen, die der gemeinsamen Problematik eine spekulativere Wendung gaben. Repräsentativ für diese Tradition sind die Arbeiten von Oswald Spengler und Arnold Toynbee, die heute weithin als ideologisch belastet und wissenschaftlich ungenügend gelten. Wir sollten aber mit der Möglichkeit rechnen, dass diese Autoren Fragen gestellt haben, die wichtig bleiben und in einer adäquateren Sprache ausgedrückt werden können, und dass sich spezifische Einsichten in einen neuen Bezugsrahmen integrieren lassen. Da Toynbees geschichtsphilosophisches Konzept als Antwort auf Spengler konzipiert wurde, ist das Werk des letzteren der wichtigste Ausgangspunkt für diese Neubewertung. Spenglers Geschichtsauffassung wird heute als solche von niemandem verteidigt; es gibt aber mehrere gute Gründe für eine eingehendere kritische Auseinandersetzung mit seinem Werk. Auch wenn die Quelle selten explizit angegeben wird, ist die irreführende Spenglersche Darstellung der Zivilisationen (in seiner Sprache: Hochkulturen) als geschlossener Welten noch immer unterschwellig präsent in Debatten über diese Thematik, und eine nähere Betrachtung der Schwierigkeiten und Zweideutigkeiten, in die sich Spengler selbst verwickelt hat, könnte hier mehr Klarheit schaffen. Andererseits sind spezifische Spenglersche Ideen (etwa das Konzept der “Pseudomorphose”) von anderen Autoren übernommen worden, ohne dass der dazugehörige Kontext systematisch beleuchtet worden wäre. Seltener sind die Versuche, Spenglers Grundlagenproblematik von dem unangemessenen Begriffsschema zu trennen, dem er sie untergeordnet hat; es gibt aber, nicht zuletzt bei prima facie unwahrscheinlichen Autoren wie Ludwig Wittgenstein und Georg Henrik von Wright, bemerkenswerte Ansätze zu einer kritischen Rekonstruktion der morphologischen Auffassung von Kultur, Geschichte und Gesellschaft. Es gibt auch Verbindungslinien zu heutigen Debatten, die sich unter dem Stichwort “rethinking collapse” zusammenfassen lassen. Es handelt sich um ein zunehmend zentrales Thema der vergleichenden Geschichtsforschung; Spenglers Verfallskonzeption, viel komplexer als seine Kritiker meistens zugegeben haben, ist in diesem Zusammenhang immer noch von Interesse. Dabei darf allerdings der “Sitz im Leben” nicht vergessen werden. Spenglers Gedankengänge sind auf vielfache Weise mit dem intellektuellen und politischen Geschehen seiner Zeit verflochten. Damit haben sich in den letzteren zwei Jahrhunderten mehrere Autoren befasst (D. Conte, J. Farrenkopf, M. Gangl, G. Merlio), aber das Thema ist noch lange nicht erschöpft.
Die Problematik des Spenglerschen Erbes soll in einem längeren Aufsatz behandelt werden, der mein Hauptprojekt während des zweimonatigen Aufenthaltes in Göttingen sein wird. Er ist als Teil einer umfangreicheren Aufsatzsammlung über zivilisationsanalytische Themen gedacht, der außer Arbeiten über ideengeschichtliche Quellen und theoretische Fragen auch historisch orientierte Fallstudien enthalten wird.


Ausgewählte Publikationen:

Arnason, J.P. and K. A. Raaflaub (eds.). The Roman Empire in Context: Historical and Comparative Perspectives. Oxford/Malden: Blackwell (erscheint im Dezember 2010).

Arnason, J.P., Eisenstadt, S.N. and B. Wittrock (eds.). 2005. Axial Civilizations and World History. Leiden/Boston: Brill.

Arnason, J.P. 2003. Civilizations in Dispute: Historical Questions and Theoretical Traditions. Leiden/Boston: Brill.

Arnason, J.P. 2003. The Future that Failed: Origins and Destinies of the Soviet Model. London: Routledge.

Arnason, J.P. 1988. Praxis und Interpretation: Sozialphilosophische Studie. Frankfurt/Main: Suhrkamp.