Wirtschaftspolitisches Forum

Nach der Krise: Gestärkter Staat?



Andreas Busch, cege-Report, S. 2, Oktober 2009


Die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise hat viele Opfer. Sie reichen von amerikanischen Investmentbanken und Hausbesitzern über deutsche Landesbanken und Lehman Brothers-Zertifikate haltende Rentner bis zu durch Firmenzu­sammenbrüche arbeitslos ge­wordenen Beschäftigten. Wenigstens einen Gewinner aber scheint es neben allen diesen Verlierern zu geben: den Staat. Nachdem er 30 Jahre lang gering geschätzt wurde – „Der Staat ist nicht die Lösung unserer Probleme; der Staat ist das Problem“, wie US-Präsident Reagan es 1981 in seiner Rede zum Amtsantritt formulierte – hat sich der Blick auf den Staat nun gewandelt. Als Retter in der Not genießt sein Handeln jetzt neue Legitimität, nachdem sich große Teile der bis dato so mächtig und unanfechtbar erscheinenden Finanzmarktindustrie ratlos in seine Arme geworfen haben. Wer hätte denn noch vor kurzem vorauszusagen gewagt, dass ausgerechnet die USA und Großbritannien erhebliche Teile ihres Bankensystems verstaatlichen würden?


Schon sprechen einige Autoren hoffnungsvoll von der „Rückkehr des Staates“, und die Deutsche Gesellschaft für Politikwissenschaft widmet in diesem Herbst ihre Jahrestagung dem Thema „Renaissance des Staates?“ – immerhin mit einem Fragezeichen versehen. Ist denn der Staat durch die Krise wirklich gestärkt worden? Man kann hinter diese These, so denke ich, sogar mehrere Fragezeichen setzen.


Denn zum einen haben die enormen Ausgaben und Bürgschaften, die der Staat zur Abmilderung der Krise auf sich genommen hat, seine zukünftige Belastung durch Zins- und Rückzahlungen enorm erhöht. Der Staat läuft also Gefahr, seine heutige „Stärke“ durch zukünftige Schwäche zu erkaufen. Nach einer Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich belaufen sich die vom Staat übernommenen Zahlungsverpflichtungen in 11 untersuchten OECD-Ländern auf insgesamt etwa fünf Billionen Euro, was knapp 19 % des BIP entspricht. Die direkten Ausgaben durch Rekapitalisierungen und Verstaatlichungen von Finanzunternehmen belaufen sich auf etwa 2 Billionen Euro, oder 7,6 % des BIP. Auch wenn im Moment noch unklar ist, wie viele der Bürgschaften tatsächlich kassenwirksam werden, so viel scheint sicher: der heutigen Ausgabenflut wird zukünftige Zurückhaltung gegenüberstehen müssen.


Auch im Hinblick auf die Konjunkturprogramme, mit denen der Staat den enormen wirtschaftlichen Rückgang des Jahres 2009 bremsen wollte, sind wenig Hinweise auf genuine Stärke des Staates zu finden. Trotz aller Beteuerungen, man wolle keine finanzpolitischen Strohfeuer entfachen, sondern zukunftsorientierte Investitionen vornehmen, bleibt es eine Tatsache, dass der Staat kurzfristige Wirtschaftsankurbelung fast ausschließlich über Bautätigkeit vornehmen kann. So schön auch im einzelnen frisch gestrichene Schulen und ausgebesserte Straßen sein mögen – letztlich bleibt dies der Versuch, die Volkswirtschaft durch ein Nadelöhr zu beleben. Ein starker Staat wäre hingegen einer, der tatsächlich Prioritäten setzen und Steuerungsleistungen erbringen könnte. Doch nicht nur die Schwierigkeiten, die Länder und Kommunen in diesem Jahr mit dem Abrufen der vom Bund bereitgestellten Gelder hatten, zeigt, dass die bundesrepublikanische Wirklichkeit von einem solchen Staatsbild weit entfernt ist. Auch anderen Ländern geht es in dieser Beziehung nicht viel besser; und so wird deutlich, dass sich hinter der in wirtschaftswissenschaftlichen Modellen so einfach erscheinenden Erhöhung der makroökonomischen Variable G in der Praxis doch erhebliche Probleme verbergen.


Und dann hat der Staat sich noch die Verantwortung für einen Finanzsektor aufgebürdet, an dessen prinzipieller Steuerbarkeit man zumindest zweifeln kann. Jedenfalls aber muss fraglich erscheinen, ob dieser Sektor durch den real existierenden Staat steuerbar ist. Denn es fehlt dem bundesdeutschen Staat an jenem Wissen über die Finanzmärkte und ihre „good governance“, das für eine solche Aufgabe unverzichtbar ist – und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen ist der deutsche Staat im Bereich der Finanzmarktregulierung seit jeher einer, der sich auf eine distanzierte, die Einhaltung von Regeln überprüfende Rolle beschränkt; große Teile der Arbeit „vor Ort“ delegiert er hingegen an die Verbände der Bankenindustrie, die auch die sektoral unterschiedlichen Sicherungssysteme für die Einlagen der Kunden betreiben. Einem solchen Staat mangelt es an der Expertise für detaillierte Regelerstellung und -über­prüfung; und daran kann er kurzfristig auch nichts ändern. Ob die Verpflichtung von Topmanagern aus dem Bankensektor zur Steuerung zielführend ist, daran werden nicht nur Principal-Agent-Theoretiker ihre Zweifel haben.


Zum anderen fehlt generelles Wissen über die „beste“ Regulierung von Finanzmärkten. Sowohl in theoretischer wie in empirischer Hinsicht (und in deutlichem Unterschied etwa zum Bereich der Geldpolitik) wissen wir schlicht nicht, welche inhaltlichen und institutionellen Lösungen hier am ehesten Erfolg versprechen. Die Bankenkrise hat da auch nicht weitergeholfen, denn sie hat Länder mit den verschiedenartigsten institutionellen Aufsichtsarrangements in gleicher Weise getroffen.


Die Eile, mit der die gegenwärtig geführten Koalitionsverhandlungen sich auf eine Entmachtung der BaFin und deren Unterordnung unter die Bundesbank geeinigt haben, muss deshalb höchst fragwürdig erscheinen: Hier sollte es nicht um Geschwindigkeit gehen, sondern um eine solide Lösung, vorgenommen nach sorgfältiger Analyse – und das braucht Zeit.


Die enormen Kosten der Finanzkrise lassen den Ruf nach einem Staat ertönen, der stark genug ist, die Wiederholung einer solchen Krise in Zukunft zu verhindern. Doch überhastete Entscheidungen und die Parteinahme im Kompetenzkampf zwischen Agenturen sind nicht seine Kennzeichen. Auch die Übernahme staatlicher Letztverantwortung sollte man nicht mit Stärke verwechseln.