Forum for Economic Policy

Schattenwirtschaft und Korruption sind nicht Zwillinge



Axel Dreher and Friedrich Schneider, Neue Zürcher Zeitung, p. 27, January 7, 2006


Korruption bereichert einige Wenige, schwächt aber die Wirtschaft, die Gesellschaft und den Staat. Deshalb herrscht heute die Meinung vor: Korruption ist ein schweres Übel – wo sie um sich greift, wird sie zu einem Entwicklungshindernis ersten Ranges. Nicht ganz in dieser Intensität wird auch die Schattenwirtschaft weltweit als entwicklungshemmend beklagt.


Wie hoch die Schäden der Korruption in den einzelnen Ländern tatsächlich sind, geht aus einer aktuellen Studie der Ökonomen Dreher, Kotsogiannis und McCorriston hervor. Die Ergebnisse zeigen, dass das Bruttosozialprodukt des am wenigsten korrupten Landes der Welt – der Schweiz – um 2,5 Prozent (d.h. um 6 Milliarden $) steigen könnte, gelänge es, der Korruption den Garaus zu machen. Für die Niederlande ergibt sich ein Verlust von 3,4 Prozent des BIP oder (9 Milliarden $). Es folgen Zypern (4,2 Prozent), Japan (4,9 Prozent) und Schweden (5,6 Prozent). Am Ende der Skala steht Niger, dessen Bruttosozialprodukt ohne die Korruption um 27 Prozent (oder 45 Millionen $) höher sein könnte. Den negativen Einfluss der Schattenwirtschaft auf das Wachstum des BIP in Entwicklungsländern untersucht Schneider (2005). Er stellt fest, dass das offizielle BIP-Wachstum um 1,2 Prozentpunkte abnimmt wenn die Schattenwirtschaft um 1 Prozentpunkt steigt.


Die möglichen Gründe von Korruption und Schattenwirtschaft sind Gegenstand zahlreicher empirischer Untersuchungen. Sie zeigen, dass sowohl die Korruption als auch die Schattenwirtschaft stark durch das institutionelle Umfeld beeinflusst werden, dass Demokratien durchschnittlich weniger korrupt sind, Regierungen mit längerer Amtszeit tendenziell korrupter werden und die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze die Korruption beschränkt. Das Schattenwirtschaftswachstum geht hauptsächlich auf eine steigende Abgabenbelastung und Regulierung sowie auf eine sinkende Steuermoral zurück.


Die Schlussfolgerung aus diesen Studien ist, dass der Abbau der fiskalischen Belastung und der von übertriebener Regulierung sowie eine Verbesserung des institutionellen Umfelds sowohl die Korruption als auch die Schattenwirtschaft eindämmen könnte. Diese Sicht venachlässigt allerdings den Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Korruption und der Grösse der Schattenwirtschaft eines Landes. Dieser ist keinesfalls eindeutig. Auf der einen Seite kann die Korruption die unternehmerische Tätigkeit im offiziellen Sektor erschweren und Unternehmen so in die Schattenwirtschaft treiben. Auf der anderen Seite kann Korruption die Umgehung von bürokratischen Hindernissen und hohen Steuerzahlungen ermöglichen, so dass Unternehmen weniger häufig in den inoffiziellen Sektor abwandern.


Wenn Unternehmer die Option haben, in die Schattenwirtschaft abzuwandern – so die Ökonomen Choi und Thum – beschränkt das den Spielraum korrupter Bürokraten, Bestechungsgelder zu fordern. Denn schliesslich hat der Unternehmer bei einer hohen Bestechungsforderung die Wahl, dem offiziellen Sektor den Rücken zu kehren. Er wird dabei die Vorteile des offiziellen Sektors gegen die notwendige Bestechungszahlung abwägen. Produziert er in der Schattenwirtschaft, verliert er den Schutz der Polizei und der Gerichte. Dieser Verlust wiegt umso schwerer, je verlässlicher diese Leistungen sind. Verlässliche Institutionen reduzieren auf diesem Weg die Schattenwirtschaft. Da sie den Verbleib in der offiziellen Wirtschaft lukrativer machen, erhöhen sie aber den Spielraum korrupter Bürokraten – sie können somit die Korruption erhöhen. Den Einfluss guter Institutionen auf Korruption und Schattenwirtschaft untersucht eine Studie von Dreher, Kotsogiannis and McCorriston. Die Studie zeigt, dass ein gutes institutionelles Umfeld die Schattenwirtschaft verkleinert. Der Einfluss der Institutionen auf die Korruption ist hingegen nicht eindeutig, was auf die wechselseitige Beziehung zwischen Korruption und Schattenwirtschaft zurückgeht. Insgesamt gesehen sagen die Wissenschaftler eine substitutive Beziehung zwischen Korruption und Schattenwirtschaft voraus.


Die Weltbank-Ökonomen Simon Johnson, Daniel Kaufmann und Andrei Shleifer zeigen in ihrem Modell das genaue Gegenteil: Hier wird Korruption als eine Form der Besteuerung gesehen, die dazu führt, dass Unternehmer in die Schattenwirtschaft abwandern, um die Bestechungszahlungen zu vermeiden. Korruption erhöht so die Schattenwirtschaft. Eine ähnliche Sichtweise vertreten Jean Hindriks, Michael Keen und Abhinay Muthoo. Diese betonen die Möglichkeit der Unternehmer, durch Bestechung der Besteuerung zu entgehen. Der Anstieg der Korruption geht somit direkt mit einer grösseren Schattenwirtschaft einher.


Diese wiedersprüchlichen Ergebnisse greifen die Autoren dieses Beitrages in einer neuen Untersuchung (Dreher und Schneider, Oktober 2005) auf und stellen fest, dass sich der Zusammenhang zwischen Korruption und Schattenwirtschaft theoretisch nicht eindeutig bestimmen lässt. Zusätzlich argumentieren Dreher und Schneider, dass sich Entwicklungsländer und entwickelte Länder kaum in einen Topf werfen lassen. In Industrieländern stellt der Staat öffentliche Güter wie verlässliche Gesetze, die Durchsetzung von Verträgen und den Schutz durch eine effiziente Polizei zur Verfügung. Hier wandern meist nur Handwerker oder sehr kleine Unternehmen in die Schattenwirtschaft ab. Die sind dann allerdings vor den Finanzämtern verborgen. Eine Notwendigkeit, sich von der Besteuerung freizukaufen, besteht hier nicht. Es kommt dazu, dass bei einem Bestechungs- oder Erpressungsversuch ein hohes Risiko besteht. In der Regel gibt es keine Möglichkeit, sich von einer Verhaftung oder Anzeige freizukaufen. Eine in Industrieländern typische Form der Bestechung wird geleistet, um Grossauftraege – beispielsweise in der Bauwirtschaft – an Land ziehen zu koennen. Die Aufträge werden dann allerdings im offiziellen Sektor und nicht in der Schattenwirtschaft durchgeführt. Korruption kann so ein “Schmiermittel” sein, dass die (offizielle) Wirtschaft beflügelt, anstatt sie lahm zu legen. Eine Untersuchung von Friedrich Schneider and Dominik Enste zeigt, dass mindestens Zwei Drittel der in der Schattenwirtschaft erzielten Einkommen unmittelbar der offiziellen Wirtschaft zugute kommen. Die Schattenwirtschaft und die offizielle Wirtschaft gehen so Hand in Hand – eine Bekämpfung der Schattenwirtschaft könnte daher auch die offizielle Wirtschaftskraft eines Landes verringern statt sie wie geplant zu erhöhen.


Wenn eine höhere Schattenwirtschaft mit einer höheren offiziellen Wirtschaftskraft einhergeht, steigen durch einen Anstieg der Schattenwirtschaft auch die Steuereinnahmen. Dadurch können bessere öffentliche Güter und besonders eine bessere institutionelle Qualität gesichert warden. Der Korruption wäre das sicher wenig zuträglich. Insgesamt gesehen sollte der Zusammenhang zwischen Korruption und Schattenwirtschaft in Industrieländern daher negativ sein.


In Entwicklungs- und Transformationsländern sieht der Zusammenhang allerdings grundlegend anders aus. Anstatt teilweise – und oft zusätzlich zu einer vollen Beschäftigung im offiziellen Sektor – in der Schattenwirtschaft zu arbeiten, operieren hier Arbeiter und sogar größere Unternehmen auch vollständig im Untergrund: zum Beispiel in (Weiß-) Russland in der Bau-Branche, wo ganze Häuserzeilen „schwarz“ errichtet werden. Eine wesentliche Ursache besteht in der vergleichsweise geringen Effizienz der öffentlichen Güter. In vielen ärmeren (Entwicklungs-) Ländern werden Polizei- und Justizbeamte so schlecht bezahlt, dass sie keinen verlässlichen Schutz vor Gesetzesverstössen bieten. Die Vorteile des öffentlichen Sektors sind daher gering. Allerdings können grosse Unternehmen auch nicht völlig unbemerkt im Untergrund agieren. Um der Besteuerung zu entgehen, sind sie auf Bestechungszahlungen angewiesen. Die Korruption geht dann mit einem Anstieg der Schattenwirtschaft Hand in Hand. Bestechungsgelder werden hier oft gezahlt, um den Verbleib in der Schattenwirtschaft zu gewährleisten. Das eine verstärkt so das andere: Ausgeprägte Korruption erleichert ein Ausweiten der Schattenwirtschaft – eine größere Schattenwirtschaft wiederum führt zu stärkerer Korruption. Um ein zusätzliches Einkommen erzielen zu können, sind Bestechungsgelder in zahlreichen ärmeren Ländern an der Tagesordnung – das Risiko nach einem Bestechungsversuch, von Polizei und Justiz verfolgt zu werden, ist verschwindent gering. Tatsächlich besteht das Risiko meist nur darin, dass der Bestechungsversuch erfolglos bleibt – nicht weil der Beamte ehrlich, sondern weil das Bestechungsgeld zu gering ist.


Nachdem die ökonomische Theorie keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Korruption und der Schattenwirtschaft aufzeigen kann, muss der „Beweis“ in der Studie von Dreher und Schneider aufgrund der Datenlage erfolgen. Führt eine höhere Korruption nun insgesamt zu mehr oder zu weniger Schattenwirtschaft? Zumindest was die Entwicklungsländer angeht, zeigen unsere Ergebnisse, dass der Zusammenhang eindeutig positiv ist. Die Graphik verdeutlicht das: Eine Zunahme der Schattenwirtschaft um einen Prozentpunkt erhöht den zugrundeliegenden Index der Korruption um 0,1 Punkt. Der Zusammenhang in Industrieländern ist weit weniger deutlich und lässt sich nur für bestimmte Jahre zeigen (wie z.B. für das Jahr 2000 in Graph 2).


Was bedeuten diese Ergebnisse nun für die Wirtschaft insgesamt? Hier zeigen die meisten empirischen Studien, dass die Korruption das Wirtschaftswachstum erheblich hemmt (wie z.B. Graphik 3 für die Entwicklungsländer im Jahr 2000). Ein Anstieg des Korruptionsindexes um einen Punkt reduziert demnach das Wachstum um 1,25 Prozentpunkte. Für die Schattenwirtschaft fallen die Ergebnisse differenzierter aus. Zwar zeigt sich auch hier insgesamt ein negativer Einfluss auf das Wachstum. In Industrieländern allerdings führt eine höhere Schattenwirtschaften nach den Ergebnissen von Friedrich Schneider nicht zu weniger, sondern vielmehr zu mehr Wirtschaftswachstum. Eine erfolgreiche Bekämpfung der Schattenwirtschaft ginge hier nach hinten los!



Schattenwirtschaft 1
Graph 1: Zusammenhang Korruption und Schattenwirtschaft in Entwicklungsländern in den Jahren 1994-2002


Schattenwirtschaft 2
Graph 2: Zusammenhang Korruption und Schattenwirtschaft in Industrieländern im Jahr 2000


Schattenwirtschaft 3
Graph 3: Zusammenhang Korruption und Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern im Jahr 2000