Titel des Dissertationsprojekts:
Die ausgabenpolitische Konzeption der EU im Verlauf der europäischen Integration - Analyse unter besonderer Berücksichtigung von Staatsverständnis und staatlicher Handlungsfähigkeit.

Die Frage nach dem Verhältnis von Markt und Staat oder anders gesagt der Notwendigkeit staatlicher Interventionen ist einer der grundsätzlichen Streitpunkte in der Wirtschaftswissenschaft: Werden Al-lokation, Distribution und Stabilisierung über den Markt zufrieden stellend geregelt, oder muss der Staat korrigierend eingreifen? Kurz gesagt stehen sich hier zwei wesentliche Positionen gegenüber: Nach neoklassischer Theorie soll der Staat sich – regelgebunden - vor allem auf wenige allokative Aufgaben beschränken (zurückhaltendes Staatsverständnis), während er der keynesianischen Theorie folgend vor allem distributiv und (diskretionär) stabilisierend eingreifen soll (interventionistisches Staatsverständnis).

Zusätzlich zum Staatsverständnis wird in den letzten Jahren diskutiert, ob staatliche Interventionen in einer ökonomisch und (wirtschafts-)politisch zunehmend vernetzteren Welt überhaupt noch möglich sind, d.h. die Frage von nationalstaatlicher Handlungsfähigkeit. Mit dieser Frage beschäftigt sich vor allem die Globalisierungsforschung. Weitgehendes Einvernehmen herrscht hier darüber, dass die ökonomische Globalisierung staatliche Interventionsmöglichkeiten, also die Optionen des Staates in die Wirtschaft einzugreifen, verringert. Deutliche Differenzen gibt es jedoch bei der Frage, ob die ver-ringerten Interventionsmöglichkeiten auch die Handlungsfähigkeit (was kann der Staat tatsächlich tun) einschränken oder im Gegenteil ausbauen. Erklären lässt sich dies mit den unterschiedlichen Vorstel-lungen darüber, was der Staat tun soll (Staatsverständnis): Während die Einschränkung von Interven-tionsmöglichkeiten die Handlungsfähigkeit eines zurückhaltenden Staates stärkt, schwächt sie die ei-nes interventionistischen Staates.

In der Globalisierungsforschung gibt es mittlerweile zahlreiche theoretische Überlegungen und empi-rische Studien zu dieser Fragestellung. Weniger Beachtung findet bisher die Frage nach der Verände-rung staatlicher Handlungsfähigkeit im Rahmen der europäischen Integration. Diese wird jedoch von vielen AutorInnen als entscheidender Teil der Globalisierung für die EU-Mitgliedstaaten angesehen, da hier sowohl die ökonomische wie politische Vernetzung sehr weit fortgeschritten sind.
Auch im Rahmen der Europaforschung findet sich relativ wenig zum Einfluss der europäischen In-tegration auf die staatliche Handlungsfähigkeit im Bereich Wirtschaftspolitik bzw. das Verhältnis von Markt und Staat (Staatsverständnis). Anstelle dieser horizontalen Kompetenzverteilung steht zumeist die vertikale Kompetenzverteilung (EU – Nationalstaaten) im Mittelpunkt. Dabei kann davon ausge-gangen werden, dass die EU in beiden Bereichen Einfluss hatte, war doch die Schaffung eines ge-meinsamen Marktes eines der Kernprojekte der Integration.
Betrachtet man die EU nur unter dem Gesichtspunkt der infolge von Binnenmarkt, Wirtschafts- und Währungsunion etc. zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung und den daraus resultierenden Aus-wirkungen auf die Mitgliedstaaten, so lassen sich viele Ergebnisse der Globalisierungsforschung ü-bertragen. Der Einfluss der EU kann jedoch auch über den Weg der politischen Zusammenarbeit (po-sitive Integration), d.h. über rechtliche Vorgaben für die nationalstaatliche Politik (Vertragsartikel, Richtlinien, Verordnungen etc.), erfolgen. Diesen Aspekt will ich in meiner Arbeit näher betrachten.

Ausgewertet werden die europäischen Vorgaben für die nationale Ausgabenpolitik in den Bereichen Subventionen, öffentliche Güter, Sozialausgaben und Konjunkturpolitik. Es wird zum einen analysiert, welche Möglichkeiten nationalstaatlicher Ausgabenpolitik (Interventionsmöglichkeiten) durch die europäischen Vorgaben eingeschränkt/ ausgebaut werden sollten. In einem zweiten Schritt wird – mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse – untersucht, welches Staatsverständnis sich in den europäischen Vorgaben für die nationale Ausgabenpolitik findet und welche Art der Beeinflussung nationalstaatli-cher Handlungsfähigkeit dies nahe legt. Auf dieser Grundlage lässt sich dann beantworten, wie sich die Art der Beeinflussung von Handlungsfähigkeit und das Staatsverständnis im Laufe der Zeit ge-wandelt haben.