"Pferdewissen". Wissenspraktiken niedersächsischer PferdezüchterInnen zwischen kulturellen und wirtschaftlichen Interessen

Gefördert durch das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur (Januar 2016-Dezember 2018)

Leitung: Regina Bendix

Projektmitarbeiterin: Sandra Eckardt


Wissen um Pferde und Pferdezucht ist ein über Jahrhunderte erwachsenes, in vielen Aspekten immaterielles Kulturgut; gleichzeitig ist Pferdewissen auch ein wesentliches Wirtschaftsgut. Das beantragte Projekt untersucht den Umgang mit diesem Wissen unter verschiedenen AkteurInnengruppen im Bundesland Niedersachsen, wo gut ein Fünftel der 1,2 Millionen Pferde Deutschlands lebt. Durch das Herausarbeiten von divergierenden Wissensbeständen und Selbstverständnis der verschiedenen Stakeholders, sollen kommunikative Schranken aufgezeigt und ein Beitrag zum besseren Integrieren unterschiedlicher Erwartungen an die Pferdezucht geleistet werden.
Nach dem Einbruch einer auf die Unterstützung landwirtschaftlicher Arbeit fokussierten Pferdewirtschaft in den 1950er Jahren hat das Interesse am Freizeit-, Zucht- und Sportpferd zu einem neuen Aufschwung in der Pferdezucht und -haltung geführt. Niedersachsens Pferdezucht genießt insbesondere aufgrund der Erfolge der nach ihrer regionalen Herkunft benannten Rassen der Oldenburger und Hannoveraner weltweit einen hervorragenden Ruf. Das Züchten von Pferden ist entsprechend ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor des Bundeslandes, weist aber gleichzeitig auch Dimensionen eines wertvollen Kulturgutes auf. Die Dynamik zwischen diesen zwei Wertsetzungen ist in Bewegung geraten; deren Gründe und Auswirkungen will das Projekt über eine qualitative, kulturanthropologische Studie dokumentieren.
Genauso wie die Nutzung des Pferdes sich verändert hat, so haben sich auch das Zuchtwissen sowie die AkteurInnen, die sich an der Pferdewirtschaft beteiligen, vermehrt. Das Projekt beginnt mit der Hypothese, dass sich zwischen zwei großen AkteurInnengruppen der niedersächsischen Pferdezucht - PferdezüchterInnen im landwirtschaftlichen und im wissenschaftlichen Milieu - eine dritte AkteurInnengruppe gebildet hat, die kapitalstarken ZuchtneueinsteigerInnen. Das Projekt wird herausarbeiten, wie insbesondere die im landwirtschaftlichen Milieu vorhandenen Wissensbestände durch den wirtschaftlichen Druck nicht an Relevanz, aber an Einfluss in der Pferdezucht verlieren. Der Wert ihres Wissens wird als Kulturgut erkannt, ihr Erhalt als essentieller Aspekt der Pferdezucht schwindet, da die betreffenden WissensvermittlerInnen aus ökonomischen Gründen auf andere Erwerbszweige wechseln.
Das Projekt wird die Formen und den Wert dieses zu guten Teilen immateriellen Erfahrungswissens erheben. Die Forschung auf betrieblicher Ebene wird um Untersuchungen in den mit diesen Betrieben eng verbundenen Handlungsfeldern - wie den regionalen und nationalen Zuchtverbänden, den an der Weiterentwicklung des Pferdewissens beteiligten PferdewissenschaftlerInnen oder dem zuständigen Landgestüt - erweitert. Ziel ist es, am Beispiel des Bundeslandes Niedersachsen das Pferd als eine Ressource spätmoderner Kultur und Ökonomie zu erfassen und dabei die Potentiale unterschiedlicher Wissensmilieus und der landwirtschaftlichen Familienbetriebe im Kontext verschiedener Zuchtstrategien auszuloten.


Vorträge und Publikationen im Rahmen des Projekts:

"Kein Frühling ohne Fohlen? Ein wissensanthropologischer Blick in die Hannoveraner Pferdezucht in Zeiten strukturellen Wandels." Vortrag am Tag der GSGG 2017.

Sandra Eckardt: Auf dem Weg zu einem erfolgreichen Athleten: Pferdezucht in Zeiten strukturellen Wandels. In: LSB Magazin (LandesSportBund Niedersachsen). 08/2017.

„Films on craft: between filmic traditions and contemporary negotiations“. Keynote auf dem Kongress der Société Internationale d`Ethnologie et de Folklore (SIEF) 2017.

„Pferdewissen. Ein Werkstattbericht.“ Vortrag im Kolloquium des Instituts für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie in Göttingen 2016.