Rückfälligkeit und kriminelle Karrieren von Gewalttätern

Ergebnisse einer bundesweiten Rückfalluntersuchung

Vor der Hintergrund einer Kriminalpolitik, die hartes Durchgreifen propagiert und nach immer schärferen Waffen im Kampf gegen gefährliche Gewalt- und Sexualtäter verlangt, beleuchtet der Verfasser in seiner Dissertation die empirische Wirklichkeit der Gewaltkriminalität in Deutschland. Dafür konnte er auf die Bundeszentralregisterdaten des kompletten Bezugsjahrgangs 1994 zugreifen. Untersucht wurden alle Straftäter, die 1994 in Deutschland zu einer ambulanten Sanktion (einschließlich zur Bewährung ausgesetzter Freiheitsstrafe) verurteilt oder im selben Jahr aus dem Vollzug einer stationären Sanktion entlassen wurden. Diese Personen konnten über einen individuellen Rückfallzeitraum von vier Jahren bis 1998 verfolgt werden. Es handelt sich um gut 940.000 Personen, von denen 75.000, also etwa 8 %, nach der verwendeten Definition als Gewalttäter einzustufen sind.

Zu diesen Personen konnten die gesamten Bundeszentralregisterdaten einschließlich aller Voreintragungen ausgewertet werden. Wenn dies auch dazu führte, dass auf persönliche Merkmale bezogene Daten nur sehr eingeschränkt zur Verfügung standen (nur Alter, Geschlecht und Nationalität lassen sich insofern dem BZR entnehmen), bildet doch das Bundeszentralregister andererseits, regelmäßige Begehung von Straftaten vorausgesetzt, die gesamte offizielle kriminelle Karriere einer Person ab mit umfangreichen Daten zu Verurteilungen und den zugrunde liegenden Straftaten.

1. Verlauf der Untersuchung
Die Untersuchung differenziert zwischen verschiedenen Gewaltdeliktsgruppen (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzungsdelikte, Raubdelikte, sexuelle Gewaltdelikte, Tötungsdelikte). Unter den Tötungsdelikten werden an geeigneten Stellen zudem separate Ergebnisse für Mörder, insbesondere Raub- und Sexualmörder, angegeben. Diese Deliktsgruppen werden jeweils untereinander und mit Nicht-Gewalttätern verglichen. Die Ergebnisse werden zudem mit den Untersuchungsergebnissen anderer Studien aus Deutschland, den USA, Großbritannien sowie aus skandinavischen Ländern in Beziehung gesetzt.

Nach einer Auswertung im Querschnitt widmet sich die Arbeit insbesondere der Längsschnittanalyse unter dem Blickwinkel der Rückfälligkeit und der kriminellen Karrieren. Die Arbeit unterscheidet dabei verschiedene Rückfallformen (allgemeiner Rückfall, Gewaltrückfall, spezifischer Gewaltrückfall). Es wird Rückfallhäufigkeit, Rückfallschwere und Rückfallgeschwindigkeit analysiert; ebenso die Rückfälligkeit in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und Nationalität. Weiterhin wird die Rückfälligkeit in Bezug zu Art und Schwere der Sanktionierung gestellt.

Sodann erweitert sich der Blick und der Verfasser untersucht auch den Verlauf der bisherigen kriminellen Karrieren der Täter bis zur Bezugsentscheidung und setzt diese Entwicklung in Beziehung zur weiteren Entwicklung der Karriere im Rückfallzeitraum. Untersucht wird dabei der Einfluss der verschiedenen Arten von Voreintragungen auf die Rückfälligkeit. Des Weiteren wird der Einfluss der Tatfrequenz auf die Rückfälligkeit analysiert wie auch der Einfluss des Alters am Beginn der Karriere und der bisherigen Karrieredauer. Abbrecher und Rückfällige werden verglichen. Der Verfasser untersucht zudem, inwieweit sich Effekte der Spezialisierung und der Eskalation für die Gewalttäter ermitteln lassen. Abschließend bildet der Verfasser verschiedene Karrieretypen (Einmaltäter, Gelegenheitstäter, Einsteiger, Aussteiger, Serientäter, spezifischer Serientäter) und untersucht ihre Verteilung in den verschiedenen Deliktsgruppen, auch differenziert nach Alter, Geschlecht und Nationalität.

Der bivariaten Untersuchung schließt sich eine multivariate Analyse an. Mithilfe der logistischen Regression überprüft der Verfasser den Einfluss der verschiedenen rückfallbegünstigenden und –hemmenden Faktoren auf die verschiedenen Formen der Rückfälligkeit. Auch hier wird nach Deliktsgruppen differenziert.

Schließlich setzt sich der Verfasser mit der Frage auseinander, ob eine Prognose künftiger Rückfälligkeit für die verschiedenen Rückfallformen mithilfe der verwendeten multivariaten Analysemethode möglich ist.

2. Ergebnisse
Tatsächlich lassen sich mit den vorhandenen Daten zwar keine individuellen Rückfälle vorhersagen. Das Modell eignet sich jedoch zur Identifizierung von Risikogruppen. Nur beim spezifischen Gewaltrückfall scheitert die Risikoeinstufung aufgrund der geringen Basisraten der Rückfälligkeit bei allen Tätergruppen mit Ausnahme der Körperverletzer.

Im Übrigen belegen die Ergebnisse der Untersuchung, dass es nötig ist, genauer hinzusehen und zu differenzieren. Die Untersuchung konnte zeigen, dass keineswegs alle Gewalttäter auch für die Zukunft gefährlich sind. Insbesondere das Risiko von Gewaltrückfällen und noch mehr von spezifischen Rückfällen ist regelmäßig erfreulich niedrig. Allerdings ist das Rückfallrisiko der Gewalttäter auch in Bezug auf allgemeine Delinquenz, erst recht aber in Bezug auf (spezifische oder allgemeine) Gewaltdelinquenz sichtlich höher als das von Nicht-Gewalttätern. Es zeigen sich leichte Spezialisierungstendenzen, aber kein Trend zur Eskalation. Ein besonders hohes Rückfallrisiko zeigen die Raubtäter, ein besonders niedriges die Tötungsdelinquenten. Von einem lange überdauernden spezifischen Rückfallrisiko muss bei den sexuellen Gewalttätern ausgegangen werden.

Rückfallbegünstigend ist vor allem eine hohe allgemeine Tatfrequenz. Dies gilt für alle Rückfallformen. Daneben spielen verschiedene anderen Variablen, z.B. die Anzahl der bisher begangen Straftaten und der bisherigen Vermögensdelikte für die allgemeine Rückfälligkeit, Gewaltdelikte für die Gewaltrückfälligkeit oder spezifische Gewaltdelikte für die spezifische Rückfälligkeit, eine größere Rolle. Bedeutsam ist u.a. auch das Alter am Beginn des Rückfallintervalls oder alternativ, aber nicht kumulativ das Einstiegsalter.

Auch angesichts einzelner spektakulärer Rückfälle von Gewalttätern, die insbesondere gerne und ausführlich in den Medien thematisiert zu werden pflegen, gibt die vorliegende Studie doch Anlass zur Beruhigung. Sie soll helfen, das Thema Gewaltkriminalität mit der notwendigen Differenziertheit zu betrachten.