GEORG-AUGUST-UNIVERSITÄT GÖTTINGEN
THEOLOGISCHE FAKULTÄT
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Nachruf auf Professor Dr. Christian Polke
* 11. September 1980     † 25. April 2023

Die Theologische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen trauert um Prof. Dr. Christian Polke, der am 25. April 2023 im Alter von 42 Jahren plötzlich und unerwartet verstorben ist.

Christian Polke wurde in München geboren. Er studierte Evangelische Theologie in Heidelberg, Berlin und Tübingen. Nach seinem Ersten Theologischen Examen war er von 2005 bis 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftlich-Theologischen Seminar der Universität Heidelberg. Von der dortigen Fakultät wurde er im Jahre 2008 auch promoviert; Erstgutachter war Prof. Dr. Wilfried Härle. Im Anschluss versah er eine Assistentur am Institut für Systematische Theologie im Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg, unterbrochen durch ein Ernst-Cassirer-Fellowship am Swedisch Collegium for Advanced Study in Uppsala. 2010 erhielt er den John F. Templeton Award for Theological Promise. Im Jahr 2015 habilitierte er sich in Hamburg. Seit 2015 war er dann zunächst Vertreter, ab 2016 Inhaber der Professur für Systematische Theologie (Lehrstuhl für Ethik) an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen. Von 2020 bis 2023 amtierte er als Studiendekan der Fakultät.

Mit seiner Dissertation „Öffentliche Religion in der Demokratie. Eine Untersuchung zur weltanschaulichen Neutralität des Staates“ (Leipzig 2009) legte Christian Polke eine eindrucksvolle Studie zur Politischen Ethik vor, die auf der Höhe des rechtsphilosophischen, religionssoziologischen und sozialethischen Diskurses die wechselseitigen Verweisungszusammenhänge von weltanschaulich-neutralem Staat einerseits und öffentlicher Religion andererseits herausarbeitet. Christian Polke erweist sich hier als Kenner nicht nur der einschlägigen verfassungsrechtlichen Debatten, sondern auch der vielfältig differenzierten Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Religion und Politik im deutschen ebenso wie angloamerikanischen Raum. Im Ergebnis gelangt er dabei zu einer Verteidigung der ‘hinkenden Trennung’ von Kirche und Staat und stellt vor allem aus der Gemeinwohl- und Bildungsperspektive die Vorzüge einer Kooperation beider Seiten heraus.

Bei der Habilitationsschrift „Expressiver Theismus. Vom Sinn personaler Rede von Gott“ (Tübingen 2021) handelt es sich um eine theologisch wie philosophisch äußerst breit angelegte Studie, die den Begriff des Theismus pragmatistisch zu rehabilitieren unternimmt. Im Mittelpunkt steht die These, von Gottes Personsein zu reden bedeute, „Gottes Realität als verantwortungsvolle Wirksamkeit (Kreativität) zu begreifen, die sich welthaft entfaltet und darin sozial verwoben ist und sich zeitlich erstreckt“ (464f.). Diese Einsicht wird ideengeschichtlich eingeführt, kulturanthropologisch und ritualtheoretisch fundiert, dogmatisch in der Korrelation von Gebetspraxis und Gotteslehre loziert und schließlich hinsichtlich ihrer Expressivität erläutert – sofern sich nämlich der Glaube an einen personalen Gott in spezifischen symbolischen Handlungen und Vorstellungswelten ausdrückt. Dabei hebt Christian Polke auf den Nachweis ab, dass Praktiken und Selbstdeutungen im Wechselspiel zwischen Individuum und Gemeinschaft nicht substituierbar aufeinander angewiesen sind und sich genau dann in einer lebensförderlichen Spannung halten, wenn dieses Wechselverhältnis zu explizitem Ausdruck kommt.

Christian Polke hat thematisch weitgefächert publiziert. Er war an einer Reihe von Herausgeberschaften beteiligt. Der jüngste, gemeinsam mit Hendrick Stoppel herausgegebene Band „Pluralismus und Pluralität in der evangelischen Friedensethik“ (Wiesbaden 2022) ist gerade erschienen. Zudem gehörte er zu den Mitherausgebern der renommierten „Zeitschrift für Evangelische Ethik“. Das von ihm mitbegründete Open-Access-Projekt „Streit-KULTUR. Journal für Theologie“ hat vor Kurzem das erste Heft veröffentlicht. Darüber hinaus liegt eine Vielzahl von Einzelstudien und auch Rezensionen vor. Der Bogen spannt sich von philosophischen und religionssoziologischen, fundamentaltheologischen und dogmatischen Themen über das weite Feld der politischen Ethik und Rechtsethik bis hin zu aktuellen Fragen der Sozialethik und Gesellschaftstheorie. Christian Polke erweist sich darin als fachlich profilierter, religions- und kulturtheoretisch gebildeter, politisch wacher und interdisziplinär anschlussfähiger theologischer Denker und Ethiker.

Mit Christian Polke hat die Theologische Fakultät einen bei Lehrenden, Studierenden und Mitarbeitenden gleichermaßen beliebten und geschätzten Kollegen verloren. Mit großem Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein hat er sich für die Belange der Fakultät und Universität eingesetzt. In den belastenden Jahren der Pandemie hat er das Amt des Studiendekans umsichtig und gewissenhaft ausgeübt. Auch in die Universität hinein hat er gewirkt – in verschiedenen Ämtern und Kommissionen, vor allem aber auch durch seine sprühende Vitalität und Energie, seine Kontaktfreudigkeit und Gesprächsoffenheit. Christian Polke war ein überaus verlässlicher und loyaler Kollege, humorvoll, stets zugewandt und zugleich mit einem aufmerksamen Blick für den Anderen. Für Viele ist er zu einem wichtigen Lehrer, Begleiter und Freund geworden.

Die Theologische Fakultät ist vom plötzlichen Tod Christian Polkes tief betroffen. Er hinterlässt in der Fakultät eine Lücke, die lange und schmerzlich spürbar sein wird. Zugleich gedenken wir seiner in ehrender Anerkennung und mit großer Dankbarkeit.

Prof. Dr. Martin Laube
Dekan