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Verabschiedung des Präsidenten
Professor Dr. Reinhard Jahn am 22. Dezember 2020

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Liebe Studierende,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Mitarbeitende und Freunde.

Ich spare mir eine lange Liste an zu Begrüßenden – der Herr Minister und die anderen Amts- und Würdenträger mögen mir dies bitte nachsehen. Ein Nachteil dieses digitalen Formates ist es ja, dass man quasi ins Leere spricht und keinen Blickkontakt zu den Zuhörenden aufbauen kann.

Es ist nur wenig mehr als ein Jahr her, dass ich mich der Universität Göttingen als neuer Präsident vorgestellt habe – in einer ganz besonderen Situation: Die Universität hatte sich noch nicht von einer Führungskrise erholt, die mit der schmerzlichen Enttäuschung im Exzellenzwettbewerb begonnen hatte. Es hatte heftige Auseinandersetzungen gegeben, und die Krise ist selbst heute nach über einem Jahr noch nicht vergessen. Unser Standing in Niedersachsen hat dadurch erheblichen Schaden genommen. Ich habe mir im vergangenen Jahr alle Mühe gegeben, dem entgegen zu wirken, aber obwohl wir Fortschritte gemacht haben, sind wir noch nicht über den Berg. Es wird weiterer Anstrengungen bedürfen, den guten Ruf dieser hervorragenden Universität in Niedersachsen und auch bundesweit wiederherzustellen. Aber ich bin zuversichtlich, dass dies gelingen wird.

Nach einem Jahr an der Spitze dieser Universität kann ich sagen: Wir haben allen Grund, mit mehr Selbstvertrauen aufzutreten. So wurde kürzlich beim Empfang für unsere neuberufenen Kolleginnen und Kollegen deutlich, dass unsere Universität zumindest in der akademischen Welt nach wie vor einen hervorragenden Ruf genießt. Die neuen Professorinnen und Professoren waren fast schon erstaunt über das angeschlagene Selbstvertrauen, das sie in Göttingen vorgefunden haben und das so gar nicht ihrer Wahrnehmung der Georgia Augusta entspricht. In der Tat: Unsere Leistungsstärke als eine der deutschen Spitzenuniversitäten hat nicht nachgelassen und unser Platz als Universität #1 in Niedersachsen bleibt unangefochten. Natürlich sind nicht alle Konflikte ausgestanden, aber die Stimmung hat sich deutlich verbessert. Für mich war es eindrucksvoll, wie schnell die Universität mich als quasi über Nacht ins Amt geholten Interimspräsidenten akzeptierte. Insbesondere das Präsidium hat mich offen und vorbehaltslos aufgenommen, was nach der Zerreißprobe, die es hinter sich hatte, höchsten Respekt verdient. Ich möchte mich daher als erstes bei meinen Kolleginnen und Kollegen im Präsidium – Frau Bührmann, Frau Casper-Hehne, Herrn Diederichsen, Herrn Lossau, und last but not least Frau Schüller – für die hervorragende Teamarbeit bedanken. Für uns alle war es kein einfaches Jahr. Es hat immer mal wieder Differenzen gegeben, aber wir haben uns stets respektiert und auch nach Meinungsverschiedenheiten wieder zusammengefunden. Dafür gilt Ihnen allen mein ganz herzlicher Dank – das war wirklich große Klasse!

Niemand hat im letzten Dezember ahnen können, dass die Corona-Pandemie das alles beherrschende Thema des Jahres 2020 werden würde. Sie hat die Universität, wie viele andere Bereiche unserer Gesellschaft, in ihren Grundfesten erschüttert. Ich erinnere mich noch gut an das Wochenende im März, an dem uns der Ernst der Lage deutlich wurde, als die E-Mails hin- und herflogen, und als wir kurzerhand übereinkamen, den Universitätsbetrieb herunterzufahren. Ohne Vorwarnung und ohne darauf vorbereitet zu sein mussten wir hierfür über Nacht ein komplexes Krisen-Management aufsetzen. Dies wäre ohne eine beispiellose Zusammenarbeit und Solidarität am Göttingen Campus nicht möglich gewesen. Innerhalb von Stunden konnten mit Hilfe der Campuspartner Engpässe bei den Corona-Tests der UMG beseitigt werden. Die Infektionsmedizinerin der UMG, Frau Scheithauer, hat uns rund um die Uhr mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Neue Regeln mussten ad hoc aufgestellt und umgesetzt werden. Ich möchte mich insbesondere bei Frau Schüller und Herrn Lossau bedanken, die mit endloser Geduld die Krisenstäbe abgestimmt, die betroffenen Teile der Verwaltung koordiniert, die unzähligen Regelungen berücksichtigt, alles in verständliche und wirksame Maßnahmenkataloge integriert haben. Herr Richter, der Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit hat dann dafür gesorgt, dass dies alles kommuniziert und jede offene Frage beantwortet wurde – eine tolle Leistung!

Das war aber noch lange nicht alles: Mit nur knapp einem Monat Vorlauf musste der ganze Lehrbetrieb des Sommersemesters auf digital umgestellt werden – jede Vorlesung und jedes Seminar. Prüfungen und Praktika mussten unter strengen Hygiene-Auflagen nachgeholt und angepasst werden und vieles musste improvisiert werden. Ihnen allen – Studierenden, Lehrenden und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung – ist es zu verdanken, dass wir diese noch nie dagewesene Krisensituation bislang gut gemeistert haben. Besonders hervorheben möchte ich die Leistung der von Frau Bührmann geleiteten virtuellen Arbeitsgruppe Studium und Lehre, an der sich neben Studiendekanen und unserer Verwaltung auch die Vertreterinnen und Vertreter der Studierenden mit hohem Engagement beteiligt haben. Ohne die Arbeit der AG hätte der Lehrbetrieb der Universität im Sommer und im aktuellen Semester nicht so gut ablaufen können.

Auch wenn viele der neu aufgebauten digitalen Komponenten uns einen Innovationsschub für die Zukunft gegeben haben, werden die Herausforderungen der Krise immer deutlicher, je länger sie andauert. Am meisten haben unsere Studierenden unter der Pandemie zu leiden. Die vielen persönlichen Kontakte, die das Studium an unserer Universität so attraktiv machen und ein Kernelement akademischer Bildung sind, sind massiv eingeschränkt. Unternehmungen mit neuen Freunden, die spannenden Veranstaltungen und Diskussionen, sei es im Seminar, in der Mensa oder in der Kneipe – all das ist nach wie vor kaum möglich. Umfragen haben ergeben, dass über 60 % aller Studierenden unter Lernschwierigkeiten leiden und ihnen die soziale Isolierung zu schaffen macht. Am schlimmsten ist dies für unsere Studierenden aus dem Ausland, denen der Kontakt mit Menschen und damit der Zugang zu unserer Gesellschaft und zu unserer Kultur enorm erschwert wird. Vielen Dank an meine Kollegin Frau Casper-Hehne und an das von ihr geleitete Team von Göttingen International, die sich mit hohem Einsatz um unsere ausländischen Studierenden und Kolleginnen und Kollegen kümmern.

Auch wenn die ersten Impfstoffe bald verfügbar sein werden, gehe ich davon aus, dass wir noch mindestens bis zum nächsten Sommer unter den Ausnahmebedingungen leben und arbeiten müssen. Inzwischen haben wir besser gelernt, mit der Krise umzugehen. Hygienekonzepte wurden ausgearbeitet, die es erlauben, im Wintersemester zumindest einen Teil der Lehrveranstaltungen in Präsenz durchzuführen. Als flankierende, aber sehr wichtige Schutzmaßnahme sind wir seit einer Woche endlich in der Lage, den Studierenden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universität regelmäßige Coronatests anzubieten. Die Etablierung dieses Campus-Covid-Screens war nur möglich dank einer engen Zusammenarbeit zwischen der Universität, der UMG und den Max-Planck-Instituten, vor allem dem MPI für Experimentelle Medizin, und dank großzügiger Spenden, insbesondere einer Großspende der Firma Sartorius, für die ich mich herzlich bei ihrem CEO, Herrn Kreuzburg, bedanke. Allen Beteiligten möchte ich für ihren Einsatz und ihren Teamgeist sehr herzlich danken. Wir hoffen, dass wir mit diesen Maßnahmen sicher durch den Rest des Semesters kommen und dass alle Studierenden ihre Semesterziele erreichen können. Bislang haben wir Glück gehabt – es hat an der Uni keinen Covid-Ausbruch gegeben, und unter über 2000 Getesteten war bislang nur eine einzige positive Person. Dennoch: wir dürfen nicht nachlässig werden und müssen die Vorsichtsmaßnahmen beachten – sie retten Leben, auch wenn sie in den bevorstehenden Feiertagen an vielen Orten hinderlich erscheinen.

Trotz der alles bestimmenden Coronakrise kann unsere Universität auf ein sehr erfolgreiches Jahr zurückblicken. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit möchte ich einige Beispiele herausgreifen. So sind vier Sonderforschungsbereiche verlängert und einer neu eingerichtet worden. Vier Graduiertenkollegs waren erfolgreich mit ihren Anträgen für die 2. Förderphase und zwei neue haben wir hinzugewinnen können. An der UMG sind zwei Forschergruppen neu eingerichtet worden und an der Universität ist eine Forschergruppe verlängert worden. Auch bei von diversen Bundesministerien geförderten Verbundprogrammen war die Universität außerordentlich erfolgreich. Über 20 solcher Projekte, an denen Göttinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – häufig federführend – beteiligt sind, sind im letzten Jahr bewilligt worden. Das ist eine ausgezeichnete Bilanz!

Mindestens ebenso freue ich mich über die zahlreichen Erfolge einzelner Forscherinnen und Forscher in Exzellenz-Förderprogrammen. Neben Einwerbungen von Heisenberg-Professuren und einer Emmy-Noether-Gruppe bei der DFG möchte ich besonders die erfolgreichen Anträge beim ERC, dem Europäischen Forschungsrat, herausstellen. Meine Glückwünsche gehen an Jan Clemens (European Neuroscience Institut) für einen ERC Starting Grant, an Birgit Abels-Eisenlohr (Musikwissenschaften) und Timo Betz (Physik) für ERC Consolidator Grants, an Prof. Jörg Enderlein (ebenfalls Physik) für einen ERC Advanced Grant, und – last but not least – an Silvio Rizzoli (Neurophysiologie, UMG) für einen der äußerst kompetitiven ERC Synergy Grants.

Darüber hinaus hat es zahlreiche weitere Preise und Auszeichnungen gegeben. Als Beispiele für viele möchte ich nennen: den Leibnizpreis für Thomas Kaufmann (Theologie), den Niedersächsischen Wissenschaftspreis für Kai Ambos (Jura) als Wissenschaftler und Katharina Paul (Germanistik) als Studierende, den Leopoldina Early Career Award für Patrick Weigelt (Forstwissenschaften und Waldökologie) und den Studienpreis der Körber-Stiftung für Lucia Sommerer (erster Preis) und Marie von Falkenhausen (zweiter Preis), beide von der Juristischen Fakultät. Tobias Moser von der UMG hat zudem dem Großen Wissenschaftspreis der Fondation pour l’Audition erhalten. Allen beteiligten Kolleginnen und Kollegen möchte ich zu diesen Erfolgen im Namen der gesamten Universität sehr herzlich gratulieren!

Auch aus anderen Bereichen der Universität gibt es positive Nachrichten. So ist der dringend notwendige und überfällige Umbau des alten Isotopenlabors für den Exzellenzcluster Multiscale Bioimaging auf einem guten Weg. Und der Vorantrag für einen federführend von der Psychologie geplanten Forschungsbau Human Cognition and Behaviour ist positiv begutachtet worden. In der UMG ist es meinen Kollegen vom Vorstand, allen voran Wolfgang Brück, in zähen Verhandlungen gelungen, das Neubauprojekt für das Universitätsklinikum wieder flott zu machen und den gordischen Knoten zu durchschlagen, der dieses für Göttingen essentielle Milliardenprojekt für viele Monate blockiert hat. Ebenso freue ich mich, dass die UMG den Grundstein für das Heart and Brain Center gelegt und ein Modulgebäude für die Intensivmedizin bewilligt bekommen hat – beides wird die Leistung in Forschung und Klinik befördern.

Außerdem freut es mich, dass die jahrelangen Investments in unsere Digitalisierungsstrategie, die insbesondere von meinem Kollegen Norbert Lossau vorangetrieben werden, sich immer mehr auszahlen. So macht der Neubau des Rechenzentrums der GWDG rasche Fortschritte. Vor kurzem ist das Campus-Institute Data Science (CIDAS) als neue integrierende Dachstruktur gegründet worden. Dass Göttingen vor kurzem den Zuschlag als eines der nationalen Hochleistungsrechenzentren erhalten hat, ist großartig – einen besonderen Dank an Ramin Yayahpour, der diesen Antrag federführend verantwortet hat.

Und schließlich sollte an dieser Stelle noch die erfolgreiche Finanzierung für das Forum Wissen und den Nordflügel der Alten Zoologie erwähnt werden. Ich gestehe, dass ich mir noch im Sommer eine solche Entwicklung nicht hätte träumen lassen. Dass es zu dieser vorweihnachtlichen Überraschung gekommen ist, verdanken wir vor allem dem unermüdlichen Einsatz unseres langjährigen Förderers und Alumnus Thomas Oppermann. Er hat bis zu seinem viel zu frühen Tod in diesem Jahr Verhandlungen geführt, um die fehlenden Mittel zu sichern, die die Universität aus eigener Kraft nicht mehr stemmen konnte. Wir sind außerordentlich dankbar, dass sich Bund und Land entschlossen haben, diesen Herzenswunsch von Thomas Oppermann zu erfüllen. Uns ist es ein Anliegen, das nun im gleichen Haus wie das Forum Wissen entstehende Kulturzentrum im Andenken an ihn „Thomas Oppermann Kulturforum Göttingen“ zu nennen.

Auch die Betriebskosten des Forum Wissen sind für die kommenden fünf bis sechs Jahre gesichert. Ich möchte an dieser Stelle der Direktorin der Zentralen Kustodie, Frau Allemeyer, nennen, die stets an das Projekt geglaubt und dafür gekämpft hat, obwohl es wegen der Finanzkrise der Universität, auf die ich noch zu sprechen komme, noch vor kurzem ziemlich düster ausgesehen hatte. Frau Allemeyer, für Ihren Einsatz ganz herzlichen Dank – Sie haben einen wesentlichen Anteil an diesem großartigen Erfolg. Ich freue mich schon darauf, dabei zu sein, wenn das Forum Ende nächsten Jahres seine Türen öffnet!

Eine meiner Aufgaben war es, nach Aufarbeitung des Scheiterns bei der letzten Runde der Exzellenzstrategie auszuloten, ob und wenn ja, wie, wir uns für eine nächste Runde aufstellen wollen. Vor einem Jahr habe ich in meiner Antrittsrede dargelegt, wie ich dazu stehe. Im Laufe des Jahres habe ich Positionspapiere zur inneruniversitären Diskussion eingestellt. Die Ergebnisse sind in ein Strategiepapier eingeflossen, das von der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen im Auftrag des MWK angefordert wurde. Ich freue mich sehr, dass es aus mehreren Disziplinen starkes Interesse an neuen Anträgen für Exzellenzcluster gibt. Erste Skizzen aus Physik/Chemie, Land- und Forstwirtschaft, sowie Verhaltensbiologie/Psychologie sind aus von Herrn Diederichsen und mir initiierten Gesprächsrunden entstanden. Diese werden demnächst zur Diskussion gestellt und weitere Vorschläge sind willkommen. So gibt es auch in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften spannende neue Ideen, die einiges Potenzial haben. Dass diese Planungen in so kurzer Zeit so weit gediehen sind, verdanke ich meinem Kollegen Ulf Diederichsen, dem ich für die hervorragende Zusammenarbeit sehr herzlich danken möchte.

Natürlich stehen wir noch am Anfang unserer Planungen, aber die Zeit drängt. In den nächsten Monaten müssen die Ideen konsolidiert werden und die Forschungsthemen, die teilnehmenden Principal Investigators, die strukturellen Konzepte sowie mögliche Kooperationen mit Externen festgelegt werden. Ein Kriterienkatalog ist erarbeitet worden, an denen sich Clusterinitiativen orientieren sollten.

Noch ist es zu früh, die Erfolgsaussichten einzuschätzen. Es ist aber jetzt schon absehbar, dass die Universität Geld investieren muss, um Clusterinitiativen für diesen Wettbewerb fit zu machen, der in der nächsten Runde viel härter sein wird als in der letzten. Wir müssen die Zeit nutzen, strategische Berufungen umsetzen, bauliche Voraussetzungen schaffen und die Infrastruktur optimal aufstellen, um konkurrenzfähig zu bleiben, und das nicht nur in der Exzellenzstrategie. Allerdings werden wir die erforderlichen Mittel kaum allein aufbringen können. Und damit komme ich leider zum weniger erfreulichen Teil meiner Ansprache.

Ich mache mir zunehmend Sorgen über die finanziellen Perspektiven für unsere Universität. Ende letzten Jahres, als noch niemand an Corona dachte und sich das Land Niedersachsen noch über einen milliardenschweren Haushaltsüberschuss freuen durfte, bekamen wir völlig überraschend eine millionenschwere Kürzung vom Land – ohne Vorankündigung, sofort wirksam und dauerhaft. Weitere Kürzungen sind bereits angekündigt worden. Natürlich wissen wir, dass viele den Gürtel enger schnallen müssen, um die enormen Folgekosten der Corona-Krise zu bewältigen. Dennoch: Es schmerzt mich besonders zu sehen, wie andere Bundesländer gerade in der Krise in ihre Hochschulen investieren, anstatt die Mittel zu kürzen.

Das ist aber noch nicht alles. Wie eine von unserem ehemaligen Stiftungsratsvorsitzenden Dr. Wilhelm Krull geleitete Kommission festgestellt hat, weisen die niedersächsischen Universitäten aufgrund ihres überalterten Gebäudebestands einen Sanierungsstau in Höhe von über 4 Milliarden Euro auf. Fast eine Milliarde davon entfällt auf die Universität Göttingen – und das ohne die UMG mit einzurechnen. Auch wenn wir uns freuen, dass die Finanzierung des Klinikumsneubaus in diesem Jahr deutlich vorangekommen ist – für alle anderen dringenden Baumaßnahmen gibt es keine Rückstellungen und keinen Zeitplan. Das bedeutet: Wir fahren auf Verschleiß und riskieren den Zusammenbruch ganzer Institute, deren weitere Sanierung kaum mehr aufgeschoben werden kann. Lassen Sie es mich in aller Deutlichkeit sagen: Wenn sich am Sparkurs der Landesregierung nichts ändert, muss sich die Universität Göttingen überlegen, ob sie sich eine Beteiligung am Exzellenzwettbewerb finanziell noch leisten kann. Die Konkurrenz schläft nicht – es droht ein Abstieg ins Mittelfeld.

Es wird Sie nicht überraschen, dass uns diese Haushaltskrise zu sehr schmerzhaften Einsparungen zwingt. Fakultäten, die Verwaltung und zentrale Einrichtungen müssen Kürzungen in Millionenhöhe verkraften. Weiterhin haben wir uns genötigt gesehen, das Lichtenberg-Kolleg trotz seiner internationalen Sichtbarkeit zu schließen. Wir werden Professuren nicht wiederbesetzen können und Studiengänge schließen müssen. All dies wird nicht einfach werden und zu Konflikten und Frustrationen führen. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Frau Schüller bedanken, die die unangenehme Aufgabe der Finanzsteuerung auch bei schrumpfenden Haushalten mit Umsicht und Augenmaß übernommen hat.

Die Verantwortung für die Finanzmisere allein bei der Landesregierung zu sehen, greift aber zu kurz. Wir werden von Steuergeldern finanziert und es ist auch unsere Aufgabe, die Gesellschaft immer wieder von der Wichtigkeit unserer Tätigkeit zu überzeugen. Wir müssen deutlich machen, dass unser gesamter Wohlstand und der medizinische Leistungsstand ohne Grundlagenforschung nicht existieren würde. So gehen die weltweit gefeierten Erfolge bei der Corona-Impfstoffentwicklung durch Firmen wie BioNTech, auf die unsere Politiker aktuell so stolz sind, auf 30 Jahre zurückliegende Ergebnisse in akademischen Forschungslaboren zurück. Die Impfstoffe, auf die wir alle jetzt unsere Hoffnungen setzen, hätten ohne akademische Grundlagenforschung nie so schnell entwickelt werden können.

Die Corona-Krise hat außerdem in aller Deutlichkeit gezeigt, dass Gesellschaft und Politik gut beraten sind, wenn sie die Ergebnisse aus der Forschung und die daraus abzuleitenden Konsequenzen ernst nehmen. Die erste Welle haben wir nur so gut gemeistert, weil auf die Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaft gehört wurde. Die zweite Welle der Coronakrise haben unsere Bundes- und Landesregierungen hingegen leider gründlich vermasselt. Und zwar auch, weil sie den wissenschaftlichen Rat ignoriert haben. Überall wurde vor dieser vermeidbaren Katastrophe gewarnt – am RKI, der Leopoldina, oder von den mit zunehmender Verzweiflung einzeln an die Öffentlichkeit gehenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Krankheits- und Sterblichkeitsszenarien exakt vorhergesagt haben. Es ist viel zu spät und viel zu zögerlich reagiert worden. Das war keine Sternstunde des deutschen Föderalismus. So hat sich die Situation dramatisch entwickelt: Pro Woche verlieren wir inzwischen mehr Mitbürgerinnen und Mitbürger als sonst in einem Jahr in Deutschland bei Verkehrsunfällen oder in zehn Jahren bei Bränden umkommen – und was für einen Aufwand betreiben wir, um diese Zahlen zu senken. Tausende von Toten hätten vermieden werden können, wenn – wie dringendst von der Wissenschaft angemahnt – bereits zu Beginn der zweiten Exponentialphase im Oktober stärker eingegriffen worden wäre.

Zurück zu unserer Universität. Trotz der andauernden Pandemieprobleme und der Finanzkrise blicke ich durchaus optimistisch in die Zukunft. Vor allem, weil mir das vergangene Jahr eindrücklich gezeigt hat, dass der berühmte Göttingen Spirit auch und gerade in Krisenzeiten lebendig ist. So habe ich auch bei schwierigen Entscheidungen die Zusammenarbeit mit den Fakultäten stets als konstruktiv und angenehm empfunden, und hierfür möchte ich mich bei allen Dekaninnen und Dekanen sehr herzlich bedanken. Auch die Zusammenarbeit mit dem Senat hat sich nach anfänglichen Verwerfungen positiv entwickelt. Es ist mein Eindruck, dass zwischen Präsidium und Senat wieder eine Vertrauensbasis und eine konstruktive Diskussionskultur entstanden ist. Dafür möchte ich allen Senatsmitgliedern herzlich danken. Ich wünsche Ihnen Augenmaß und eine gute Hand bei der im Januar anstehenden Neuwahl einer Präsidentin/eines Präsidenten, sine ira et studio und hoffentlich diesmal ohne schädliche Publicity. Übrigens: Bei den Senatssitzungen ist deutlich geworden, dass kein Digitalformat den persönlichen Kontakt ersetzen kann. Das haben auch unsere Governance- und Strategie-Workshops gezeigt, die wir zumindest teilweise in Präsenz durchführen konnten und bei denen man wenigstens einige Kolleginnen und Kollegen wieder persönlich treffen konnte.

Wie bei meinem Amtsantritt angekündigt, haben wir mit dem Georgia-Augusta-Dialog versucht, eine niederschwellige Diskussionsplattform zu strategischen Fragen der Universität einzuführen, an der sich alle beteiligen können. Gerade in der Pandemie erlaubt dieses Instrument Transparenz und Partizipation. Mein Eindruck ist, dass dieses Forum von vielen angenommen worden ist, aber wir stehen erst am Anfang und müssen noch einiges tun, um diese Plattform zu einem zentralen Forum für inneruniversitäre Diskussionen zu entwickeln. Für die vielfältigen Beratungen beim Aufsetzen dieser Plattform und unserer strategischen Positionierung möchte ich mich besonders bei Herrn Richter bedanken, dessen Rat immer wieder von unschätzbarem Wert gewesen ist, ganz besonders auch bei den diversen kleineren und größeren Krisen, die es gegeben hat.

Das Jahr, das ich an der Spitze dieser großartigen Universität verbringen durfte, hat mein Leben bereichert. Ich habe faszinierende Menschen kennenlernen dürfen, neue Freunde gewonnen und viele Erfahrungen gemacht – wie immer im Leben mit Licht und Schatten. So war mir nicht klar, wieviel Zeit man als Präsident mit Problemen verbringt, die zwar nicht auf der sachlichen Ebene, dafür umso mehr auf der zwischenmenschlichen Ebene kompliziert sind. Eine Erkenntnis, ich dabei gewonnen habe, ist, dass analytische und soziale Intelligenz kaum korreliert sind – da hat mich manches überrascht. Ich kann nur an alle appellieren, bei Konflikten den Dialog zu suchen anstatt nach außen zu gehen, Presse und Politiker zu aktivieren und so dem Ruf der Universität zu schaden – das Wohl der Universität sollte Priorität vor Einzelinteressen haben. Natürlich hat die Pandemie vieles erschwert. So können Konflikte im digitalen Mäusekino (Zoom) nur schwer aufgearbeitet werden – man kann sich halt nicht einfach entspannt zu einem Glas Wein treffen. Zumindest das hoffe ich, mit vielen von Ihnen nachholen zu können, wenn – hoffentlich irgendwann im nächsten Jahr – wieder ein normaleres Leben möglich ist und ich wieder etwas mehr Zeit habe.

Ich komme zum Ende und möchte mich besonders bei all denen bedanken, die mich auf dem Weg durch dieses schwierige Jahr begleitet haben. Beginnen möchte ich bei den vielen Kolleginnen und Kollegen aus unserer Zentralverwaltung, die mit Herz und Engagement für unsere Universität arbeiten und die ich leider nicht alle nennen kann. Weiterhin möchte ich mich bei den Mitgliedern unseres Stiftungsrates für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Mein Dank geht auch an unser Wissenschaftsministerium, allen voran an Herrn Minister Thümler und die Staatssekretärin Frau Johannsen, die stets ein offenes Ohr für unsere Probleme haben. Nehmen Sie mir meine offenen Worte zu den Finanzen nicht übel – wir wissen, dass auch Sie Geld nur einmal ausgeben und nicht drucken können. Ein besonderer Dank geht zudem an den Vorstand der UMG –allen voran an Wolfgang Brück. Lieber Wolfgang – das war wirklich eine tolle Zusammenarbeit, und unsere morgendlichen Gespräche werden mir fehlen!

Zum Schluss möchte ich noch einige Personen nennen, ohne die ich meinen Job überhaupt nicht hätte bewältigen können, und denen ich enorm viel verdanke. Als erstes möchte ich meine Kollegin, Frau Schüller nennen, die ab Januar wieder die Geschicke der Universität leiten wird, bis mein Nachfolger/meine Nachfolgerin im Amt ist. Liebe Frau Schüller – es war wirklich phantastisch, mit Ihnen zusammenzuarbeiten! Die vielen Stunden, die wir – meist abends – miteinander gesprochen haben, waren ungemein bereichernd – ich habe sehr viel von Ihnen gelernt! Ich bewundere ihre klare analytische und stringente Herangehensweise, vor allem, weil Sie trotz der vielen Details nie das Große und Ganze aus den Augen verlieren! Ich wünsche Ihnen für die Zukunft, dass Sie sich weiterhin treu bleiben. Die nächsten Monate werden nicht einfach, aber ich bin sicher, dass Sie diese Universität mit Umsicht, Herz und Verstand – und Souveränität – leiten werden. Meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger kann sich glücklich schätzen, eine so kompetente, loyale und angenehme Mitstreiterin an der Seite zu haben.

Die zweite Person, die sehr wichtig für mich gewesen ist, ist Herr Strohschneider, der Vorsitzende unseres Stiftungsrates. Lieber Herr Strohschneider – wir kennen uns ja schon lange, aber in diesem Jahr haben Sie mich wirklich ungemein beeindruckt! Ihre Beratung war für mich wegweisend. Ihr analytischer Scharfblick, ergänzt durch Ihre langjährigen Erfahrungen, war für mich von unschätzbarem Wert! Ich freue mich schon auf ein gutes Glas Wein in der Zukunft, wenn sich die Lage etwas entspannt hat.

Schließlich möchte ich mich bei meinem eigenen Team bedanken. Allen voran bei Frau Schwennsen, der Leiterin unseres Präsidialbüros, die mehr über unsere Universität weiß als ich mir vorstellen kann. Sie ist das Herz und die Seele des Präsidiums, die dem Wohl der Uni alles unterordnet. Liebe Frau Schwennsen, was hätte ich ohne Ihre Kenntnisse und ohne Ihren Rat tun können, gerade bei schwierigen und kontroversen Entscheidungen! Last but not least möchte ich mich ganz besonders bei Frau Schmeisser und Frau Pöhlker bedanken, die mit mir den größten Teil des Jahres in Klausur in unserem kleinen Ausweichbüro auf der anderen Seite des Wilhelmsplatzes verbracht haben. Sie haben mich in diesem Jahr aushalten müssen, Sie sind mit mir durch dick und dünn gegangen, Sie waren immer für mich da, Sie haben sich mit gefreut und mit gelitten! Das war große Klasse, das werde ich nie vergessen! Es bleibt mir nur noch, der Universität für ihre Zukunft alles Gute zu wünschen. Gehen Sie den Weg weiter, den wir gemeinsam eingeschlagen haben, und verlieren Sie sich nicht in Grabenkriegen. Nutzen Sie auch und gerade diese schwierige Zeit, um sich auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren, Neues zu beginnen und alte Verkrustungen aufzubrechen. Sorgen Sie dafür, dass diese ehrwürdige Universität auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ihren Platz unter den besten Universitäten des Landes behält.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Ihr

Reinhard Jahn

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