Projektbeschreibung

Wie die Zukunft ländlicher Räume aussehen könnte bzw. (nicht) aussehen sollte, wird aktuell wohl stärker denn je politisch, medial und sozial diskutiert – und zugleich auch vielfach neu ausgehandelt und erprobt. Gerade in ländlichen Räumen verdichten sich die zentralen Themen und Probleme gegenwärtiger Gesellschaften: Demographie und Daseinsvorsorge, Klimakrise und Energiegewinnung, Landwirtschaft und Tierhaltung, Ernährung und Lebensstil, Landflucht und Wohnungsnot, Migration und Populismus, soziale Spaltung und gesellschaftlicher Zusammenhalt etc. Zugespitzt formuliert: Die Zukunft der Gesellschaft entscheidet sich mittlerweile auf und mit dem Land. Welche Funktionen dabei dem Faktor Kultur zukommen, ist bisher allerdings noch weitestgehend unerforscht. Kultur ist einerseits innerhalb der Reihe dieser Aufzählung zentraler Themen und Probleme zu verorten, da sie als mitunter auch marginalisiertes Teilsystem gesellschaftlichen Zusammenlebens immer wieder neu unter prekären Bedingungen produziert wird; hierbei stellt sich u.a. die forschungsleitende Frage: Welche LandKulturen sind in Zukunft wie denkbar und von wem realisierbar – und welche (sozialen) Funktionen werden sie in unterschiedlichen ländlichen Räumen ausfüllen können? Kultur ist andererseits aber zugleich auch quer zu diesen Problembereichen zu verorten, da sie diese mit ihren je eigenen Mitteln sowohl aufnimmt und darstellt als auch je spezifisch bearbeitet und reflektiert; hierbei stellt sich also u.a. die forschungsleitende Frage: Welche unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen werden vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen und potenziell zukünftiger Entwicklungen kulturell erzeugt – und wie wirken sie sich auf die konkrete Gestaltung von Zukunft durch Akteur*innen in ländlichen Räumen aus? Dies betrifft ein breites Spektrum an Akteurskonstellationen: von der Freiwilligen Feuerwehr über ortsansässige Autor*innen und Heimatvereine bis hin zu großstädtischen Raumpionieren. Sie arbeiten allesamt mit kulturellen Mitteln an der Erzeugung ihrer spezifischen Land-Zukunft.

Projektziele und Projektansätze

Dieser konstitutiven Verbundenheit von Kultur und Zukunft ländlicher Räume widmet sich das hier anvisierte interdisziplinäre Forschungsprojekt auf mehreren Ebenen, die die Verschränkungen von kulturellen Diskursen über die Zukunft von ländlichen Räumen mit kulturellen Praktiken unterschiedlicher Akteur*innen in ländlichen Räumen erforscht und dabei nach Modellen gelingender wie auch nicht-gelingender Zukunftsgestaltung – (realisierbaren) Landutopien und (vermeidbaren) Landdystopien – sucht. Dafür werden die methodischen Ansätze der Literatur-/Medienwissenschaften mit denen der Sozialwissenschaften zusammengeführt und kombiniert.

Das Forschungsprojekt untersucht anhand von vier konkreten Fallbeispielen, die ggfs. stellvertretend und modellhaft für andere Ortschaften stehen können, die Einflussfaktoren und Wechselwirkungen der Produktion von Kultur und Zukunft im Ländlichen auf drei miteinander verbundenen Ebenen:

  1. der Ebene der kulturellen/medialen Konstruktionen ländlicher Zukunft,
  2. der Ebene der zukunftsbezogenen Kulturvorstellungen in ländlichen Räumen sowie
  3. der Ebene der kulturellen Aktivitäten unterschiedlicher Akteursgruppen und Netzwerke vor Ort.

Die Auswahl der Fallbeispiele richtet sich nach der Typologie ländlicher Räume des Thünen-Instituts (Küpper 2016) und deckt, neben einer genuinen kulturellen und strukturellen Heterogenität, alle vier Ländlichkeits-Typen ab: a) sehr ländlich / gute sozioökonomische Lage, b) sehr ländlich / weniger gute sozioökonomische Lage, c) eher ländlich / gute sozioökonomische Lage, d) eher ländlich / weniger gute sozioökonomische Lage. Es soll sich hierbei um folgende Regionen handeln, die zugleich auch einen geographischen Querschnitt der Bundesrepublik bieten sowie eine gewisse Bandbreite der wissenschaftlichen und (inter-)medialen Thematisierungen abdecken: a) das Emsland, b) Mansfeld-Südharz, c) die Saarpfalz, d) die Uckermark. Dabei erlaubt gerade diese Heterogenität der vorhandenen medialen Thematisierungen auch Erkenntnisse bzgl. der Frage nach den damit verbundenen kulturellen Zukunftsvorstellungen und -praktiken sowie ihren je konkreten Gelingensbedingungen.

Themenbereiche des Projekts

  1. Kulturelle/mediale Konstruktionen ländlicher Zukunft:

    Gegenwärtig vollzieht sich in den medialen Diskursen ein weitreichender Wandel, der die kulturellen Bilder und Narrative sowohl von Zukünften – die bisher vor allem in der Großstadt verortet wurden – als auch von Ländlichkeiten – die bisher vor allem als Orte der Vergangenheit konzipiert wurden – betrifft. Ländlichkeiten und ländliche Räume werden aktuell vielfach neu gedacht, erzählt und konzipiert; und zwar jenseits der ‚klassischen‘ Deutungsmuster des Idyllischen einerseits und des Defizitären andererseits. Diese Neukonzeptionen des Ländlichen als Raum der Zukunft sind u.a. in Literaturen, Filmen, Serien und Ausstellungen zu beobachten. Sie sind zugleich aber auch Teil der Selbstbilder und -erzählungen von Akteur*innen in ländlichen Räumen, mit denen sie in Wechselbeziehung stehen und von denen sie mitunter neu produziert werden – und durch die sie nicht zuletzt handlungsleitend wirken.

  2. Zukunftsbezogene Kulturvorstellungen in ländlichen Räumen:

    Diese kulturellen Neukonzeptionen von ländlichen Zukünften und zukünftiger LandKultur sind häufig mit Orts- und Regionsbezügen versehen. Dadurch sorgen sie für eine Neuperspektivierung der konkreten Räume sowohl im Blick von außen als auch von innen. Sie produzieren Fremd- und Selbstbilder, die sich auf die Zukunftsfähigkeit von Ländlichkeiten sowie die konkrete Gestaltung ländlicher Räume auswirken: Spezifische Bilder und Narrative sowohl des Zukünftigen als auch des Ländlichen beeinflussen individuelle und kollektive Praktiken im privaten wie sozialen Raum, die auf die Umgestaltung materieller und struktureller Gegebenheiten abzielen. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an Kunst und Kultur in bzw. für ländliche Räume; sei es, dass sie z.B. Einsamkeit, Extremismus und Abwanderung verhindern sollen, sei es, dass sie z.B. neue Formen der Gestaltung von Arbeit und Freizeit, des Umgangs mit Natur und Technik, der Bildung von Sozialen Orten (Kersten/Neu/Vogel 2022) und kollektiven Identitäten motivieren oder gar als Motoren des Zuzugs fungieren sollen.

  3. Kulturelle Akteure und Netzwerke in ländlichen Räumen:

    Die praktische Umsetzung von Bildern und Erzählungen zukünftiger Ländlichkeit und zukünftiger Landkultur sind gebunden an Raumproduzenten, die zum einen zwischen medialen Zukunftsentwürfen und lokalen Bedingungen übersetzen oder zum anderen selbst als Produzenten wie auch Realisatoren von Zukunftsmodellen in Erscheinung treten. Dabei korrespondiert mit der Heterogenität von Land und Ländlichkeitsbildern eine neue Heterogenität von kulturellen Akteur*innen in ländlichen Räumen: Raumpioniere, Neulandgewinner oder Produzenten Sozialer Orte treffen hierbei mitsamt ihren impliziten und expliziten Zukunftsvorstellungen und -praktiken auf bereits bestehende Formen ‚traditioneller‘ ländlicher Kultur. Dadurch bilden sich neue Akteurskonstellationen heraus, die – häufig vor dem Hintergrund eines wahrgenommenen Mangels, einer erlebten Krise oder eines ausgefochtenen Konflikts – soziale Innovationen auf dem Land voranbringen und gesellschaftliche Prozesse des alternativen Wirtschaftens, Wohnens, der Institutionenbildung und der Gestaltung des öffentlichen Raums initiieren. Gerade Kulturschaffende gelten als Impulsgeber*innen für eine innovative lokale oder regionale Entwicklung. Doch wie wird diese Indienstnahme von den Akteur*innen selbst gesehen, auf welchen expliziten wie impliziten Zukunftsentwürfen baut sie auf und welcher ‚messbare‘ Einfluss auf Regionalentwicklung lässt sich überhaupt feststellen?

Leitfragen

Hauptziel des Projektes ist es also, die einführend genannten Forschungsperspektiven (‚Zukunft aus Kultur‘ und ‚Zukunft mit Kultur‘) am Beispiel ländlicher Räume in allen drei Themenbereichen mittels einer Zusammenführung literatur-/medien- und sozialwissenschaftlicher Methoden zu untersuchen.

Zusammengefasst lauten die Leitfragen des Forschungsvorhabens daher:

  • Erzählen: Wie wird von wem über (die Zukunft der) Kultur auf dem Land erzählt und welche gesellschaftlichen Themen und Zukünfte werden hierbei verhandelt? Welchen Anteil hat hier ländliche Kultur?
  • Spannung: Inwieweit beeinflussen die Bilder und Narrative vom Land die ländliche Kultur?
  • Zukunftschancen: Über welche Potentiale verfügen die Narrative einerseits und die Kulturakteure*innen andererseits für die nachhaltige Gestaltung ländlicher Räume?
  • Kontextfaktoren: Welche Bedingungen (Ökonomie, historische Pfadabhängigkeiten, Demographie, Infrastruktur) wirken auf Bilder/Erzählungen/Themen/Akteure ländlicher Kultur?
  • Erwartungen: Was soll und was kann Kultur in ländlichen Räumen leisten?
  • (Selber-)Machen: Welche Kultur-Angebote werden von wem für wen gemacht?
  • Handlungsempfehlungen: Welche Empfehlungen lassen sich aus der Analyse und Begleitforschung für lokale Akteure, Verwaltung und Politik ableiten? Welche (regional)politischen Implikationen ergeben sich daraus? Wie kann kulturelle Teilhabe in ländlichen Räumen zukunftsfähig gestaltet werden und entscheidend zur Entwicklung ländlicher Räume beitragen?

  • Zur Beantwortung dieser Fragen sind die spezifischen Herausforderungen und Wandlungsdynamiken in ländlichen Gemeinden tiefenscharf zu erfassen und in ihren Besonderheiten zu erklären. Die Komplexität an Herausforderungen und Akteurskonstellationen soll mit einem methodenkombinierenden Forschungsdesign analysiert werden, in dessen Zentrum einerseits vertiefte Literatur- und Medienanalysen sowie andererseits Fallanalysen in vier ländlichen Untersuchungsorten stehen. Mittels empirischer Fallanalysen werden nicht nur Bestandsaufnahmen von kulturellen Aktivitäten wie Kulturakteur*innen vorgenommen. Vielmehr wird zugleich mit Bürger*innen partizipativ in lokalen Kulturwerkstätten an Bildern und Erzählungen von ruralen Zukünften gearbeitet, die so einen praktischen Raum für die Erarbeitung nachhaltiger kultureller Teilhabe schaffen.