Wirtschaftspolitisches Forum
Ein Rückzug wäre fatal
Mit dem für dieses Jahr prognostizierten negativen Wachstum von über minus 6% ist Deutschland deutlich stärker von der weltweiten Wirtschaftskrise betroffen als die meisten anderen Industrieländer. Ein wesentlicher Grund dafür ist der massive Exporteinbruch. Bei einer derzeitigen Exportquote von 47% ist Deutschland besonders stark von globalen Entwicklungen abhängig. War diese starke Exportorientierung nun – wie Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut verkündet – das „falsche Geschäftsmodell“?
Vieles spricht dagegen: Unsere positive Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahre wurde nahezu ausschließlich vom Export getrieben. Trotz eines steigenden Anteils der importierten Vorleistungen an der Wertschöpfung der Exporte, tragen die Ausfuhren nachhaltig in hohem und wachsendem Maße zu unserer Wertschöpfung bei. Dabei ist der deutsche Export allerdings sehr stark von der Einkommensentwicklung unserer Abnehmerländer abhängig, während die Preisabhängigkeit eher unterdurchschnittlich ist. Dies hat den Vorteil, dass bei weltweitem Wirtschaftswachstum der Export überproportional wächst! Die letzten Jahrzehnte waren nahezu ununterbrochen durch globales Wirtschaftswachstum geprägt. Bei sehr einkommensabhängiger Exportnachfrage ergibt sich daraus eine außerordentlich solide und nachhaltige Wachstumskomponente, die die Wachstumsrate unserer Binnennachfrage übersteigt. Auf einen solchen Wachstumsbeitrag zu verzichten, wäre falsch.
In der Regel haben wir darüber hinaus keinen weltweit synchronen Konjunkturverlauf. Die Folge ist, dass eine Volkswirtschaft, die in hohem Maße exportiert, über die Breite ihrer Absatzgebiete die Gefahr starker Konjunktureinbrüche mindern kann. Selbst wenn die Binnenkonjunktur schwächelt, wird es an anderen Stellen der Welt üblicherweise einen günstigeren Konjunkturverlauf geben, so dass die Gesamtnachfrage stabilisiert wird. Aus diesem Grund war der Export auch jahrelang der einzige nachhaltige Wachstumsmotor Deutschlands.
In der deutschen Wirtschaft gibt es zudem gerade im mittelständischen Bereich außerordentlich erfolgreiche Unternehmen, die zum Teil bei Spezialprodukten Weltmarktführer sind. Dies haben sie nicht mit Billiglöhnen erreicht, sondern mit innovativen und technologisch hochwertigen Produkten. Gerade der Mittelstand stellt dabei viele Arbeitsplätze zur Verfügung, die verloren gingen, wenn man nicht mehr auf globale Absatzmärkte setzen könnte. Eine Steigerung der Binnennachfrage könnte hierfür kein Ersatz sein.
Sinns Vorschlag, die „Exportfixierung“ aufzugeben und lieber Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor auszubauen, indem man versucht, den Import lohnkostenintensiver Güter zu ersetzen, widerspricht den Kenntnissen über die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung. Sollen wir unsere komparativen Vorteile, die sich in unseren hohen Exporterlösen spiegeln, aufgeben, um mit Niedriglöhnen Importsubstitution zu betreiben – eine Importsubstitution, die zu einer Spezialisierung auf Güter führt,
bei denen wir komparative Nachteile haben? Die Folge wären ein geringeres Sozialprodukt und damit auch eine geringere Verteilungsmasse.
Natürlich ist die Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit bei gering qualifizierten Arbeitskräften ein wichtiges Ziel. Die Notwendigkeit einer hinreichenden Arbeitsmarktflexibilität inklusive einer stärkeren Lohnspreizung im unteren Lohnsegment ist daher auch unbestritten. Aber sollen wir deshalb eine Spezialisierung auf Produktionssegmenten für relativ unproduktive und gering qualifizierte Tätigkeiten anstreben? Effizienter ist es, auf hochproduktive Sektoren zu setzen, die positive externe Effekte auch auf andere volkswirtschaftliche Bereiche ausüben und damit eine hohe Wertschöpfung ermöglichen. Hierdurch entsteht wiederum ein Umverteilungsspielraum, der letztlich auch für eine qualitative Förderung schlecht ausgebildeter Arbeitskräfte genutzt werden kann.
Solche externen Effekte in Form von Vorwärts- und Rückwärtsverkettung, über Investitionen in das Humankapital und in Forschung und Entwicklung oder über die Verbreitung technologischer Innovationen entstehen aber eben seltener in der derzeit importabhängigen Textilbranche und eher in den exportorientierten Sektoren des Maschinenbaus oder der Chemie. Ein Rückzug aus unserem „Geschäftsmodell“ der etablierten Exportindustrien zu Gunsten von Importsubstitution wäre daher fatal.
Die derzeitige globale Krise ist eine Ausnahmesituation, die weder typisch noch dauerhaft ist. Sie sollte daher nicht zum Anlass genommen werden, bisher erfolggestützte Exportstrukturen in Frage zu stellen.