Wirtschaftspolitisches Forum

Hilfe muss Anreize zur Selbsthilfe geben



Christian Hopp und Axel Dreher, Tagesanzeiger, S. 11, 14. November 2006


Mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an Muhammad Yunus und der damit verbundenen Anerkennung seiner Leistung für die Armusbekämpfung manifestiert sich auch die Forderung nach einer neuen Form der Entwicklungshilfe für die ärmsten Länder der Welt. Yunus versucht mit Mikrokrediten für Menschen, die sonst von keiner Bank oder einem anderen Kapitalgeber Geld bekommen, die wirtschaftliche Entwicklung für Millionen armer Menschen in Bangladesch und anderen Ländern voranzutreiben. Anstatt die Menschen mit Hilfen in weiterer Abhängigkeit zu halten, setzt er so auf Marktmechanismen und besonders auf den Willen und die Fähigkeit der Menschen, kreative Wege aus der Armut zu finden und sich letztlich selbst zu helfen. Genau diese Anreize sind es, die die offizielle staatliche Entwicklungshilfe in den letzten Jahrzehnten viel zu oft ausser Acht gelassen hat.


Ob und inwieweit die offiziellen Entwicklungshilfe den Armen zugute kommt, ist unter Experten daher auch heftig umstritten. Zahlreiche Studien zeigen, dass sich ein positiver Zusammenhang zwischen der Höhe der offiziellen staatlichen Hilfsleistungen und dem Wirtschaftswachstum der Empfängerlander nicht nachweisen lässt. Ganz im Gegenteil: Die ständigen Zahlungen aus dem Ausland scheinen den Anreiz der Eliten in den Empfängerländern zu mindern, auf eine bessere Wirtschaftspolitik hinzuwirken, denn mit einem Anstieg des eigenen Einkommens würden die Unterstützungszahlungen sinken. Da ein erheblicher Teil der benötigten Finanzmittel vom Ausland bereitgestellt wird, besteht kein großes Interesse daran, den schwierigen und zumeist langwierigen Weg zur Entwicklung einheimischer Ressourcen zu beschreiten. Genauso unterdrücken die Hilfen den Anreiz, einen funktionierenden privaten Kapitalmarkt zu etablieren. In den ärmsten Ländern der Welt behindern Bürgerkriege, Diktatoren, ethnische Auseinandersetzungen und die Unterdrückung der Frauen den zivilisatorischen Prozess. Die Länder zeichnen sich zudem durch eine schlechte Regierungsführung, unsichere oder gänzlich fehlende Eigentumsrechte, grassierende Korruption und eine vergleichsweise geschlossene Volkswirtschaft aus. Die richtigen Voraussetzungen für ein hohes Wirtschaftswachstum sind das nicht. Im Gegenteil: Ein hohes Wirtschaftswachstum wird durch gute institutionelle Rahmenbedingungen und die wirtschaftliche Freiheit eines Landes gefördert.


Dies impliziert freilich nicht, dass die staatliche Entwicklungshilfe in den letzten Jahrzehnten gänzlich ohne Wirkung war. Im Gegenteil – die wahrscheinlich wichtigsten Ziele der Geberländer sind in vielen Fällen erreicht worden. So wurde unter anderem dass wirtschaftliche Eigeninteresse gefördert, denn oft mussten die gezahlten Beträge aus der Entwicklungshilfe im Geberland ausgegeben werden. In einigen Fällen wurde sie direkt in Form von Sachwerten geliefert. So schätzt die amerikanische Entwicklungsbehörde USAID, dass 70 Prozent ihrer Hilfsmittel zurück in die USA fliessen. Frankreich nutzt die Hilfen, um die Verbreitung der französischen Sprache und Kultur in seinen ehemaligen Kolonien zu fördern. Die Geberregierungen haben die Hilfsgelder ausserdem verwendet, um ihre politischen Ziele voranzutreiben. Beispielsweise um sich das Wohlverhalten der Empfängerländer – unter anderem in der UN Vollversammlung – zu sichern. Sie vergaben Kredite, um Stimmen im UN Sicherheitsrat zu kaufen und stützen ihnen wohlgesonnene Regime – sogar dann, wenn diese Regime undemokratisch waren und ihr Volk ausbeuteten. Politische Erwägungen haben sogar Eingang in die Entwicklungsstrategie 2006 des Seco gefunden. Diese sieht eine Konzentration der Hilfen unter anderem auf Länder vor, die den wirtschaftspolitischen Interessen der Schweiz dienen. Das sind Länder, die mindestens als wirtschaftlich interessant eingestuft werden, und Länder, die für die Schweiz von politischer Bedeutung sind. Dass diese Hilfen die Armut verringern, scheint eher unwahrscheinlich.


Wie wären die Hilfen auszugestalten, um die Empfänger aus der Armut zu führen? Zunächst einmal müssten die Gelder zielorientiert eingesetzt werden. Gelder, die aus politischen Gründen oder wirtschaftlichem Eigeninteresse vergeben werden, dürften nicht als Entwicklungshilfe deklariert werden. Aber auch die tatsächlichen Hilfsgelder müssten so vergeben werden, dass sie der Erreichbarkeit wichtiger Entwicklungsziele dienen. Bisher war das nicht immer so. Eine aktuelle Studie der Ökonomen Axel Dreher, Rainer Thiele und Peter Nunnenkamp beispielsweise zeigt, dass die wichtigsten offiziellen Geber ihre Hilfen nicht entsprechend der Millenniums-Entwicklungsziele prioritisiert haben. Während einige Entwicklungsziele – wie beispielsweise der Kampf gegen AIDS – die Aufteilung der Hilfen durchaus beeinflusst haben, besteht in anderen Bereichen eine deutliche Lücke zwischen der Rethorik der Geber und ihrem Handeln. Diese Lücke ist im Bereich der primären Schulbildung besonders deutlich. In einigen Fällen hat die Hilfe mit der Bedürftigkeit nicht viel zu tun.


Zuallererst müssen sich die Geber die Frage stellen, ob ihre Hilfen bei den Empfängern die richtigen Anreize setzen. Sie müssen ihre Gelder einsetzten, um die Märkte in den Empfängerländern zu stärken, statt sie zu zerstören. Eine wirksame Entwicklungspolitik muss dazu beitragen, dass das für die Entwicklung erforderliche Kapital in den Entwicklungsländern selbst – durch Innovationsfähigkeit und eigene Arbeit – erwirtschaftet wird. Sie muss den privaten Güter- und Kapitalmarkt stärken, statt ihn zu schwächen. Sie muss auf die für eine erfolgreiche Entwicklung unabdingliche gute Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit hinwirken. Wenn diese Bedingungen nicht gegeben sind, setzt der Zufluß von Hilfsgeldern aus dem Ausland keine eigenständige Entwicklung in Gang – die Gelder schaden dann mehr als sie nützen. Statt den Erfolg der Entwicklungspolitik anhand der ausgegebenen Beträge zu beurteilen (beispielsweise anhand der immer wieder als Ziel genannten 0,7 Prozent des BSP der Industrieländer), muss auf Basis marktwirtschaftlicher Konzepte gehandelt werden, um die wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen in den ärmsten Ländern der Welt zu verbessern. Dem institutionellen Umfeld und der Liberalisierung von Wirtschaft und Kapitalmärkten kommt hierbei eine tragende Rolle zu.


Die Industrieländer müssen jedoch auch ihre eigenen Märkte für die Produkte der ärmeren Länder öffnen. Durch den Abbau von Marktzutrittsbarierren liessen sich leicht Vorteile schaffen, die die Möglichkeiten der reinen Geldleistungen weit übersteigen. Leider liegt ein solcher Abbau nicht im Interesse mächtiger Einflussgruppen in den Industrieländern. Diese widersetzen sich der Marktöffnung erfolgreich – wie das Scheitern der jüngsten WTO-Welthandelsrunde eindrucksvoll belegt. Ein Teil der Entwicklungshilfe könnte daher eingesetzt werden, um die Verlierer der Marktöffnung in den Industrieländern selbst zu kompensieren. So würden letztlich alle besser gestellt.


Die Geberländer haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und zumindest ihre Rhetorik hat sich verändert. Die Agenda 2010 der Seco hat viele der hier genannten Masssnahmen in ihre Entwicklungsstrategie aufgenommen. Ob und inwieweit die Industrieländer jedoch tatsächlich bereit sind, ihre eigenen wirtschaftlichen und politischen Ziele zugunsten der Empfängerländer hinten anzustellen und sich über die Interessen ihrer Lobbies hinwegzusetzen, bleibt fraglich. Die Hoffnung für eine spürbare Verringerung der Armut liegt somit eher in nicht-staatlichen Initiativen. Initiativen die die wirtschaftliche und soziale Entwicklung von unten angehen, wie der diesjährige Friedennobelpreisträger Yunus.