Wirtschaftspolitisches Forum

Noch auf Weiteres kein einig Euroland



Robert Schwager, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim


Die Höhe der Steuerbelastung deutscher Unternehmen ist Gegenstand leidenschaftlicher Diskussionen. Die einen werten den Rückgang des Aufkommens der Körperschaftsteuer von 23,6 Mrd. € im Jahre 2000 auf heuer erwartete 11,5 Mrd. € als Beleg für den sinkenden Beitrag der Unternehmen zur Staatsfinanzierung. Die anderen beklagen, die Sätze der Unternehmenssteuern im europäischen Vergleich seien zu hoch. Beide Sichtweisen greifen zu kurz.


Gesamtwirtschaftliche Aufkommenszahlen geben auf Grund statistischer Probleme kaum Hinweise auf die Steuerbelastungen der Unternehmen. So wird das Aufkommen der Körperschaftsteuer durch Erstattungen für Verlustrückträge, ausländische Steuern und Körperschaftsteuergutschriften überlagert. Auf der anderen Seite trifft es zwar zu, dass die Tarifbelastung von Gewinnen in Deutschland relativ hoch ist. Ein reiner Tarifvergleich zeichnet jedoch ein unvollständiges Bild der Steuerbelastung, da er nicht alle relevanten Steuern umfasst und Unterschiede in der Bemessungsgrundlage nicht berücksichtigt.




Effektive Steuerbelastung wichtig


Alternativ zu diesen einfachen Ansätzen hat die Wirtschaftswissenschaft entscheidungs­orientierte Messkonzepte entwickelt, welche die Steuerbelastung im Zusammenwirken von Steuerarten, Tarifen, Bemessungsgrundlagen und Steuersystemen abbilden. Eine solche Maßgröße ist der effektive Grenzsteuersatz. Er gibt die Belastung einer zusätzlichen Investition an, die sich aus Sicht des Investors gerade noch lohnt. Diese Größe ist deshalb für die wachstumspolitisch wichtige Investitionsneigung von Bedeutung. Das ZEW hat im Auftrag des Internationalen Benchmark Clubs der BAK Konjunkturforschung Basel einen internationalen Vergleich effektiver Grenzsteuersätze durchgeführt.


Da für kleine und mittlere Unternehmen der Blick über die nahen Grenzen oft von besonderem Interesse ist, deckt die Studie neben den wichtigsten EU-Ländern und den USA zahlreiche Standorte in der Schweiz, Ostfrankreich und Süddeutschland ab. Es wurden, für den Rechtsstand 2001, neben gewinnabhängigen Steuern auch nicht gewinnabhängige Steuern wie die Grundsteuer oder die in einigen Schweizer Kantonen anfallende Kapitalsteuer berücksichtigt. Zudem wurden die von allen drei Ebenen des Staates erhobenen Steuern aggregiert.




Hohe Belastung in Deutschland, niedrige Belastung in der Schweiz


Die erste Abbildung zeigt die Ergebnisse für sieben ausgewählte Standorte, wobei je eine Kapitalgesellschaft mit typischen Anlage- und Finanzierungsstrukturen aus drei mittelständisch geprägten Wirtschaftszweigen zu Grunde gelegt wurde. Ausgewiesen ist der effektive Grenzsteuersatz auf Ebene des Unternehmens, also unter Berücksichtigung der von der Gesellschaft gezahlten Steuern. Man erkennt, dass in allen drei Branchen die Steuerbelastung in Deutschland zwar niedriger ist als in Frankreich, aber höher als an den anderen Standorten. Insbesondere fällt das sehr niedrige Niveau in der Schweiz auf, wobei Zug nochmals um einiges günstiger ist als die Metropole Zürich.


Eine wesentliche Ursache für diese Rangfolge stellen die unterschiedlichen Gewinnsteuer­sätze dar. So besteuern Stadt und Kanton Zürich und die Schweizerische Eidgenossenschaft Gewinne zusammen nur mit 24,92 %. In Zug sind es gar nur 14,31 %. Darüber hinaus spielt auch das Niveau der in Frankreich erheblichen ertragsunabhängigen Steuern eine Rolle, so dass Straßburg trotz mäßigem Körperschaftsteuersatz als Hochsteuerstandort erscheint. Auch hinsichtlich der Vorteilhaftigkeit der Abschreibungs­bedingungen liegt die Schweiz vorne, was sich jedoch weniger stark auswirkt.




Abb. 1: Effektive Grenzsteuersätze auf Unternehmensebene.

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Quelle: ZEW / BAK Konjunkturforschung Basel AG.


Im Branchenvergleich fällt auf, dass Investitionen im Baugewerbe am niedrigsten, solche in der Metallerzeugenden Industrie am höchsten besteuert werden. Dies ist eine Konsequenz der unterschiedlichen Unternehmensstrukturen. Die Fremdfinanzierungsquote in der Bauindustrie ist besonders hoch, woraus sich wegen der Abzugsfähigkeit von Kreditzinsen eine niedrige effektive Steuerbelastung ergibt.


Für mittelständische Unternehmen mit nur einem oder wenigen dominierenden Eigentümern kommt es letztlich darauf an, wie hoch die den Anteilseignern zufließenden Erträge besteuert werden. Darüber gibt die nächste Grafik Auskunft. Hier werden effektive Grenzsteuersätze ausgewiesen, die die gesamte Belastung beim Unternehmen und beim Anteilseigner angeben. Die Rangfolge der untersuchten Standorte ändert sich kaum.




Abb. 2: Effektive Grenzsteuersätze auf Gesamtebene (Unternehmen und Anteilseigner) bei qualifizierter Beteiligung.

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Quelle: ZEW / BAK Konjunkturforschung Basel AG.


Steuerwettbewerb und Steuerpolitik


Deutschland hat also als Investitionsstandort durch die Steuerreform noch nicht entscheidend Boden gut gemacht. Nun mag man einwenden, dass Unterschiede in der effektiven Steuerbelastung das unternehmerische Verhalten nicht wesentlich beeinflussen. Schließlich gibt es für Investitions- und Standortentscheidungen viele Motive, wie die Nähe zu Absatzmärkten, die Arbeitsmarktbedingungen oder die Regulierungsdichte. Insbesondere staatliche Leistungen etwa für Infrastruktur oder Bildung können bei der Standortwahl ein Gegengewicht zu hohen Steuern darstellen. Empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass Steuern die Direktinvestitionsströme tatsächlich maßgeblich mitbestimmen, während staatliche Ausgaben kaum Direktinvestitionen attrahieren. Die Auswirkungen des Steuerwettbewerbes müssen also durchaus ernst genommen werden.


Was kann die deutsche Steuerpolitik tun? Eine mögliche Strategie besteht darin, auf eine europäische Harmonisierung der Körperschaft- oder gar der Einkommensteuer zu drängen. Dies würde den Standortvorteil der EU-Staaten Niederlande und Großbritannien eliminieren, gleichzeitig aber wohl europaweit zu höheren Steuern führen. Darüber hinaus lockt mit der Schweiz ein weiterer, steuerlich noch attraktiverer Wettbewerber direkt vor der Haustür, ganz zu schweigen von nichteuropäischen Ländern. Im Wettbewerb wird Deutschland deshalb nicht umhin kommen, selbst die Steuern nochmals zu senken. Länder wie die Niederlande und die Schweiz zeigen, dass dies möglich ist, ohne dass wichtige Leistungen des Staates eingeschränkt werden müssen.