Prof. Dr. Kurt Seelmann: Forschungsprojekt

Person und Persönlichkeit als kulturelle Vorgaben für das Recht

Das Forschungsprojekt befasst sich mit den Kategorien, in denen das Recht den Menschen erfasst. In der Tradition der Moderne ist dies die Person, der Träger von Rechten und Pflichten, gleich mit allen anderen und prinzipiell unter Abstraktion von allen bestimmten Eigenschaften. Schon seit dem 18. Jahrhundert tritt daneben auch innerhalb des Rechts das Bild der Individualität, des besonderen Menschen, der »Persönlichkeit«. Mit letzterer Kategorie tut sich das Recht allerdings in der Regel schwer, holistische Bilder vom »konkreten Menschen« sperren sich in manchen Hinsichten der juristischen Erfassung. Gleichwohl müssen alle Rechtsgebiete damit umgehen: das Verfassungsrecht schützt unter dem Gesichtspunkt der »Menschenwürde« auch die individuelle Identität und Integrität, das Zivilrecht debattiert seit mehr als hundert Jahren über ein »allgemeines Persönlichkeitsrecht« und das Strafrecht bemüht sich schon etwa gleich lange um einen »Gefühlsschutz«, »Identitätsschutz« oder »Orientierungsschutz« jenseits des Schutzes einzelner Rechte oder Rechtsgüter der Person. Eine genauere Erforschung dieser Phänomene erfordert historische und systematische Untersuchungen. Historisch gehen Begriffe wie Person oder Individuum in unserer Kultur auf die Christologie sowie auf die Trinitätslehren insbesondere des 13. Jahrhunderts zurück, wobei der Person auch immer noch Elemente der Repräsentation aus der ursprünglichen griechischen Bedeutung des Wortes (prosopon) anhaften. Aus der Zusammenführung der dignitas-hominis-Tradition mit der miseria-hominis-Tradition im 15. Jahrhundert entsteht dann, von der Literatur bis zur Porträtmalerei, im 16. Jahrhundert ein wiederum von den Juristen rezipiertes Verständnis des unverwechselbaren menschlichen Individuums, das als solches allerdings noch nicht Gegenstand des rechtlichen Schutzes wird, gleichwohl aber als Synthese für das Innehaben diverser subjektiver Rechte fungieren kann. Viele dieser Zusammenhänge bedürfen genauerer Untersuchung. Soweit irgendwie möglich ist diese Herausbildung des abendländischen Selbst-Bildes insbesondere zur korrekten Einschätzung von Rezeptionsvorgängen auch in Beziehung zu setzen zu dem auf den ersten Blick teilweise ähnlichen, teilweise aber auch verschiedenen Selbst-Bild der ostasiatischen Tradition. Systematisch sollten die neueren Entwicklungen in der rechtlichen Kategorisierung des Menschen mit verschiedenen möglichen Interpretationsmustern konfrontiert werden. Formen des Respekts für die Identität des Anderen könnten sich z.B. verstehen lassen als Vorgänge einer Moralisierung oder Sakralisierung des Subjekts. Was dem Menschen ursprünglich äußerlich als »Sittlichkeit« oder gar als »Tabu« gegenübersteht, wird in ihn hinein verlagert als unverfügbarer Selbstzweck und moralischer Eigenwert, als abwägungsfeste »Würde«. Die Konsequenzen für das Recht der Zukunft sind noch bei weitem nicht hinreichend untersucht worden. Was bedeutet es für die einzelnen Rechtsgebiete, wenn es eine Rechtspflicht zum Respekt gegenüber dem konkreten Individuum gibt?