PD Dr. Alexandra von Lieven

Fellow von Oktober 2010 bis Juli 2011
Dr., Privatdozentin für Ägyptologie, Freie Universität Berlin, Deutschland

Geboren 1974 in Deutschland
Studium der Ägyptologie und Vergleichenden Religionswissenschaft, sowie einige Semester Altorientalistik (mit Schwerpunkt Vorderasiatische Archäologie), Klassi¬sche Archäologie und Indologie in Tübingen

Forschungsvorhaben:
Mythos und Moral – Göttliche Normtransgression im Alten Ägypten

In der Mythologie des Alten Ägypten gibt es eine Fülle von Gestalten, die den kulturellen Normen zuwiderhandeln oder deren Handeln zumindest potentiell problematisch ist. Dabei handelt es sich keineswegs nur um die allgemein als „böse“ bekannten Gestalten wie Seth, den Mörder des Osiris, seinen Sohn Maga oder Apopis, den ewigen Rebell gegen den Sonnengott, sondern auch um üblicherweise positiv bewertete Gottheiten wie etwa den Erdgott Geb oder die Königsgötter Osiris und Horus. Allerdings werden in den betreffenden Texten jedoch nur ganz bestimmte Akteure für ihr Verhalten offen kritisiert und noch weniger davon in der religiösen Praxis explizit als feindlich dämonisiert. Mehr noch, dasselbe Verhalten, z.B. die Vergewaltigung der eigenen Mutter, kann bei einer Gottheit als extremes Fehlverhalten gebrandmarkt werden, bei einer anderen hingegen als Kavaliersdelikt durchgehen.
Es ist daher zunächst nach den Gründen für dieses Ungleichgewicht zu fragen; weiterhin danach, welche Schlüsse über die altägyptische Gesellschaft und ihre Denkweise einerseits, sowie über die Funktion von Mythen allgemein innerhalb einer komplexen Kultur andererseits, sich daraus ziehen lassen.
Auf diese Weise soll erstmals ein Gesamtbild des Phänomens göttlicher Normtransgression im altägyptischen Mythos entstehen. Zu diesem Zweck soll zunächst ein Inventar sämtlicher betroffener Gottheiten erstellt werden, für die die relevanten Quellen ausgewertet werden. In einem zweiten Schritt wird angestrebt, charakteristische Mytheme zu bestimmen und in ihrer Struktur und Bedeutung genauer zu verorten.
Im Falle des mehrfach belegten Vergewaltigungsmythems etwa lässt sich deutlich zeigen, dass die Wertung wesentlich von Hierarchien und Genderrollen und damit zusammenhängenden Rechtsansprüchen zusammenhängt. So macht es einen wesentlichen Unterschied, ob das Opfer Tochter oder Mutter des Täters ist, bzw., ob es einen lebenden Ehemann hat, in dessen Rechte durch die Tat eingegriffen wird. Selbstverständlich können diese Beobachtungen nicht 1:1 auf die ägyptische Gesellschaft übertragen werden, doch können sie wesentliche Indikatoren für einen sozialen Konsens in bestimmten Fragen darstellen.
Zur kulturhistorischen Auswertung sollen ähnliche Erscheinungen in anderen antiken Mythologien vergleichend herangezogen werden. Dadurch wird es besser möglich, das spezifisch Ägyptische von möglichen Universalien in Religionen und Kulturen eines ähnlichen Typus zu scheiden.

Ausgewählte Publikationen

von Lieven, A. 2007. Grundriß des Laufes der Sterne. Das sogenannte Nutbuch. Kopen¬hagen: Museum Tusculanum Press.

von Lieven, A. 2007. Thot selbdritt. Mögliche ägyptische Ursprünge der arabisch-lateinischen Tradition dreier Hermesse. Welt des Orients 37: 69-77.

von Lieven, A. 2006. Seth ist im Recht, Osiris ist im Unrecht! Sethkultorte und ihre Version des Osiris-Mythos. Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 133: 141-150.

von Lieven, A. 2004. Das Göttliche in der Natur erkennen. Tiere, Pflanzen und Phänomene der unbelebten Natur als Manifestatio¬nen des Göttlichen (mit einer Edition der Baumliste P. Berlin 29027). Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 131: 156-172, Taf. XX-XXI.

von Lieven, A. 2003. „Wein, Weib und Gesang — Rituale für die Gefährliche Göttin“ in C. Metzner-Nebelsick (Hg.): Rituale in der Vorgeschichte, An¬tike und Gegenwart. Neue Forschungen und Perspektiven von Archäologie, Ägyptologie, Altori¬en¬talistik, Ethnologie und vergleichender Religionsgeschichte. Interdisziplinäre Tagung vom 1.-2. Februar 2002 in Berlin. Leidorf: Rahden (Westf.): pp. 47-55.