Prof. Dr. Rudolf von Sinner

Fellow von Januar bis Oktober 2011
Dr. theol. habil., Professor für Systematische Theologie, Ökumene und interreligiösen Dialog
Escola Superior de Teologia, São Leopoldo/Rio Grande do Sul, Brasilien

Geboren 1967 in Basel/Schweiz
Studium der Evangelischen Theologie in Basel, Edinburgh und Heidelberg

Forschungsvorhaben:
Interkulturelle Theologie als Systematische Theologie

Es ist mittlerweile weithin bekannt, dass sich das „Gravitationszentrum“ des Christentums jedenfalls numerisch nach Süden verschoben hat. Lebten vor hundert Jahren noch über 80% der Christen in Europa und Nordamerika, so sind es jetzt nur noch 40%. Die Mehrheit der Christen lebt heute in Lateinamerika oder in Afrika, Tendenz steigend. In Afrika hat sich der Anteil des Christentums an der Bevölkerung von 9,4% im Jahre 1910 auf heute knapp 48% erhöht. Brasilien ist heute das Land mit den meisten Katholiken, freilich auch das Land mit den meisten Pfingstlern. Neue Kirchen kommen auch in säkularisierte Länder durch Migration und fordern die traditionellen Kirchen und die nichtkirchliche Bevölkerung gleichermaßen heraus. Es geht hierbei jedoch nicht einfach um Exotik zur ästhetischen Konsumierung. Es geht auch nicht nur um die (wichtige) Frage der Möglichkeit und der Bedingungen einer Übertragung des Evangeliums in neue Kulturen, wie das von der Missionswissenschaft bedacht wird. Es geht um eine dringliche Herausforderung an die Systematische Theologie als der wissenschaftlich verantworteten Auskunft über den Glauben, über ihre traditionellen, namentlich in Westeuropa verwurzelten historischen und philosophischen Grundlagen hinauszugehen und eine wahrlich interkulturelle, „katholische“ und ökumenische Theologie zu entwickeln. Englischsprachige theologische Literatur und wissenschaftliche Einrichtungen sind in dieser Hinsicht bisher offener und mutiger gewesen als der deutsche Sprachraum. Mein gegenwärtiges Projekt nimmt sich eine umfassende Literaturdurchsicht über interkulturelle Theologie, gegenwärtige Dogmatik und „World Christianity“ im Hinblick auf einen theoretischen Beitrag zu einer solchen interkulturellen Systematischen Theologie vor. Dabei geht es vornehmlich um folgende Fragen:
a) Wie nehmen Standardwerke der heutigen Systematischen Theologie interkulturelle Aspekte wahr und inwiefern erachten sie sie für das Wahrheits- und Wirklichkeitsverständnis der Theologie als zentral?
b) Inwiefern führen Werke interkultureller Theologie und „World Christianity“ die Spielarten des Christentums unter den Bedingungen verschiedener und pluraler Kulturen auf Fragen transkultureller Kohärenz und Wahrheit zurück?
c) Inwiefern machen praktisch-ethische Erfordernisse – Friedensförderung, Kooperation, Konvivenz, soziale Gerechtigkeit – eine solche Kohärenzsuche notwendig angesichts vorherrschender Konkurrenzverhältnisse zwischen Kirchen wie zwischen Religionen?
d) Welche Folgerungen sind daraus für die Aufgabe heutiger Systematischer Theologie als öffentlicher Theologie zu ziehen, die gegenüber anderen Wissenschaften, der multikulturellen Gesellschaft, den multikulturellen Kirchen sowie anderen Religionen über den Glauben und seine Implikationen Auskunft gibt?

Ausgewählte Publikationen:

von Sinner, R. Forthcoming 2011. The Churches and Democracy in Brazil: Towards a Public Theology Focused on Citizenship. Eugene: OR.

von Sinner, R. (Hg.). 2010. Leonardo Boff und die protestantische Theologie. Frankfurt a. M.: Verlag Otto Lembeck.

Kusmierz, K., Schubert, B., von Sinner, R., Weber, B. und H. Walz (Hg.). 2007. Grenzen erkunden zwischen Kulturen, Kirchen und Religionen. Frankfurt a. M.: Verlag Otto Lembeck.

von Sinner, R. 2007. Confiança e convivência: reflexões éticas e ecumênicas. São Leopoldo: Editora Sinodal.

von Sinner, R. 2003. Reden vom dreieinigen Gott in Brasilien und Indien: Grundzüge einer ökumenischen Hermeneutik im Dialog mit Leonardo Boff und Raimon Panikkar. Tübingen: Mohr Siebeck.