Migration als Herausforderung

Bericht von Dr. Nadine Behncke

"Wir schaffen das." Diese Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Hinblick auf die Flüchtlingskrise im Sommer 2015 fand großen Widerhall in Medien und Gesellschaft. Er wurde zum Slogan der neuen "Willkommenskultur" in Deutschland. Nicht ganz ein Jahr später steht diese Willkommenskultur aufgrund der gewonnen Erfahrungen zur Debatte: Neben der immer noch großen Hilfsbereitschaft der Bevölkerung mehren sich auch kritische Stimmen über den Umgang mit der Flüchtlingskrise. Viele fragen sich, wie die Integration der Flüchtlinge in Arbeitsmarkt und Gesellschaft gelingen kann. Welche Auswirkungen hat die Zuwanderung zudem auf die inländischen Bürger und Bürgerinnen? Nicht zuletzt spiegeln die Wahlerfolge der AfD diese Unsicherheiten in Bezug auf die Flüchtlings- und damit auch Migrationspolitik wider.

Diese Fragen und Eindrücke nahm das cege zum Anlass zu der Diskussionsveranstaltung "Migration als Herausforderung?" einzuladen. Unter der Moderation von Prof. Dr. Frank Schorkopf (cege) stellten Prof. Dr. Panu Poutvaara (Zentrum für Internationalen Institutionenvergleich und Migrationsforschung, ifo-Institut), Prof. Dr. Roland Czada (Institut für Sozialwissenschaften, Universität Osnabrück) und Klaus Voelcker (Geschäftsführer operativ, Bundesagentur für Arbeit Göttingen) verschiedene Sichtweisen zu diesem kontroversen Thema dar.

Nachdem Prof. Dr. Schorkopf in seiner Begrüßung die Interdisziplinarität und Vielschichtigkeit des Themas dargestellt hatte - Wie wird Migration definiert, sind Flüchtlinge Migranten? Welche Auswirkungen hat Migration auf Gesellschaft, Wirtschaft und Gesetzgebung sowie auch ganz praktisch auf die Anforderungen in der Verwaltung? - stellte Prof. Dr. Panu Poutvaara die Chancen der Migration aus volkswirtschaftlicher Sicht dar: Die Volkswirtschaften der Zielländer profitieren von Zuwanderung, wenn die Migranten Nettozahler sind. Allerdings zeigte Poutvaara, dass im Durchschnitt die Arbeitslosigkeit bei Migranten höher ist als bei Inländern, demnach seien Migranten eher Nettoempfänger. Er schlug daher überwiegend arbeitsmarktpolitische Instrumente vor, wie die Aussetzung des Mindestlohns für Migranten. Außerdem empfahl er die Einführung eines Einwanderungsgesetzes. In Kanada hätte ein solches Gesetz zu einer schnelleren und nachhaltigeren Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt geführt.

Prof. Dr. Roland Czada ging anschließend auf die politische Dimension ein und fragte nach den Folgen der Krise für Gesetzgebung und Verwaltung. Mit Bezug auf die Gastarbeiter der 60er Jahre, bewertete Czada die Integration der Gastarbeiter durchaus als gelungen und belegte seine Meinung mit zahlreichen Beispielen und dem Vergleich mit anderen Ländern. Gemeinhin attestierte er jedoch der Politik, dass sie sich momentan in einem Krisenmodus befinde, der an der stark angestiegenen gesetzgeberischen Aktivität im Rahmen der Flüchtlingskrise zu erkennen sei. Außerdem beklagte er, dass die augenscheinliche Überlastung der Verwaltungen nicht notwendig gewesen wäre, da die Krise vorhersehbar gewesen wäre. Czada forderte daher Verbesserungen in der "good governance" in Deutschland.

Klaus Voelcker berichtete anschließend aus der Verwaltungspraxis. Seine Erläuterungen verdeutlichten, dass die Probleme in der öffentlichen Verwaltung nicht nur in der Anzahl der Migranten und der damit verbundenen höheren Arbeitsbelastung liegt, sondern auch in den unübersichtlichen Zuständigkeiten der verschiedenen Behörden. Die Schaffung neuer Schnittstellen zwischen den einzelnen Akteuren trage dazu bei, solche Koordinationsprobleme besser zu lösen. Anhand von Beispielen aus der Arbeitsvermittlung illustrierte Herr Voelcker zudem die Bedeutung der Sprache für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt. Kritisch bemerkte er dazu, dass der Spracherwerb bedingt durch ein geringes Bildungsniveau aus den Herkunftsländern oftmals nicht schnell genug und umfassend gelinge. So schätzte Voelcker, dass von seinen "Kunden" nur ca. 10 % am Ende des Jahres die deutsche Sprache ausreichend beherrschen für eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt

In der anschließenden Diskussion ging es unter anderem um die Vorrangsprüfung und die Rechtmäßigkeit der Höhe der eingesetzten Mittel für die Integration von Migranten. Die Frage, ob gering qualifizierte Inländer mit einer Verdrängung auf dem Arbeitsmarkt, durch Migranten rechnen müssen, wurde insbesondere in Verbindung mit einer (zeitweiligen) Aussetzung des Mindestlohns für Migranten kontrovers diskutiert. Zudem wurde die Rolle des Staates und der Politik in der Flüchtlingskrise kritisch hinterfragt: Kann von einem multiplen Staatsversagen gesprochen werden, wenn die Krise vorhersehbar war oder ist die Krise eventuell als Kalkül zur Durchsetzung von Partikularinteressen zu werten?
Die Veranstaltung endete mit einem Ausblick auf den weiteren Verlauf der Krise: Braucht Deutschland eventuell ein Ministerium für Einwanderung und wird die Krise womöglich zum neuen Normalzustand?