Neuerscheinung: 2. Halbband 2018 des SAECULUM

68. Jahrgang (2018), 2. Halbband



Beiträge: Thema "Kinless Worlds"

Daniel Weisser: Ehe- und Familienlosigkeit als einziger Weg zum Heil: (Sexuelle) Askese als exklusives christliches Ideal im 4. Jahrhundert
Im 4. Jahrhundert erfuhr die theologische Reflexion über Enthaltsamkeit mehr Aufmerksamkeit als je zuvor. Alle bedeutenden Theologen der Zeit haben mindestens eine Schrift verfasst, in der sie über Jungfräulichkeit und Enthaltsamkeit reflektieren und diese als ideale christliche Lebensform darzustellen versuchen. In einigen Gruppierungen (die Eustathianer in Kleinasien, die Hierakiten in Ägypten) ist das Jungfräulichkeitsideal sogar zu einem exklusiven Ideal geworden, das heißt Verheiratete und andere nichtasketisch Lebende sind aus ihrer Sicht vom Heil ausgeschlossen. Die Großkirche hat auf die Herausforderung durch die exklusiven Asketen reagiert, indem sie deren Exklusivitätsanspruch ablehnte und in einer Hierarchisierung der Lebensformen die Jungfräulichkeit zwar hervorhob, zugleich aber die Verheirateten als potentiell heilsfähig anerkannte.

Geoffrey Nathan: The Jovinianist Controversy and Mary Aeiparthenos: Questioning Mary's Virginity and the Question of Motherhood
Dieser Beitrag betrachtet die Entwicklung der Jungfräulichkeit Mariens in der frühen Kirche, insbesondere im 4. und 5. Jahrhundert. In der westlichen Kirche war das grundlegende Problem ihre immerwährende Jungfräulichkeit (ante, in und post partum); in der östlichen war es ihr Status als Mutter Gottes. Der Unterschied im Interesse und in der letztendlichen Festlegung der Natur Mariens wurde in Italien im Zuge des Wirkens Jovinians auf die Spitze getrieben und brachte, im Verein mit staatlichem Druck, die Kirchenväter dazu, ihre Jungfräulichkeit als immerwährend und (sie selbst zur) Theotokos zu erklären. Diese Übereinkunft führte auch dazu, dass sich Maria zum Symbol beziehungsweise zur Patronin der familienfeindlichen Askese entwickeln konnte.

Barbara Feichtinger: Familiale Aspekte asketischer Familienfeindlichkeit bei Hieronymus
Die familienfeindlichen Tendenzen in den Streitschriften des Asketen Hieronymus sind in der Forschung schon vielfach beschworen worden. Hieronymus' Hauptargument für die Lösung aus der weltlichen Familie war die spiritualisierte Familienbindung durch die Gotteskindschaft der Christen. Dennoch sind selbst bei ihm christliche Askese und Familie nicht als Antagonismus zu verstehen. Vielmehr ist der Bezug zwischen den beiden Kräften von einer symbiotischen Ambivalenz geprägt. Neben der antifamilialen Askesepropaganda finden sich nämlich auch bei Hieronymus Stellungnahmen, die zu den antifamilialen Appellen des Neuen Testaments deutlich auf Distanz gehen.

Susanna Elm: The Sponsa and the Sponsa Christi: Variations of the Late Roman Marriage Plot
Während des späteren Römischen Reiches nahm der Konkurrenzkampf unter den Eliten um vorteilhafte Ehen stark zu, was zu einer verstärkten Aufwertung der Verlobung führte. Alleine die Möglichkeit, eine Verlobung abschließen zu können, die hoffentlich zur Heirat führen würde, erforderte eine erhebliche Anzahlung. Dieser Beitrag argumentiert, dass ein solcher verschärfter Wettbewerb um die richtige sponsa, zusammen mit sich verändernden Mitgiftbräuchen, den Hintergrund für wissenschaftliche Diskussionen über die Entstehung der sponsa Christi und anderer Formen kinbezogener zölibatärer Lebensformen, wie zölibatärer Ehen, bilden sollte.

Anne-Marie Helvétius: Servir Dieu, le roi ou la famille ? Les significations de l'engagement monastique d'après l'hagiographie mérovingienne
In der Tradition des antiken Elogiums beginnen die christlichen Heiligenviten gewöhnlich mit der Vorstellung der gentilen Abstammung ihrer Protagonisten. Anders als das Elogium fokussiert die Vita jedoch häufig auf die Abkehr von ebendieser Familie, darin dem Beispiel Abrahams oder des reichen Jünglings des Matthäusevangeliums (Mt 19,16-30) folgend. Der ideale Mönchsheilige ist derjenige, der von anderswo herkommt und mit Heimat und Familie gebrochen hat, um Christus nachzufolgen. Dennoch treffen wir in der Hagiographie der Merowinger bemerkenswert selten auf diese radikale Form der Weltentsagung. Vielmehr stellten die merowingischen Mönchsheiligen ihr Leben in den Dienst des Königs oder der mächtigen Adelsfamilien, denen sie entsprungen waren. Generalisierungen verbieten sich. Vielmehr gilt es, die Vielgestalt der Lebensentwürfe ernst zu nehmen.

Claudia Zey: Ohne Frauen und Kinder. Askese, Familienlosigkeit und Zölibat in den Streitschriften des 11. und 12. Jahrhunderts
In diesem Beitrag werden zunächst einleitend ein Abriss über die Etappen des Zölibatsstreits vom Frühmittelalter bis in die Zeit der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts, eine Typologie der einschlägigen Quellengattungen sowie eine Analyse der Begrifflichkeit gegeben, mit der die Reformer nichtenthaltsame Kleriker, deren Frauen und Kinder bedachten. Im Hauptteil werden dann die Argumente für und gegen den Zölibat vorgestellt und auf die Frage hin untersucht, ob und inwieweit familiäre Bindungen überhaupt Gegenstand dieses Streits waren. Die Antwort fällt für die Kirchenreformer, besonders für Gregor VII., weitgehend negativ aus, da man vergeblich nach Verfügungen sucht, die auf das Schicksal vom Zölibat betroffener Frauen und Kindern eingingen. Der Priesterzölibat wurde als absolute Norm vorgeschrieben, repräsentativ für die von jedem weltlichen Bezug losgelöste Kirche. Im Unterschied dazu argumentierten die Befürworter der Priesterehe häufig auf der Basis der Schriftautoritäten gegen die Trennung von ihren Frauen und Kindern.

Cristina Andenna: Familiäre Nähe und Distanz in der franziskanischen Welt des 13. Jahrhunderts
Der Beitrag befasst sich mit der Familienlosigkeit im religiösen Diskurs der Franziskaner. Die radikale Trennung vom familiären Umfeld bedeutete, ein neues 'Familienbewusstsein' in spiritueller Dimension zu entwerfen, das konzeptionell auf die Semantik der fraternitas rekurrierte: Biologische Familienkonstellationen und familiäre Rollen wurden in einen neuen Rahmen überführt, der Heiligkeit nicht nur dem einzelnen Religiosen, sondern auch der ganzen Familie versprach. 'Familienabkehr' im Sinne von Matthäus 10,35-37 stellte angesichts der rasch einsetzenden, engen Verflechtung der Franziskaner mit der urbanen Welt des 13. Jahrhunderts ein kaum noch umsetzbares Ideal dar. Statt Abgrenzung suchte man nunmehr die Nähe zu den in den Orden eingetretenen Verwandten.

Gabriela Signori: Gesellschaftsmodelle im Widerstreit: Die Zölibatsdiskussion im Kontext der Konzile von Konstanz und Basel
Sind zölibatär lebende Menschen bessere Menschen? Die Frage ist so alt wie das Zölibat selbst. Die Argumente pro und contra verändern sich jedoch im Verlauf der Jahrhunderte. Seit dem 14. Jahrhundert mussten sich die Befürworter zusehends mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass das Zölibat widernatürlich sei. Der Natur des Menschen entspräche die Ehe, so sei es auch im Schöpfungsbericht festgehalten.

Volker Leppin: Martin Luther: vom Mönch zum Familienvater
Martin Luther hat gewissermaßen in mittelalterlicher 'Tradition' den Weg ins Kloster gewählt, nämlich im Konflikt mit seinen Eltern, namentlich dem Vater. Das Mönchtum erscheint hier als Alternative zur bürgerlichen Familie - entsprechend hat Luther sich nach seinem Klostereintritt 1505 in eine Gemeinschaft von Brüdern eingeordnet und seinen Ordensoberen Johann von Staupitz als Vater gesehen. Als Luther das Kloster verließ und 1525 Katharina von Bora heiratete, bedeutete dies in gewisser Weise eine Rückkehr zum bürgerlichen Familienmodell, das er freilich an manchen Stellen, etwa bei der Lesung der Schrift beim Essenstisch, an klösterlichen Formen orientierte.