Europäische Governance

Die Europäische Union (EU) prägt die Politik in vielen Bereichen. Die Art der Entscheidungsfindung und der Machtausübung unterscheidet sich von der üblichen Praxis in den Mitgliedstaaten allerdings, was Ausdruck der Tatsache ist, dass die EU eben kein (Bundes-)Staat, sondern – auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes – ein Staatenverbund ist, in dem die Mitgliedstaaten wesentliche Souveränitätsrechte behalten.
Einige Aspekte der sich hieraus ergebenden Steuerungsprobleme in der EU diskutierten die Teilnehmer der cege-Diskussionsveranstaltung zum Thema „Europäische Governance“ am 25. Oktober 2018 an der Georg-August-Universität Göttingen. Unter der Moderation von Prof. Dr. Kilian Bizer diskutierten Prof. Dr. Roland Czada (Universität Osnabrück), Prof. Dr. Friedrich Heinemann (Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim) und Prof. Dr. Wolfgang Köck (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung).
Wolfang Köck stellte in seinem Eingangsstatement heraus, dass sich das Rechtsetzungsverfahren in der EU erheblich von dem in den Mitgliedstaaten unter-scheidet. Die Rolle des Parlaments sei auf europäischer Ebene eine andere als auf Ebene der Mitgliedstaaten, die Europäische Kommission nehme in dem Verfahren eine besondere Stellung ein. Dies führe zu einem eher technokratischen und wissenschaftsorientierten Ansatz der Politik, der sich im Bereich der Umweltpolitik aber als sehr wirksam gezeigt habe.
Roland Czada wies in seinem Statement darauf hin, dass es in der EU kein einzelnes Steuerungssubjekt gebe, sondern die Steuerung aus einem komplexen Prozess unter der Mitwirkung der Mitgliedstaaten, des Europäischen Gerichtshofes, der Kommission, der Europäischen Zentralbank, des Europäischen Parlamentes und sogar mitunter der deutschen Bundesländer hervorgehe.
Im herkömmlichen Demokratieverständnis wird einer Mehrheitsregierung die Alleinverantwortung für bestimmte Entscheidungen übertragen. Eine Kontrolle der Regierung erfolge durch die Drohung der Abwahl im Falle schlechter Resultate. In der Europäischen Union kommt dieses Prinzip so nicht zum Tragen. Hier gebe es keine Alleinverantwortung, die durch Wahlen kontrolliert wird, sondern eine Form der Machtteilung. Daher legitimiere sich die Politik der Europäischen Union nicht über den demokratischen Input, sondern über das Ergebnis ihrer Politik. Hierzu gehören etwa der Frieden, der Wohlstand oder aber auch der Umweltschutz.
Derzeit erfülle jedoch die EU die Erwartungen an die Ergebnisse der Politik nicht mehr. Dies gelte etwa in der Energiepolitik, in der es derzeit nicht gelingt, eine für alle Mitgliedstaaten zufriedenstellende Richtung einzuschlagen, auch weil sich die Mitgliedstaaten hin-sichtlich der Verfügbarkeit von Energieträgern unter-scheiden.
Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der EU liege aber nicht nur an der EU selbst, es liege auch an den Zeitumständen. Lange Zeit habe in der öffentlichen Meinung der Konstruktivismus den Realismus dominiert. Derzeit scheine aber das Pendel der öffentlichen Meinung wieder mehr in Richtung Realismus auszuschlagen.
Friedrich Heinemann stellte drei Thesen zu einem Insolvenzsystem für die Eurozone vor. Er ging erstens davon aus, dass die Eurozone ein Insolvenzsystem benötige, um das Szenario von Zahlungsschwierigkeiten von Mitgliedstaaten handhabbar zu gestalten. Zweitens seien ein Insolvenzsystem und ein Versicherungssystem keine Gegensätze, sondern würden sich gegen-seitig bestärken. Drittens werde leide die Diskussion um ein Insolvenzsystem an zwei gegensätzlichen Tabuisierungen: Aus Nordeuropa komme die Absage an eine Transferunion, aus Südeuropa die Absage an ein Szenario der Staateninsolvenz. Beide Absagen sind aber nicht miteinander vereinbar: Nur eine Transferunion könnte die Zahlungsunfähigkeit eines Staates letztlich verhindern, ohne eine mögliche Insolvenzordnung drohen aber Transfers in notleidende Staaten zu einem unkalkulierbaren Risiko zu werden.
Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte zwar eine zentrale Rolle im Rahmen einer Staateninsolvenz spielen. Dazu hat sie auch die Aufsicht über systemrelevante Banken. Allerdings hält die EZB auch in großem Umfang Staatsanleihen von Staaten und würde daher im Falle einer Insolvenz eines Staates selbst herangezogen werden.
In der anschließenden Diskussion ergänzte Friedrich Heinemann, dass man eine Insolvenzordnung nicht auf dem Höhepunkt einer Krise einrichten kann. Graduelle Anpassung der Eigenkapitalanforderungen der Banken seien aber ein wichtiger Schritt, hierzu gehöre auch die Eigenkapitalunterlegung von Staatsanleihen.
Kilian Bizer stellte zusammenfassend fest, dass man im Bereich der Umweltpolitik der EU insgesamt gute Erfahrungen gemacht habe. In der Währungspolitik fehlen derzeit noch glaubwürdige Regelungen, was letzt-lich auf eine immer gravierendere Krise hinauslaufe. Die übergeordnete Thematik müsse in diesem Kontext sein, wie man eine geeignete Governancestruktur entwickle.
Die Veranstaltung klang bei Sekt, Orangensaft und Laugengebäck mit einem kleinen Empfang aus, bei dem die Podiumsteilnehmer sowie die ZuschauerInnen Gelegenheit hatten, die Thematik in informellen Gesprächen weiter zu vertiefen.