Nationale Industriestrategie 2030

Am 18. Juni 2019 fand die cege-Diskussionsveranstaltung zum Thema „Nationale Industriestrategie 2030 – Braucht Deutschland einen nationalen Champion“ statt. Im Februar 2019 stellte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier seine „Nationale Industriestrategie 2030“ vor. Diese skizziert Maßnahmen, mit denen industrielle Wertschöpfung in Deutschland auch in der Zukunft erfolgreich betrieben werden solle. Altmaier sprach sich u.a. dafür aus, auf das Bestehen großer Unternehmen hinzuwirken, die im internationalen Wettbewerb mit anderen großen Unternehmen mithalten könnten. Mit der Vorstellung der Strategie löste Peter Altmaier eine Diskussion in der Fachöffentlichkeit aus, ob überhaupt, und gegebenenfalls welche staatliche Intervention zur Unterstützung der deutschen Industrie angemessen sei.
Auf Einladung des cege diskutierten namenhafte Experten das Für und Wider der Industriestrategie. Es diskutierten Prof. Dr. Jan Schnellenbach (Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg), Prof. Dr. Jens Südekum (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf), Prof. Dr. Kilian Bizer (Georg-August-Universität, cege). Die Veranstaltung wurde moderiert durch Prof. Dr. Robert Schwager (Georg-August-Universität, cege).
In seinem Eingangsstatement legte Jan Schnellenbach eine skeptische Haltung zur Industriestrategie an den Tag. Das von Peter Altmaier ausgegebene Ziel, mindestens 25 % des Bruttoinlandsproduktes in Deutschland durch industrielle Wertschöpfung zu erzeugen, sei strukturkonservativ. Die Situation heute erinnere ihn an die Situation der 1980er Jahre, in der Japan als Herausforderung wahrgenommen wurde, an die sich westliche Industriestaaten anpassen müssten. Die tatsächliche Bedrohung durch Japan sei dann aber ausgeblieben. Heute wiederhole sich diese Einschätzung mit Bezug auf China.
Mit Bezug auf die Diskussion um „nationale Champions“ erscheine ihm die Industriestrategie eher wie eine „Dystopie 2030“, in der nationale Champions Schutz vor Wettbewerb genössen, aber dabei immer unproduktiver würden. Anstelle der von Peter Altmaier angeregten Industriepolitik solle der Staat sich vielmehr auf Wettbewerbspolitik und klassische Standortpolitik (Steuerbelastung senken, Regulierung und Bürokratie abbauen) konzentrieren.
Jens Südekum bewertete den Vorstoß von Peter Altmaier vor dem Hintergrund der Herausforderungen im internationalen Wettbewerb, die sich aus den wirtschafts- und industriepolitischen Entscheidungen anderer Volkswirtschaften ergäben. Auch wenn Industriepolitik in Deutschland keinen guten Ruf habe, so solle man doch nicht ignorieren, was andere Volkswirtschaften täten. China habe sich einer langfristigen Strategie verschrieben, die Vereinigten Staaten von Amerika setzten voll auf „America First“.
In dem Umfeld könne Deutschland nicht einfach nur auf den Erfolg im marktwirtschaftlichen Wettbewerb vertrauen. Insofern sei es schon richtig, dass der Wirtschaftsminister hier nach einer Antwort auf andere Staaten suche. Das heiße aber nicht, dass man Unternehmen vor internationalem Wettbewerb schützen solle. Vielmehr sollte man Schlüsselbereiche identifizieren, wie etwa nachhaltige Mobilität, und in diesen Bereichen auch mit öffentlichem Geld Innovationen unterstützen.
Kilian Bizer wies darauf hin, dass die Gefahr bestehe, dass bei einer nationalen Industriepolitik eine Politik zugunsten von Spezialinteressen durchgeführt werde. Viele erfolgreiche Unternehmen seien sogenannte hidden champions, die regional und lokal verankert seinen, aber vielleicht nicht die Aufmerksamkeit einer nationalen Industriepolitik erhielten. Auch drohe die Gefahr, dass sogenannte nationale Champions durch das Nachlassen des Wettbewerbsdrucks ineffizient würden.
Letztlich müsse eine industriepolitische Strategie europarechtlich und -politisch eingebettet sein. Hierfür fehle es derzeit aber an einer Kooperationsstruktur. Der Staat könne nicht entscheiden, wer wo die Technologieführerschaft übernähme. Stattdessen solle er sich lieber auf Grundlagen- und Anwendungsforschung beschränken.
In der anschließenden Diskussion unter Einbezug des Publikums wurden unterschiedliche Aspekte des Themenkomplexes weiter vertieft. Jens Südekum wies darauf hin, dass viele der hidden champions in ihrem wirtschaftlichen Erfolg vom Erfolg bekannter Großunternehmen abhängig seien, für die sie als Zulieferer tätig seien. Er betonte noch einmal, dass es ihm nicht um eine staatliche Unterstützung für bestimmte Technologien gehe, sondern um eine technologieoffene strategische Unterstützung für bestimmte Themen, wie etwa Antriebstechnologien oder Mobilität.
Unabhängig von der konkreten Positionierung zu den Erfolgsaussichten einer Industriepolitik wurde deutlich, dass ein rein nationaler Fokus den bestehenden grenzüberschreitenden Wertschöpfungsketten eher nicht gerecht werde.
Im Anschluss an die Veranstaltung hatten alle Teilnehmer Gelegenheit, in informellen Gesprächen bei Sekt, Orangensaft und Laugengebäck einzelne Inhalte gezielt zu vertiefen und den Abend ausklingen zu lassen.