Titel des Projekts:

Mit Markt und Staat?
Entfaltungspotenziale des Dritten Sektors in Lokalen Partnerschaften zur Beschäftigungsförderung



1. Fragestellung

Gesellschaftliche Inklusion, eines der wesentlichen Elemente in Diskussionen über ein Europäisches Sozialmodell, ist durch Langzeitarbeitslosigkeit gefährdet. Dennoch sind bisher weder durch Wirtschaftswachstum noch durch aktive Beschäftigungspolitiken genügend Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose entstanden, zu denen vor allem Menschen mit geringen Qualifikationen, körperlichen oder psychischen Problemen, ImmigrantInnen und Ältere zählen.

Um dieses Markt- und Staatsversagen in der Beschäftigungsförderung zu überwinden, wenden sich die gegenwärtigen politischen und wissenschaftlichen Diskussionen, aber auch zahlreiche Programme der EU-Kommission und einzelner Mitgliedsländer, mehr und mehr Lösungen im "Dritten Sektor" zu. Gemeint ist jener gesellschaftliche Bereich aus Nonprofit-Organisationen (NPO), die weder eindeutig dem ersten Sektor (Staat) noch dem zweiten (Markt) oder dem vierten (informeller Bereich) zuzuordnen sind.

Die bisherigen empirischen Befunde weisen darauf hin, dass NPO in der Beschäftigungsförderung tatsächlich spezifische Vorteile gegenüber Markt und Staat aufweisen können. Sie führten in Zusammenhang mit der theoretischen Debatte um die Potenziale des Dritten Sektors zu drei wesentlichen Schlussfolgerungen, auf denen die Dissertation aufbaut:


1.) Dritte-Sektor-Organisationen weisen spezifische Vorteile auf, die Markt- und Staatsversagen in der lokalen Beschäftigungsförderung u.U. kompensieren können.

Diese Vorteile manifestieren sich vor allem auf lokaler Ebene und können idealtypisch folgendermaßen zusammengefasst werden.

  • Als stark von Werten wie "Solidarität" und "gesellschaftlicher Partizipation" geleitete Organisationen kümmern sich die Non-Profit-Organisationen (NPO) des Dritten Sektors besonders um marginalisierte Gruppen wie z.B. Langzeitarbeitslose.

  • Als stark gemeinwohlorientierte Organisationen wollen die meisten NPO nicht nur die Arbeitslosigkeit selbst bekämpfen, sondern auch deren Ursachen und Folgen. Sie tun dies, indem sie zum einen die individuellen Kompetenzen der Arbeitslosen fördern und zum anderen mit ihren Aktivitäten die Lokale Ökonomie entwickeln helfen.

  • Als Organisationen, die Merkmale der anderen gesellschaftlichen Sektoren in sich vereinen, erscheinen NPO besonders geeignet, widerstreitende Ziele in sich zu verbinden, indem sie z.B. wohlfahrtsrelevante Aktivitäten mit unternehmerischen verbinden.

  • Als intermediäre Organisationen haben NPO Zugang sowohl zu öffentlichen als auch privaten Zuwendungen und können zudem freiwillige Mitarbeit mobilisieren.

  • Als zivilgesellschaftliche Organisationen sind NPO potentiell näher an den Bedürfnissen ihrer Klientel als bürokratisierte öffentliche Institutionen. Sie haben besseren Zugang zu Sozialkapital und können dieses leichter reproduzieren.



Einzelne dieser Stärken werden zuweilen durchaus auch von marktlichen oder staatlichen Organisationen verwirklicht. Erst ein möglichst weitgehende Kombination aller spezifischen Vorteile der NPO kann daher einen komparativen Vorteil gegenüber anderen Sektoren begründen.

Ein Blick in die Praxis zeigt auf der einen Seite, dass sich gemeinnützige Beschäftigungsprojekte in den letzten zwei Jahrzehnten zwar europaweit entwickelt haben. Projekte, denen es gelingt, eine größere Anzahl der o.g. Vorteile gegenüber Markt und Staat gleichzeitig zu verwirklichen, sind andererseits selten anzutreffen. Auf die möglichen Ursachen geht die zweite Prämisse ein:


2.) Dritte-Sektor-Organisationen können ihre spezifischen Potenziale nur dann voll entfalten, wenn sie sowohl mit dem "Staat" als auch mit dem "Markt" kooperieren.

Die aktuellen Debatten drehen sich häufig um die Frage, inwieweit der Dritte Sektor einen Rückzug des Wohlfahrtsstaates kompensieren kann. Ungeachtet ihrer genannten potentiellen Vorteile gegenüber den anderen beiden Sektoren sind NPO jedoch grundsätzlich nicht dazu geeignet, Markt- und Staatsversagen vollständig zu kompensieren.

  • Zum einen können NPO, wenn sie Beschäftigung innerhalb der Lokalen Ökonomie schaffen wollen, erfahrungsgemäß kaum auf die Zusammenarbeit mit allen anderen relevanten Akteuren aller Sektoren verzichten.

  • Zum anderen müssen NPO schon deshalb mit anderen Sektoren kooperieren, weil auch sie zu einem spezifischen Dritte-Sektor-Versagen neigen. Dazu können z.B. unlösbare interne Konflikte gehören, die aus den unterschiedlichen Zielen und Handlungslogiken resultieren, welche NPO in sich vereinen. Vielfach entstehen auch Spannungen zwischen der besonderen Organisationskultur von NPO, die dazu tendiert, betriebswirtschaftliches Denken oder formale, hierarchische Führung abzulehnen und strukturelle Konflikte zu personalisieren.
  • Noch schwerer wiegt, dass die meisten NPO nicht in der Lage sind, sich aus eigener Kraft zu finanzieren und daher abhängig von öffentlicher Unterstützung oder eigener erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit sind. Wenn diese Abhängigkeit zu groß oder zu einseitig wird, müssen sich NPO so sehr den Handlungslogiken der Erwerbswirtschaft (Gewinnmaximierung; Wettbewerb) bzw. des Staates (bürokratische Kontrolle) unterordnen, dass ihre spezifischen Vorteile dazwischen aufgerieben werden.



Aus diesen verschiedenen Formen des Dritte-Sektor-Versagens ergeben sich zwei Anforderungen an NPO, die in dir zweiten Prämisse eingeschlossen sind:

2a) NPO müssen ihre finanziellen Abhängigkeiten ausbalancieren, indem sie öffentliche mit selbst erwirtschafteten Mitteln kombinieren.

2b) NPO müssen mit Akteuren von Markt und Staat kooperieren.


Es muss also zukünftig darum gehen, für den Dritten Sektor eine zu Staat und Markt komplementäre Rolle zu finden und durch eine Kooperation aller drei Sektoren einen "synergetischen welfare-mix" anzustreben.

In der Praxis werden zunehmend bessere Voraussetzungen für einen solchen drei-sektoralen welfare-mix geschaffen:

Sektorübergreifende Kooperationen werden bereits seit Mitte der 90er Jahre durch die EU-Beschäftigungsstrategie gefördert. Auch die bundesdeutschen Traditionen der Subsidiarität, der Sozialpartnerschaft und der Selbstverwaltung bieten gute Voraussetzungen dafür. Überdies haben sowohl die NPO als auch die kommunalen Behörden und die örtliche Privatwirtschaft inzwischen erkannt, dass sie einander produktiv ergänzen können, um Beschäftigung zu schaffen.

Auf der anderen Seite gibt es insbesondere in Deutschland eine ganze Reihe von äußeren Hindernissen für einen synergetischen welfare-mix in der Beschäftigungsförderung. Sie reichen von ungünstigen rechtlichen Rahmenbedingungen, öffentliche Beschäftigungsprogrammen und Finanzierungsmodi bis hin zu interne Kooperationsproblemen von Kommunalverwaltungen oder Ängsten von Unternehmen vor Wettbewerbsverzerrung durch öffentlich subventionierte Arbeitsplätze. Verschiedene Gefahren eines Netzwerkversagens (s.u.) bilden weitere Stolpersteine.

Zusätzlich zu diesen seit langem bekannten Beschränkungen für die Entfaltung von Drei-Sektoren-Kooperationen ist noch ein weniger bekanntes, m.E. jedoch gravierendes Hindernis zu berücksichtigen:


3.) Der Dritte Sektor kann seine Ziele innerhalb von neokorporatistischen Arrangements nicht genügend umsetzen.

Im Gegensatz zu anderen Politikfeldern werden deutsche NPO in Deutschland bisher nicht in großem Ausmaß in public-private-partnerships zur Beschäftigungsförderung einbezogen. Selbst wenn sie beteiligt sind, führt die in diesen eher neokorporatistisch geprägten Arrangements vorherrschende hierarchische Steuerungsweise jedoch dazu, dass staatlichen Akteure die Dritte-Sektor-Organisationen mehr oder weniger dazu instrumentalisieren, vorgegebene öffentliche Beschäftigungsprogramme umzusetzen.

Damit stehen Dritte-Sektor-Organisationen vor dem Dilemma, dass sie ihre Potenziale weder unabhängig von Markt und Staat noch in Kooperation mit ihnen entfalten können.

Ein Ausweg daraus könnte in einer anderen Steuerungsweise liegen, wie sie von der neueren Steuerungstheorie propagiert wird, nämlich der Verhandlung in Politiknetzwerken. Diese sollen alle von einem Problem betroffenen gesellschaftlichen Akteure umfassen, die dort gemeinsam nach Problemlösungen suchen. Die Rolle des Staates wird darin mehr oder weniger auf die eines Aktivators, Moderators und Koordinators beschränkt.

Die Vorteile für den Dritten Sektor bestünden also darin, dass sie zum einen überhaupt Zugang zu diesen offeneren Netzwerken erhielten, zum anderen eine gleichberechtigtere Rolle darin einnehmen könnten als in Netzwerken mit hierarchischer Steuerung durch staatliche Akteure. Zudem dienen diese Netzwerke nicht allein der Umsetzung von vorgegebenen politischen Programmen, sondern auch deren gemeinsamer Erarbeitung.

Darüber hinaus könnte die Verhandlungssteuerung für die Zukunft des Europäischen Sozialmodells von Bedeutung sein, da sie dem darin bevorzugten Modus der kooperativen Konfliktlösung entspricht.

Eine konkrete Ausgestaltung solcher Verhandlungsnetzwerke können sog. „Lokale Partnerschaften“ bilden, wie sie in verschiedenen Politikfeldern wie z.B. der Umwelt- und Entwicklungspolitik oder der Regionalentwicklung seit einigen Jahren weltweit zu finden und seit Mitte der 90er Jahre besonders von den EU-Beschäftigungsprogrammen gefördert werden.

Nach einer Definition des Copenhagen Centres (Nelson/Zadek 2000) zeichnen sich Lokale Partnerschaften bei aller Verschiedenheit durch 6 Kernelemente aus:

1) gemeinwohlorientierte Ziele
2) Suche nach innovativen Lösungen
3) sektorübergreifende Beteiligung
4) freiwillige Teilnahme
5) gegenseitiger Nutzen und gemeinsame Investitionen
6) Synergieeffekte

Nicht jede Lokale Partnerschaft ist zwangsläufig auch ein Netzwerk mit Verhandlungssteuerung. Nichtsdestoweniger bieten die Elemente der sektorübergreifenden Beteiligung, der freiwilligen Teilnahme und des gegenseitigen Nutzens sowie der gemeinsamen Investitionen Ansatzpunkte, um die Anforderung eines Verhandlungsnetzwerkes an Offenheit, gemeinsame Aushandlung von Problemlösungen und der gleichberechtigten Mitsprache aller Beteiligten zu verwirklichen.

So verbreitet Lokale Partnerschaften inzwischen international sind, so wenig ist in deutschen Programmen zur Beschäftigungsförderung bisher eine systematische Vernetzung aller drei Sektoren vorgesehen. Wie bereits erwähnt, gibt es zwar seit langem sektorübergreifende Kooperationen in diesem Politikfeld, diese sind jedoch zumeist zweiseitig oder entsprechen nicht der o.g. Definition einer Lokalen Partnerschaft bzw. den Anforderungen eines Verhandlungsnetzwerkes. Ausnahmen bilden eine ganze Anzahl von Modellprojekten, die meist unter EU-Programmen angesiedelt sind, sowie Projekte im Rahmen der Stadt- und Regionalentwicklung wie vor allem innerhalb des bundesweiten Programms „Soziale Stadt“. Dementsprechend ist auch der Begriff „Lokale Partnerschaften“ ist kaum etabliert.

Die bisherigen Erfahrungen mit Verhandlungsnetzwerken in anderen Politikfeldern und Ländern deuten einerseits darauf hin, dass diese in der Tat innovative Lösungen befördern können. Auf der anderen Seite wird jedoch auch sichtbar, dass das Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure mit verschiedenen Interessen, Ressourcen und Handlungslogiken keineswegs automatisch zu Lösungen im Sinne des Gemeinwohls führen. Vielmehr stellen Verhandlungsnetzwerke hohe, oft unerfüllbar scheinende Anforderungen an alle beteiligten Akteure und unterliegen daher selbst oft einem "Netzwerkversagen".


Allerdings lassen sich Erkenntnisse aus anderen Politikfeldern oder Ländern nicht ohne weiteres auf die deutsche Beschäftigungsförderung übertragen. Die recht umfangreiche Begleitforschung der bisherigen Modellprojekte zu Lokalen Partnerschaften wiederum zielte eher auf unmittelbar praktisch verwertbare Erkenntnisse denn auf grundlegende Einsichten in die Mechanismen von Lokalen Partnerschaften.

Davon abgesehen wurden die Interdependenzen zwischen Drittem Sektor und Staat bisher entweder unter ökonomischen Gesichtspunkten oder unter dem Ansatz des Neokorporatismus betrachtet. Auch in Bezug auf die allgemeinen Funktionsweise von Verhandlungsnetzwerken und deren Möglichkeiten und Grenzen gibt es bisher noch keine generalisierbaren theoretischen Ansätze. Darüber hinaus leidet die Dritte-Sektor-Forschung selbst nicht nur unter einem allgemeinen Mangel an Theorie und interdisziplinärer Herangehensweise, sondern hat auch gerade erst die "Soziale Ökonomie" als Forschungsfeld entdeckt.
Infolgedessen gibt es keine systematischen Untersuchungen, wie sich die besonderen Potenziale von NPO, aber auch die verschiedenen Formen des Dritte-Sektor-Versagens, innerhalb von Verhandlungsnetzwerken auswirken.


Vor diesem Hintergrund lautet die zentrale Fragestellung der Dissertation:

Inwieweit können deutsche Dritte-Sektor-Organisationen ihre besonderen Stärken innerhalb von Verhandlungsnetzwerken mit staatlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren verwirklichen?

Um dies beantworten zu können, sollen zwei Unterfragen geklärt werden:

1.) Inwiefern wirken sich spezifischen Eigenschaften von Dritte-Sektor-Organisationen, wie vor allem ihre Handlungslogiken, Zielorientierungen, Organisationsstrukturen, Finanzierungsweisen oder Rechtsformen, fördernd oder hemmend auf ihre Entfaltungsspielräume in Verhandlungsnetzwerken aus?

2.) Welche Eigenschaften von Verhandlungsnetzwerken behindern, welche fördern eine Entfaltung der beteiligten Dritte-Sektor-Organisationen?


Aufgrund der Komplexität des Gegenstandes und dem großen Einfluss der länderspezifischen Rahmenbedingungen auf die Funktionsweise des Dritten Sektors beschränkt sich die Untersuchung auf Deutschland.
Im Mittelpunkt steht die lokale Ebene, auf der sich die besonderen Stärken von gemeinnützigen Beschäftigungsorganisationen am ehesten zeigen und auf die sich auch die gegenwärtigen deutschen und EU-weiten Beschäftigungsstrategien konzentrieren.



2. Forschungsprogramm

Der theoretische Teil der Arbeit umfasst zum einen die Erarbeitung der relevanten theoretischen Ansätze aus Dritte-Sektor-Forschung, Steuerungstheorie und Netzwerkanalyse. In einem zweiten Schritt werden die konkreten Rahmenbedingungen Lokaler Partnerschaften dargestellt (Beschäftigungspolitik in Deutschland und der EU; Programme zur Entwicklung der Lokalen Ökonomie und Bedingungen für deren Entwicklung). Dem schließ sich eine Darstellung der gegenwärtigen Rolle der drei Sektoren in der deutschen Beschäftigungsförderung an. Des weiteren werden die vorliegenden empirischen Studien zu Lokalen Partnerschaften auf ihren Beitrag zur Fragestellung der Arbeit hin ausgewertet.

Da der Untersuchungsgegenstand bisher kaum unter der o.g. Fragestellung betrachtet worden ist, wird eine eigene, qualitativ angelegte empirische Studie ausgesuchter Lokaler Partnerschaften in Deutschland durchgeführt.



3. Bezug zum Europäischen Sozialmodell

Die Dissertation möchte auf dreifache Weise einen Beitrag zur Frage nach der Zukunft des Europäischen Sozialmodells leisten:

Zum einen spielt die weitreichende gesellschaftliche Inklusion eine zentrale Rolle in allen Konzepten eines Europäischen Sozialmodells. Wesentliche Voraussetzung für diese Inklusion scheint den immer noch weitverbreiteten Werten einer Arbeitsgesellschaft zufolge die Integration in den Arbeitsmarkt zu sein.

Zum zweiten sind europäischen Wohlfahrtsstaaten überwiegend dadurch gekennzeichnet, dass sie kooperative Formen der Konfliktlösung institutionalisiert haben. Die Kooperation in Verhandlungsnetzwerken würde diesen Konfliktlösungsmodus weiterführen.

Drittens zeichnet sich das europäische Sozialmodell durch eine weitreichende Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure in Politikformulierung und -implementation aus. Die Ergebnisse der Arbeit sollen daher auch Aufschlüsse darüber geben, welchen Beitrag der Dritte Sektor im Bereich der deutschen Beschäftigungsförderung zu einem zukünftigen welfare-mix leisten kann.