Titel des Projekts:
Die SPE und das "Europäische Sozialmodell".
Eine Analyse der Auswirkungen der sozialdemokratischen Dominanz in der Europäischen Union


Mit dem Wahlsieg der Labour Party in Großbritannien im Mai 1997, dem überraschenden Erfolg der Parti Socialiste in Frankreich (Juni 1997) und jüngst (September 1998) der rot-grünen Regierungsübernahme in Deutschland sind sozialdemokratische Parteien nunmehr in fast allen Länder (außer E und Irl) maßgeblich an der politischen Machtausübung beteiligt. Die wichtigsten Organe der Europäischen Union, der Europäische Rat als Vertretung der Regierungschefs und die verschiedenen Ministerräte, werden mehrheitlich von sozialdemokratischen Parteien besetzt. Damit stellen sich mehrere spannende Fragen: Was bedeutet die sozialdemokratische Dominanz für Europa und das "Europäische Sozialmodell"? Welche konkreten Politiken verfolgen die sozialdemokratischen Regierungen in Bezug auf Europa? Das Konzept des "Europäischen Sozialmodells" ist in diesem Kontext v.a. als handlungsanleitende Idee der sozialdemokratischen Akteure von Interesse.

Politiktheoretisch läßt sich die Thematik einordnen in die Debatte zu "Regieren in Europa", dem aktuell laufenden Schwerpunktprogramm der DFG. Hier liegt der Fokus dann auf der Ergänzung der Analyse der europäischen politischen Organe durch die Analyse eines europäischen Akteurs, der eine potentiell strategisch wichtige Position innehat. Interessanterweise spielen die europäischen Parteibünde in der Integrationsforschung kaum noch eine Rolle (Ausnahme: Hix/Lord 1997). So taucht z.B. in dem Antrag für das DFG Schwerpunktprogramm die transnationale Kooperation und/oder Integration der Parteien nicht als Fragestellung auf.

Das zentrale Ziel der europäischen Integration liegt seit der Ratifizierung der Römischen Verträge in der Herstellung eines einheitlichen Marktes. Mit der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte (1986) sollte dieses Ziel schließlich bis 1992 erreicht werden. Der Vertrag über die Europäische Union (EUV) ergänzte das Binnenmarktprojekt durch die Verständigung auf die Einführung einer gemeinsamen Währung bis spätestens 1999. Die Geldpolitik wird mit dem Maastrichter Vertrag einer autonom gesetzten Instanz, dem Europäischen Zentralbanksystem mit der Europäischen Zentralbank im Zentrum, übertragen und damit europäisiert, während die Fiskalpolitik ebenso wie die Sozialpolitik auf nationalstaatlicher Ebene verbleibt. Um die Geldwertstabilität zu gewährleisten, wurden die Möglichkeiten der nationalen Fiskalpolitik zunächst durch die Konvergenzkriterien des EUV und jüngst durch den sog. Stabilitätspakt vom Dezember 1996 beschränkt. Die primären Ziele der europäischen Integration liegen damit in der Herstellung eines einheitlichen Marktes und der Bewahrung einer stabilen Währung. Zahlreiche Analysen (Fritz Scharpf, Wolfgang Streeck und andere) deuten darauf hin, daß diese politische Struktur und Kompetenzverteilung für die nationalen Wohlfahrtsstaaten, die im Zentrum der sozialdemokratischen Politik stehen, problematisch ist.

Wie reagieren sozialdemokratische Parteien und Regierungen auf die Herausforderungen der europäischen Integration, deren Marktliberalisierung dem traditionellen Anliegen der Sozialdemokratie, der sozialen Regulierung der Marktwirtschaft, zumindest in der Analyse der oben genannten Autoren entgegensteht? Welche Strategien entwickeln die sozialdemokratischen Parteien für die Europäische Integration? Die Potentiale für eine koordinierte europäische Politik der "positiven Integration" blieben bislang ungenutzt und scheiterten an Interessenkonflikten der Regierungen und Einstimmigkeitserfordernissen in diesen Politikbereichen. Wird das gemeinsame sozialdemokratische Interesse an einer sozialen Regulierung der Marktwirtschaft zu Schritten der positiven Integration führen? In bezug auf das System der europäischen Entscheidungsfindung wird die Rolle der SPE als transnationaler Parteizusammenschluß und damit als mögliches Forum der frühzeitigen Abgleichung von Interessen und Strategien der sozialdemokratischen Regierungen ins Zentrum der Analyse gerückt. Obwohl die Europäisierung der politischen Parteien nicht sehr weit fortgeschritten ist, hat sich mit den sog. Parteiführertreffen ein Organ herausgebildet, welches möglicherweise eine solche Koordinationsleistung erbringen kann (so v.a. Hix/Lord 1997). Desweiteren sind fachbezogene Arbeitsgruppen zu identifizieren und deren programmatische Vorstellungen zu den Feldern Sozial- und Beschäftigungspolitik zu analysieren. Insbesondere gilt dies für die Arbeitsgruppe, die sich mit der Weiterentwicklung des "Europäischen Sozialmodells" beschäftigt und auf dem jüngsten Kongreß der SPE in Mailand (März 1999) gegründet wurde. Die jüngsten Vertragsänderungen (von der EEA bis Amsterdam) erlauben auch die Analyse der verfassungspolitischen Konzeptionen der europäischen Sozialdemokratie.