Wirtschaftspolitisches Forum
Individuelles Diversifikationsverhalten
Die aktuellen Entwicklungen in den Systemen der sozialen Sicherung führen weltweit dazu, dass einzelnen Individuen mehr Verantwortung für die eigene Altersvorsorge übertragen wird. Neben vielen Vorteilen einer privaten Altersvorsorge existieren auch viele Zweifel an einer solchen Lösung, ob Individuen zum Beispiel in der Lage sind, vernünftige Entscheidungen bezüglich ihrer Altersvorsorge zu treffen. Die Frage lässt sich auch verallgemeinern: Können Individuen Investitionsentscheidungen treffen, die ihren Präferenzen entsprechen?
Eines der wichtigsten Prinzipien des Portfoliomanagements ist eine sinnvolle Diversifikation. Auch wenn das Prinzip „nicht alle Eier in einen Korb legen“ allgemeine Zustimmung genießt, ist die Umsetzung in der Praxis nicht immer so einfach. Orientieren sich Investitionsentscheidungen an den Anforderungen der optimalen Diversifikation? Sind die Wirtschaftssubjekte in der Lage, relevante Informationen von irrelevanten zu unterscheiden und diese in die Entscheidungsfindung auf sinnvolle Weise einzubeziehen?
Mehrere empirische Untersuchungen zeigen, dass sowohl unerfahrene als auch erfahrene Investoren ihre Entscheidungen auf der Basis einfacher Heuristiken treffen, so dass Ergebnisse suboptimal sind. Besonders viel Aufmerksamkeit hat diese Problematik in der wissenschaftlichen Diskussion in Verbindung mit privater Altersvorsorge in den USA bekommen – bekannt unter dem Stichwort 401k saving plans. Es zeigt sich beispielsweise, dass Investoren „naive“ Diversifikation verfolgen und ihre Ressourcen gleichermaßen in die zur Verfügung stehenden Alternativen investieren. Wenn der angebotene Sparplan zu 90% aus Aktien und zu 10% aus Anleihen besteht, wählen Individuen ein Portfolio, in dem überwiegend Aktien vertreten sind. Wenn das Verhältnis zwischen Aktien und Anleihen im angebotenen Sparplan umgekehrt ist, wird eine Portfoliozusammensetzung zugunsten der Anleihen gewählt.
Eine andere verbreitete Entscheidungsheuristik ist eine der Ressourcenkonzentration, die dazu führt, dass beispielsweise Aktien des eigenen Arbeitgebers oder regionaler Unternehmen ein deutlich größeres Gewicht im Portfolio bekommen.
Ein weiterer Glaube, dem viele Investoren unterliegen, ist die Ansicht, in der vergangen Entwicklungen der Kurse ein „Muster“ zu erkennen, anhand dessen dann auch die Entscheidung getroffen wird. Auch dieser Effekt kann zur suboptimalen Diversifikation des Investitionsportfolios führen. Tatsächlich werden, je mehr und je öfter Privatinvestoren verschiedene Informationen nutzen, ihre Investitionsentscheidungen schlechter. Dieser Effekt lässt sich als ‚overconfidence’ benennen.
Um diese Effekte messen zu können, ist es wichtig, das „optimale“ Diversifikationsniveau zu definieren. Seit Markowitz ist bekannt, dass der Nutzen der Diversifikation ausschließlich aus der nicht vollständigen Korrelation zwischen den Investitionsalternativen resultiert. Das bedeutet, dass eine Diversifikation dann am ertragreichsten ist, wenn die Investitionsalternativen möglichst in keiner Weise miteinander verbunden sind. Wenn also jemand die Aktien seines Arbeitgebers als Ergänzung zum Lohneinkommen und der Betriebsrente ansieht, trifft er eine suboptimale Investitionsentscheidung. Allerdings kann die Zusammenstellung des Portfolios alleine die Frage des optimalen Verhaltens noch nicht klären – es gibt viele Ertrags- und Risiko-Kombinationen, die bei unterschiedlichen Risikopräferenzen optimal sind. All diese Punkte liegen auf der von Markowitz definierten efficiency frontier. Jede Entscheidung auf dieser Kurve ist optimal unter Berücksichtigung der jeweiligen Risikopräferenzen. Aus diesem Grund können empirische Studien nicht vollständig das Verhalten der Investoren abbilden. Auch Ergebnisse experimenteller Studien, wenn diese unterschiedliche Risiko/Ertrags-Kombinationen vergleichen, können nichts über die Ursache der suboptimalen Diversifikation aussagen. Laborexperimente ermöglichen allerdings, Investitionsalternativen so zu konstruieren, dass unabhängig von Risikopräferenzen der Individuen eine eindeutige optimale Diversifikationsstrategie zur Verfügung steht. So konnten wir zeigen, dass unabhängig von ihrer Risikoeinstellung die Probanden die aus der Sicht der Portfolioentscheidung relevanteste Information über die Korrelation zwischen den Investitionsalternativen nicht nutzen (Gubaydullina/Spiwoks 2009). Die Korrelation zwischen den Investitionsalternativen wird vernachlässigt, was dazu führt, dass zu wenig diversifiziert wird, wenn die Alternativen nicht korreliert sind und zu viel diversifiziert wird, wenn die Alternativen vollständig korreliert sind.
Das Experiment bestätigt außerdem, dass Individuen irrelevante Informationen nutzen. Wenn die Probanden explizit irrelevante Informationen über die vergangene Entwicklung der Aktienkurse bekommen, verschlechtert sich ihr Diversifizierungsverhalten. Der Effekt der Vernachlässigung der Korrelation ist allerdings stärker ausgeprägt.
Was bedeutet das für die soziale Sicherung? Ein vollständig privat organisiertes System für die Altersvorsorge kann zu Fehlentscheidungen auf der Seite der Wirtschaftssubjekte führen. Das spricht auf den ersten Blick für Altersicherungssysteme, die den Individuen nicht vollumfänglich die Diversifikationsentscheidung überlassen.
Auch für die Entwicklung auf den Finanzmärkten hat diese Diskussion eine hohe Relevanz. Investitionsentscheidungen werden auch im Falle der institutionellen Investoren durch Individuen getroffen, die eine allgemeine Tendenz zu Unterdiversifizierung aufweisen. Da ein solches Verhalten bestimmten Verhaltensgesetzmäßigkeiten unterliegt, kann ein solches Verhalten nicht durch die Marktkräfte ausgeglichen werden, sondern kann durch sie sogar verstärkt werden und zu krisenhaften Entwicklungen auf den Finanzmärkten führen.