Wirtschaftspolitisches Forum

Quo Vadis Geldpolitik?



André Schmidt, cege-Report, S. 3, Juli 2009


Mit der aktuellen weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ist die Geldpolitik wieder in den Fokus wirtschaftspolitischer Diskussionen gerückt. Nach den Erfahrungen aus der Großen Depression Ende der 20er Jahre sollte von Anfang an ein Kollaps der Finanzmärkte mittels einer expansiven und primär Liquidität zuführenden Geldpolitik verhindert werden. Seither hat die Diskussion darüber, inwieweit die Geldpolitik geeignet ist, zur Stabilisierung beizutragen, neue Nahrung erhalten. Insbesondere in den USA wird kontrovers darüber diskutiert, ob die expansive Strategie der Fed ursachengerecht ist, oder nicht hier das Fundament für eine weitere Krise gelegt wird.


Die Seite der Kritiker wird angeführt von John B. Taylor. Er sieht insbesondere in der stark expansiven Geldpolitik der Fed in den vergangenen Jahren den Hauptauslöser für das Zusammenbrechen des US-amerikanischen Häusermarktes mit den bekannten Folgewirkungen. „No Boom, no bust“, so lautet das Ergebnis seiner Analyse. Als Ursachen für die sich daran anschließende Bankenkrise kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: Zum einen kann es sich um eine akute Liquiditätskrise handeln, die durch Bank runs ausgelöst wird, zum anderen kann ein dramatisch ansteigendes Ausfallrisiko auf dem Kreditmarkt, begleitet von einem kollabierenden Interbankenmarkt, als mögliche Krisenursache ausgemacht werden. Während die Liquiditätskrise vor allem in der Großen Depression als der Hauptauslöser angesehen werden kann, ist die aktuelle Krise hauptsäch-lich durch das drastisch gestiegene Ausfallrisiko einhergehend mit einem gravierenden Vertrauensschwund, v. a. im Interbankenhandel, gekennzeichnet. Taylor sieht insbesondere in dem dramatischen Anstieg des Zinsspreads zwischen LIBOR und dem Reprosatz der Fed einen wesentlichen Beleg für die Dominanz des Ausfallrisikos, weshalb – so Taylor – eine aggressive Geldpolitik gar nichts zu bewirken vermag. Vielmehr müssen Maßnahmen ergriffen werden, die das Vertrauen insbesondere zwischen den Banken wieder stärken.


Auf der anderen Seite argumentiert vor allem Frederic S. Mishkin, dass die derzeitige expansive Geldpolitik der Fed alternativlos sei. Er verweist darauf, dass trotz der erheblichen Zinssenkungen die Finanzierungskosten aufgrund der Risikoaufschläge dramatisch gestiegen sind. Mishkin teilt die Argumentation von Taylor insoweit, als in der Tat die gestiegenen Zinsspreads Ausdruck für das höhere Ausfallrisiko seien und dieses durch eine expansive Geldpolitik kaum reduziert werden könne. Jedoch solle man nicht nur das Ausfallrisiko berücksichtigen, sondern vielmehr komme es v. a. auf das makroökonomische Risiko an. Damit ist gemeint, dass in Phasen rezessiver Wirtschaftsentwicklung die am Markt bestehende Unsicherheit zwischen den Akteuren wächst. Je stärker sie ist, desto größer wird wiederum das Bewertungsrisiko, wodurch sich auch indirekte Wirkungen auf das Ausfallrisiko ergeben. Da die aktuelle geldpolitische Strategie der Fed dieses mak-roökonomische Risiko effektiv senkt, sei diese Art der Geldpolitik ohne Alternative. Wichtig sei nur, dass die Glaubwürdigkeit der Zentralbank nicht beschädigt wird, um die zukünftigen Inflationserwartungen möglichst gering zu halten. Die
beiden vorgetragenen Argumentationslinien zeigen sehr deutlich, dass in der Zunft der Ökonomen keineswegs Einigkeit über die optimale geldpolitische Strategie in der aktuellen Situation besteht. Auf beiden Seiten finden sich gute und theoretisch stichhaltige Argumente, so dass sich die Frage nach der empirischen Evidenz über die Wirkung Liquidität zuführender Geldpolitik bei Banken- und Fi-nanzkrisen stellt. Der Einwand, dass es sich bei der gegenwärtigen Krise um eine Krise ungeahnter Dimensio-nen handelt, ist zwar richtig, darf jedoch nicht als Argu-ment dafür angesehen werden, empirische Erkenntnisse zu vernachlässigen.


Obwohl diese bezüglich der Wirksamkeit Liquidität zuführender Geldpolitik bei Vorliegen von Bankenkrisen nicht einheitlich sind, so lassen sich doch einige allgemeine Ergebnisse ableiten: Eine positive Wirkung der Liquiditätsausweitung konnte bisher in keiner empirischen Studie nachgewiesen werden. Eine Reihe von Studien zeigt sogar, dass eine weniger erfolgreiche Krisenbekämpfung – im Vergleich zu einer erfolgreichen Krisenbewältigung – oft durch höhere Liquiditätsunter-stützung gekennzeichnet ist. Insofern bleiben Zweifel an der empirischen Relevanz der Argumentation Mishkins.


Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass nun, im Unterschied zu den vergangenen Krisen, die Zent-ralbanken im Rahmen der aktuellen Krise ihr Verhalten verändert haben. So erfolgte die Liquiditätsvergabe nicht mehr selektiv an einzelne Geschäftsbanken, sondern die liquiden Mittel wurden sowohl in den USA als auch in Europa allen Geschäftsbanken in gleicher Weise angeboten. Gleichfalls forderten sowohl die Fed als auch die EZB, im Gegensatz zu vergangenen Krisen, von den Geschäftsbanken die Hinterlegung von Sicherheiten, auch wenn der Umfang der akzeptierten Sicherheiten erweitert wurde. Möglicher¬weise sind hiermit wichtige Fehlerquellen, die zu der empirische belegten Ineffektivität Liquidität zuführender Geldpolitik geführt haben, ausgeschaltet worden.


Jedoch ist zu erwarten, dass die Bewältigung der Krise v. a. von einer erfolgreichen Restrukturierung des Banken-marktes abhängen wird. Hier kann die Geldpolitik allen-falls flankierend wirken. Insofern wäre es ein verhängnis-voller Irrtum zu glauben, dass die Krise allein durch geld-politischen Instrumenteneinsatz überwunden werden kann. Gefordert sind vielmehr intelligente Ansätze zur Lösung des Regulierungsproblems, wobei es nicht darum gehen kann, mehr, sondern anreizkompatiblere Regulie-rungen zu finden. Ex-post wird man dann feststellen, in-wieweit die Liquidität zuführende Geldpolitik dazu eine effektive Unterstützung leisten konnte.