Forum for Economic Policy
Flucht kaum zu stoppen
Die europäische Integration und die weltweite Öffnung der Märkte setzen die nationalstaatliche Steuerpolitik unter Druck. Unternehmen und mit ihnen Arbeitsplätze wandern in Länder ab, in denen die Steuerlast geringer ist. Sparer legen ihr Geld in Steueroasen an, ohne die Zinseinnahmen zu Hause zu versteuern. Das fehlende Steueraufkommen muß vor allem von den Arbeitnehmern aufgebracht werden. Um dem entgegenzuwirken, hat die europäische Kommission einen Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung und ein ”Koexistenzmodell” zur Besteuerung von Zinserträgen vorgeschlagen.
Bisher beschränkt sich der Verhaltenskodex auf die Eindämmung des sogenannten ”unfairen” Steuerwettbewerbs. Damit sind vor allem steuerliche Vergünstigungen gemeint, die nur Ausländern, aber nicht gebietsansässigen Unternehmen gewährt werden. Das Koexistenzmodell würde es den Mitgliedstaaten überlassen, entweder Kontrollmitteilungen an die Wohnsitzstaaten von Kapitalanlegern zu versenden oder eine Mindestquellensteuer von 20% zu erheben.
Für eine europäische Steuerharmonisierung sprechen auch die Interessen innerhalb des Europäischen Rates. Wie Untersuchungen zeigen, ist die Steuerbelastung der Unternehmen in den wichtigsten Mitgliedstaaten Deutschland und Frankreich besonders hoch. Während diese beiden Länder deshalb stark an einer europäischen Regelung interessiert sind, werden kleine Länder wie Irland oder Luxemburg diese auf Dauer nicht blockieren können.
Die Frage ist also nicht, ob die europäische Steuerpolitik kommt, sondern wie. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, steuerlich motivierte Auslandsinvestitionen zu verhindern. Zum einen kann man dafür sorgen, daß Zinseinkünfte und Unternehmensgewinne nach den Regeln des Staates besteuert werden, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist, unabhängig davon, wo dieses Einkommen entstanden ist.
Die zweite Möglichkeit läßt den steuerlichen Zugriff dem Land, in dem der Gewinn oder die Zinseinkünfte entstanden sind. Zinsen müssen demnach durch eine Quellensteuer erfaßt werden. Die Standortverlagerung von Unternehmen wird durch eine weitgehende Harmonisierung der Steuertarife und -bemessungsgrundlagen unattraktiv gemacht.
Die erste Lösung ist ohne weiteres verträglich mit national unterschiedlichen Steuergesetzen und behält deshalb die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten bei. Die zweite Lösung verlangt dagegen eine verbindliche Vereinbarung über eine Mindestbesteuerung, da jedes beteiligte Land einen Anreiz hat, durch einseitige Senkung der Steuersätze Kapital anzuziehen.
Verhaltenskodex und Koexistenzmodell scheinen beide Wege offenzuhalten. Die Kommission wird denn auch nicht müde, die nationale Steuerautonomie zu betonen, was sich in der neuen Wortwahl ”Koordinierung” statt ”Harmonisierung” niederschlägt. Praktisch werden jedoch die relevanten Länder, allen voran Luxemburg, eine Quellensteuer dem Versenden von Kontrollmitteilungen vorziehen. Auch Deutschland ist nicht bereit, das Bankgeheimnis zu lockern. Ohne Kontrollmitteilungen steht aber zu erwarten, daß die meisten Steuerpflichtigen ihre Zinseinkünfte weiterhin nicht deklarieren, obwohl die Quellensteuer auf die heimische Steuerschuld angerechnet wird. Schließlich ist ihr Satz von 20% immer noch niedriger als der für die meisten Sparer maßgebliche persönliche Einkommensteuersatz. Damit würde die Quellensteuer faktisch zu einer europaweit harmonisierten Abgeltungssteuer, ohne daß die Kapitalflucht verhindert wird.