Ulrike Schilling

1. Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Ich arbeite zur Zeit als Jugendbildungsreferentin beim DGB. Dazu bin ich vor allem durch mein ehrenamtliches Engagement gekommen, ich habe früh angefangen mit politischer Bildungsarbeit. Nach meinem Abitur habe ich ein freiwilliges soziales Jahr gemacht und Planspiele für die, damals noch existierende, Landeszentrale für politische Bildung angeboten. Als ich in Göttingen angefangen habe zu studieren, habe ich mich relativ früh umgeschaut, wie ich meine im Studium erworbenen Kenntnisse auch in eine Praxis übersetzen kann. So kam ich zu der Gewerkschaftsjugend, bei der ich mich ehrenamtlich engagiert habe. Seit 2002 arbeite ich für die gewerkschaftliche Jugendbildungsarbeit in zwei ganz unterschiedlichen Bereichen: Ausbildung, Arbeitsbedingungen, Teilhabe und Mitbestimmung, aber auch in dem Bereich Antirassismus/ Antifaschismus und gegen Antisemitismus und dann auch - und da konnte ich sehr von meinem Studium der Geschlechterforschung profitieren – im Bereich der geschlechtsbezogenen Jugendbildungsarbeit. 2008 habe ich als Vertretung angefangen und konnte die Stelle dann weiter übernehmen mit einem 5 Jahres Vertrag.


2. Wer hat Sie in Ihrem beruflichen Umfeld am stärksten unterstützt? Hatten Sie Vorbilder, die Ihren Werdegang beeinflusst haben?
Ich nenne eigentlich als ein wichtiges Vorbild immer meine Mutter. Sie hat mich beeinflusst und geprägt, da sie mir auf einer ganz praktischen, alltäglichen Ebene schon früh deutlich gemacht hat, dass es wichtig ist für bestimmte Werte, wie Gerechtigkeit einzustehen und das vielleicht auch gemeinsam mit Anderen. Auch in Bezug auf Geschlechterfragen hat sie mir ein emanzipiertes Bild von Frauen und Mädchen vermittelt: Frauen, die sich für Politik interessieren, die darauf achten, dass die Reproduktionsarbeit gleichberechtigt aufgeteilt werden sollte.
Auch in der Gewerkschaftsjugend hatte ich die Möglichkeit, mich insbesondere im Team mit anderen gemeinsam fortzubilden, was ich immer als besonders gewinnbringend empfunden habe, da wir uns über unsere Erfahrungen und verschiedenen Standpunkte ausgetauscht haben


3. Wenn Sie an Ihre aktuelle Arbeit denken, können Sie positive wie auch negative Aspekte nennen?
Das Positive in meinem Beruf ist die Möglichkeit, mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu arbeiten und sie im Prinzip zu befähigen, ihre eigene Situation in dieser Gesellschaft zu analysieren - also ihre individuelle Perspektive mit gesellschaftlichen Strukturen abzugleichen - aber auch ihnen Hilfestellung zu geben, sich gemeinsam mit anderen zu organisieren, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Dies erfüllt mich mit einer großen Befriedigung, weil ich darin einen Sinn sehe und es eine sinnstiftende Arbeit ist, was ich sehr mag, da ich mich nicht nur auf eine Sache fokussieren muss. Ich kann mit ganz vielen BündnispartnerInnen zusammenarbeiten, sowohl auf lokaler als auch Bezirksebene.
Negativ ist eine gewisse Gefahr der Entgrenzung, die bei meinem Job da ist, weil ich mich sehr mit meinem Beruf und der Institution identifiziere und letztendlich viel mit ehrenamtlichen KollegInnen zusammenarbeite, die eben in ihrer Freizeit das machen was ich an Punkten hauptamtlich mache. Da fällt es teilweise sehr schwer, eine Grenze zu ziehen und zu sagen: „Ok, ich brauche jetzt auch Freizeit und mache was anderes.“


4. Wie stellen Sie Ihre „Work-Life Balance“ her, also die Vereinbarkeit, bzw. den Einklang von Beruf und Privatleben?
Da ich hauptberuflich das mache, was ich zuvor in meiner privaten Zeit getan habe, war es am Anfang schwierig Beruf und Privatleben zu trennen, da sie sehr miteinander verknüpft sind. Aus diesen Gründen musste es klare Absprachen mit meinen FreundInnen - die ja auch KollegInnen sind – geben. Ich habe, zum Beispiel die Regel, nicht so viel über die Arbeit zu reden, wenn ich mich mit Kollegen und Kolleginnen treffe. Wenn wir über die Arbeit reden, machen wir das auch deutlich, aber dann setzen wir auch einen Punkt und reden über etwas anderes. Das Problem mit der Abgrenzung das bleibt immer ein Balanceakt.
Für die Work-Life-Balance mache ich tatsächlich so Klassiker wie ein Abo im Fitnessstudio und versuche regelmäßig den Kopf freizukriegen durch Sport und Bewegung. Weiterhin pflege ich meine Hobbies, die nicht besonders außergewöhnlich sind: Ich versuche regelmäßig ins Kino zu gehen, mit FreundInnen einen Spieleabend zu machen und wirklich in dem Sinne zweckfreie Zeit zu verbringen. Dies bedeutet, dass keine Termine oder sonstiges in den Terminkalender eingetragen werden. Es ist wichtig sich solche Zeiten zu gönnen, um unter anderem auch wieder Kontakt zu sich selbst zu bekommen.


5. Was sind Ihre persönlichen Interessen, die vielleicht auch zu Ihrem Beruf geführt haben?
Das persönliche Interesse war ganz klar Politik und auch der Wunsch, Gesellschaft mitzugestalten, der Wunsch – klar, idealistisch- gemeinsam mit anderen gegen Ausbeutung zu kämpfen und insgesamt dazu beizutragen, dass Gesellschaft und die Menschen, die darin leben, sich als solidarisch begreifen.


6. Mit welchen Problemen hatten Sie während Ihres Karriereverlauf zu kämpfen?
Ich hatte zum Glück mit wenig Problemen und Durststrecken zu kämpfen, das liegt daran, dass ich aufgrund meines langjährigen gewerkschaftlichen Engagements relativ unproblematisch in die Hauptamtlichkeit wechseln konnte. Ein spezifisches Problem war die Rollenkonfusion durch diesen Wechsel von Ehren- zu Hauptamt am Anfang meiner Berufstätigkeit.


7. Welche Empfehlungen haben Sie für Absolventinnen in diesem Berufsfeld?
Ich habe schon früh angefangen zu versuchen, die Inhalte meines Studiums in ein Praxisfeld zu übersetzen. In meinem Fall war dies kein klassisches Praktikum, sondern ein kontinuierliches Engagement in einem Jugendverband. Das würde ich allen AbsolventInnen raten, sowie die Möglichkeit zu nutzen Netzwerke zu gründen, was ich teilweise zu wenig gemacht habe. Ich rate Ihnen mit Vorgesetzten oder älteren Frauen zu netzwerken und auch Unterstützung und Beratung einzufordern. Ich hoffe, dass Frauen das auch noch besser lernen, sich auch gegenseitig zu unterstützen und das “Einzelkämpferinnen-Dasein“ etwas aufzugeben, zu Gunsten eines Blicks, wo es darum geht, das erworbene Wissen auch weiterzugeben, damit nicht jede wieder bei Null anfangen muss.


8. Spielt Gleichstellungsarbeit in Ihrem Berufsfeld eine Rolle? Wie beurteilen Sie die Geschlechterverhältnisse und Ihre Rolle als Frau in Ihrem Beruf?
Gleichstellungsarbeit spielt eine zentrale Rolle und durchzieht, meiner Meinung nach, alle gesellschaftlichen Bereiche. Jedoch ist es wichtig, dass der zugrundeliegende Begriff von Gender nicht nur auf Frau und Mann oder auch auf den quantitative Aspekte “wie viele Frauen, wie viele Männer“ reduziert wird. Ich plädiere dafür, Gleichstellungsarbeit im vergeschlechtlichten Sinne zu begreifen, sodass auch zum Beispiel Zweigeschlechtlichkeit in Frage gestellt wird, die den Körper als Analysekategorie mit einbezieht.
In meinem Verband gibt es auch den klassisch vertikal segregierten Arbeitsmarkt, das heißt dass in den Bereichen, die besser bezahlt sind, sich auch mehr Männer befinden. So verläuft es auch mit anderen Kategorien wie z.B. race. So kann man oft beobachten, dass es noch oft weiße, deutsche Männer sind, die in den Führungspositionen anzufinden sind.
Gewerkschaften haben sich das Thema Gleichstellung schon lange als Inhalt ihrer Arbeit gemacht, sodass es also auch durchaus positive Entwicklungen gibt.